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Hedwig Lachmann
(1865-1918)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Lied eines Toren
Ich liebe die, die
nicht zu leben wissen ...
Der Narrheit Raum! Wer hilft mir Berge ebnen!
Mein Wille ist ein Kreislauf, der nie endet.
Dem mühvoll Nutzlosen und dem Vergebnen
Hab ich mit Leib und Leben mich verpfändet.
Mein Hirn gab ich dem Wahn zum Herrensitze,
Von Truggebilden ist mein Blick umflimmert.
Ich klettre mittags auf die Kirchturmspitze,
Weil sie so golden in der Sonne schimmert.
Gestreckten Laufs und nimmermüden Fusses,
Zum Horizont, der immer wieder schwindet,
Folg ich den Krümmungen des raschen Flusses,
Bis er sein Bett im fernen Meere findet.
In Hass und Liebe ohne Mass und Grenzen,
In Überschwang und Frevel ohne Reue,
Lass ich mein Gold vor blöden Augen glänzen
Und werfe meine Perlen vor die Säue.
Blind hängt mein Torenherz an seinem Bunde.
Die Tage geb ich hin verlornem Sinnen
Und lass mir nachts aus einer offnen Wunde
Heimlich, zum Spass, die roten Tropfen rinnen.
(S. 44)
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Aus deiner Liebe ...
Aus deiner Liebe kommt mir solch ein Segen,
Sie macht mein Herz so sorglos und so fest,
Ich kann so ruhig mich drin niederlegen,
Wie sich ein Kind dem Schlafe überlässt.
Ich geh dahin von Zuversicht getragen,
Seit neben deiner meine Seele schweift;
So, wie man wohl an schönen Sommertagen
Durch reife Ährenfelder sinnend streift.
Da gleiten sanft die Finger über Blüten
Und Halme hin, wie eine Mutter pflegt,
Und alles Leben möchte man behüten,
Das seine heil'ge Saat zum Lichte trägt.
(S. 53)
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Beschränkung
Wie jene Frauen von einfältgem Sinn,
Die so voll Demut ihren Gatten eigen
Wie Mägde sind, und die sich von Beginn
Bis an ihr Ende seinem Willen neigen,
Die, wie in Dumpfheit, ihre Liebe, drin
Ihr Dasein eingeschlossen liegt, mit Schweigen,
Wie bei dem Opferdienst die Priesterin,
In Sorgfalt nur und treuem Tun bezeigen:
So ist mein ganzes Sein um dich gefaltet
Und hat nach keinem Äussren mehr Bestreben,
Als seien Ziel und Fernsicht ihm entschwunden
Und jede Sehnsucht fast in mir erkaltet:
Und ist mir doch, ich sei, dir hingegeben,
Der Welt und allem Menschenlos verbunden.
(S. 65)
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Ein Gedenkblatt
Du gingst so vorschnell aus der Welt
Und liessest so das Leben stehn,
Wie, wenn sie Müdigkeit befällt,
Die Kinder abends schlafen gehn.
Du schwebst mir vor so licht und wert.
Durch harte Manneskämpfe blieb
Auf deinen Lippen, unversehrt,
Ein Knabenlächeln zart und lieb.
Im Walde liegt so tief der Schnee,
Wie liegt er hoch auf deinem Grab!
Du bist dahingegangen, eh
Dein Schicksal dir Genüge gab.
Weiss wer, wo sich der Wind erhebt?
Kennt wer der Wanderwolke Fahrt?
Du schweiftest fern und bist entschwebt
Nach Windesweise, Wolkenart.
(S. 66)
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Lebenseinklang
Du gibst mir Fülle, Glück, Genüge, Weihe;
Du breitetest ein Los vor mich, so klar,
Dass, sanft gefügt zu einer goldnen Reihe,
An mir vorübergleitet Jahr um Jahr.
Mir ist, als ob in deiner Hut gedeihe
Das Kargste, das in mir verschlossen war,
Als ob dein starker Sinn mir Mut verleihe,
Reichst du mir nur dein Wort zum Stützpunkt dar.
War ich vereinsamt, eh ich dich gekannt?
Kamst du zu mir, wie oft in letzter Stunde
Noch Rettung naht, und riefst mich auf zum Bunde?
Ich weiss nur, dies ist alles wie zerronnen,
Als hätte ich mein Leben neu begonnen -
Und bin doch allen Schmerzen noch verwandt!
(S. 67)
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Verwandlung
Ich sehe oft dein früheres Gesicht,
Geliebter, und es glückt mir, einen raschen
Verlornen Ausdruck, der wie Sonnenlicht
Vorbeihuscht, im Erinnern zu erhaschen.
Und manchmal überkommt mich wie ein Bangen
Nach meinen Kindern, da sie noch ganz klein
Und hilflos waren, und der erste Schein
Von zärtlichem Verstehen ihre Wangen
Sanft überflog, und das Nachmirverlangen
Und die Befriedigung, bei mir zu sein.
Und meines Vaters Bild enttaucht den Gründen
Der Ewigkeit, so wie ich ihn gekannt;
Und ob darüber Jahre auch vergingen,
Bin ich oft jäh in seinen Kreis gebannt,
Und seh mit mildem Feuer sich entzünden
Die Blicke, die so an den Fernen hingen.
Und seh mich selbst, ein Wesen, das mir glich,
Zuerst als Kind, dann jung erblüht und allen
Verkündigungen zugewandt und offen,
Vertrauen, Glück begehren, zagen, hoffen -
Und dann dies alles von mir abgefallen,
Vertraut und fremd und immer doch noch ich.
(S. 69)
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Aus: Gesammelte
Gedichte
von Hedwig Lachmann
Eigenes und Nachdichtungen
Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 1919
Biographie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hedwig_Lachmann
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