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Felicitas Leo
(gest. 1916)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Eine Liebe
I.
Als sich mein Fuss noch keinen Weg gewählt,
Da kamst du, wie der Knabe mit der Flöte,
Ihm folgt das Kind durch Feld und Abendröte
Und weiss es nicht, was ihr das Lied erzählt.
Am Bergesabhang bei den müden Lämmern,
Da kauert er und flötet vor sich nieder —
Zu ihren Füssen, durch den Busch von Flieder,
Sieht sie im Duft das Land des Lebens dämmern.
(S. 55)
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II.
Sieben Jahre blüht die Wunderblume —
Sieben Jahre schmachtet die Prinzessin —
Sieben Jahr’! — gefangen in dem Turme.
— Sieben Jahre will ich deiner harren.
Jedes Jahr erschliesst sich eine Blüte,
Naht ein kleiner Vogel der Prinzessin
Als ein Zeichen, dass der Prinz noch lebt
— Jedes Jahr darf ich dich einmal sehen.
Aber wenn nach diesen sieben Jahren
Nicht der Prinz die Wunderblume findet,
Welkt auf ewig sie — und die Prinzessin
Bleibt verwunschen, ewig! — und ich sterbe.
(S. 56)
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III.
Die Welt ist weit
Für den, der einen wandern hiess,
Und lang die Zeit,
Wenn still ein Herz vom andern liess.
Ich stand am Zaun
Und horchte bang auf einen Schritt,
Das Laub war braun,
Und wirbelnd nahm die Luft es mit.
Ein Vogel klagt,
Den krank am Boden liess der Schwarm,
Mir ist, er sagt
Von dir und mir und unserm Harm.
(S. 57)
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IV.
Erde, hältst du noch zusammen?
Mond, bist du es, der mich grüsst?
Weltall, stehst du nicht in Flammen?
Er hat mich geküsst — geküsst!
Menschen kommen, sprechen, gehen,
Alltag zimmert sein Gerüst,
Als ob gar nichts sei geschehen,
Da er mich geküsst — geküsst!
Mir nur wie mit Flammenscheine
Eine Welt gewandelt ist,
Und ich weiss nur noch das Eine:
Er hat mich geküsst — geküsst!
(S. 58)
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V.
So versank auch diese Nacht,
Die mit ihrem Mondenscheine
Mir das Glück, das einzigeine,
Als ein Weihgeschenk gebracht.
Flügelschlag der Stunden rauschte,
Seit du mich zuerst umfangen,
Und mit wunderlichem Bangen
Ihrem Zug die Seele lauschte.
Doch es kam der junge Tag,
Hob mit weissen Knabenhänden
Leis die Schatten von den Wänden
Und erhellte mein Gemach.
Schlug den Vorhang weit zurück,
Rief: "Empor nun! ohne Säumen!
Fort mit grauen Schleierträumen!
Lebe jetzt ein waches Glück!"
(S. 59)
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VI.
Ich hab’ ein feines Goldkettlein,
Ein Herz daran von Golde klar
Mit deinem Bild, mit deinem Haar,
Du gabst es mir, Treuliebster mein.
Das Kettlein mit dem Herzen trag’
Ich Tag und Nacht nun alle Zeit,
Es atmet mit in Freud und Leid,
Es weiss von jedem Herzensschlag.
Und rührt sich’s leise im Gewand
Und streicht mir übern Nacken hin,
Da wird so heimlich mir zu Sinn,
Als kos’t mich eine liebe Hand.
Und manchmal noch im Traum so sacht
Fühl ich’s mir gleiten übers Haar,
Als wie von einem Lippenpaar
Ein leiser Kuss zur guten Nacht.
(S. 60)
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VII.
Buntes Laub in stiller Luft,
Matter Herbsttagsonnenschein,
Berge in der Ferne Duft, —
Sommerfäden spinnt mich ein!
Farben, Linien, blass und weich
Wie gedämpft durch stillen Schmerz —
In der Schwermut Zauberreich
Starrt und zieht’s mein wissend Herz.
Und Erinn’rung steigt empor,
Wie der Duft von welkem Laub,
Flüstert leise mir ins Ohr
Und sinkt welkend in den Staub.
Still mein Herz den Sang vernahm:
"Immer kam der Herbst zurück,
Wiedersehn und Abschied kam
Und es kam — es kam! — das Glück.
