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Amalie Senninger
(1866-1921)
Dir
Du bist ein stilles Dörflein im Abendlicht,
Bist eines jungen Herzens Liebesgedicht —
Du bist zum heiligen Abend der erste Schnee,
Bist eine erste Träne, ein erstes Weh.
Du bist die klare Quelle dem heissen Blut,
Ein Strauss von Alpenrosen dem Jägerhut,
Du bist zu meiner Krippe der Weisen Stern,
Ich folge deinem Lichte und lob den Herrn!
(S. 42)
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Mein Herz
Mein Herz ist ein Schiff auf hohem Meer
Es branden die Wogen wohl drüber her,
Weiss nicht ob je ein Port ihm winkt,
Ob es nicht draussen im Kampf versinkt.
Ich will bis zum letzten am Steuer stehn,
Mit dem sinkenden Schiffe untergehn.
Nur Eines erbitt ich: "Am Himmelsrand
Erscheine noch, Liebe vom Jugendland!" —
(S. 102)
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Du bist der Wald mein Lieb, ich bin sein Pfad
Ein Wandrer bin ich, der sich ihm genaht,
Ein jubelnd Kind, die Hand voll Maienglocken,
Ich bin ein Vogel, hörst du mein Frohlocken?
Ich bin sein klarer Quell, sein dunkler See,
Im Schneesturm unter seinem Schutz, ein Reh!
(S. 104)
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Aus: Gedichte von
Amalie Senninger
Staufen Verlag Bad Reichenhall 1913
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