Aber eines blieb sich gleich:
Ew’ger Sehnsucht stiller Schmerz" —
— — — — — — — — —
In der Schwermut Zauberreich
Starrt und zieht’s mein wissend Herz.
(S. 61)
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VIII.
Die Mandolinen spielen. — Lass mich tanzen! —
Hier, wo der Mond das Kreuz am Boden malt,
Und Klang und Duft der Nacht durchs Fenster schwebt —
Mein Kleid ist weiss — du löstest meine Haare —
Und meine Glieder folgen diesen Tönen,
Es klingt so süss — es lockt — ich muss mich heben
Und drehn — und meine Arme so bewegen
Und wieder senken — meine Füsse kreisen,
Das Haupt sinkt in den Nacken — und ich tanze
Und weiss nicht was — und immer seh’ ich dich —
Dein Auge lenkt mich und die Mandoline —
Sie lockt und zieht und lehrt mich diesen Reigen —
Nun will sie jagen mich — die Pulse klopfen
Ich muss — in diesem Wirbel — — ja! halt fest!
Ganz fest! — es will — — — — — — — — —
was will die Mandoline?
(S. 62)
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IX.
Ja! — es schläft nur — und lebt und erwacht ohne Ende.
Zwinget Mund an Mund, Brust an Brust, Hand an Hände.
Und es schlägt seinen Mantel aus glühendem Rauch und aus Flammen
Ueber zitterndem Fleisch und trunkenen Seelen zusammen
Und es trägt uns empor und es stürzt uns in purpurne Tiefen,
Wo Geschöpfe des Abgrunds in gläsernen Höhlen schliefen,
Und der Atem versagt und wir starr’n mit ertrinkenden Augen,
Wie Wirbel der Wasser die Wonnen uns treiben und saugen
Und es reisst uns hinauf — und da glättet sich jählings die Flut —
Unter blassenden Sternen die zitternde Fläche ruht —
Und wir treiben im Kahn — im sanften, kühlenden Wind
Und der Himmel rötet sich — und der Tag beginnt.
(S. 63)
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X.
Einmal hat uns die Flut mit Rauschen getragen
Bis dahin, wo die goldenen Stühle ragen,
Einmal perlte der Trank und wir schlürften den Schaum,
Einmal glühte die Frucht am verbotenen Baum,
Glühte und lockte, und lockte uns nicht vergebens.
"Heut’ geniesse", so sprachst du, "die Fülle des Lebens".
Und du gabst und ich nahm — da rief keine Stimme,
Nicht der Herr verscheuchte die Kecken im Grimme,
Und das flammende Schwert kein rächender Engel schwang —
Nur die Stunde verrann — und der prangende Baum versank —
Und das Kind, aus der Fülle des Lebens erstanden,
Schwand dahin, wie die goldenen Früchte schwanden —
Und dein Mund verlernte Küssen und Reden —
Und die Dornen stehn hoch um den Garten Eden.
(S. 64)
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XI.
Ende
Diese Rosen will ich
mir noch pflücken,
Diese Stunde musst du mir noch lassen,
Ganz gewiss: dann will ich dich nicht hassen,
Wie zum Fest will ich mich für dich schmücken!
Will nur noch auf diese Weide drücken
Einen Kuss — und ihren Stamm umfassen,
Denn sie weiss ja von den mondenblassen
Stunden, die vergangen noch beglücken.
Sieh’: ich wende mich — des Himmels Blaue
Grüss’ ich und die grüne, bunte Erde —
Denk’ an Einen, den ich nie mehr schaue
Und, die letzten Rosen in der Hand,
Dank ich ihm mit heimlicher Gebärde —
Und dann nimm mich — in dein dunkles Land.
(S. 65)
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Aus: Felicitas Leo
Gedichte
München 1909
R. Piper & Co GmbH Verlag
Biographie:
Felicitas Leo, geborene Krause.
Geboren 19. Jh. in Berlin, gestorben 18.10.1916 Berlin-Lankwitz;
1898 Heirat mit dem Regierungsrat Viktor Leo, lebte in Berlin und seinen
Vororten.
Schriften: Gedichte 1909; Der Tag der Mona Lisa (dramat.) 1916.
Aus: Dt.
Literatur-Lexikon Biogr.-bibliogr. Handbuch begründet von Wilhelm Kosch,
3. völlig neu bearbeitete Auflage, 9. Band Francke Verlag Berlin und
München 1984
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