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Sappho
(630-612 v. Chr. - um 570 v. Chr.)
Hymne an Aphrodite
Die du thronst auf Blumen, o schaumgebor'ne
Tochter Zeus, listspinnende, hör' mich rufen,
Nicht in Schmach und bittrer Qual, o Göttin,
Laß mich erliegen!
Sondern huldvoll neige dich mir, wenn jemals
Du mein Flehn willfährigen Ohrs vernommen,
Wenn du je, zur Hülfe bereit, des Vaters
Halle verlassen.
Raschen Flugs auf goldnem Wagen zog dich
Durch die Luft dein Taubengespann und abwärts
Floß von ihm der Fittige Schatten dunkelnd
Ueber den Erdgrund.
So dem Blitz gleich stiegest du herab und fragtest,
Sel'ge, mit unsterblichem Antlitz lächelnd:
"Welch ein Gram verzehrt dir das Herz, warum doch
Riefst du mich, Sappho?
Was beklemmt mit sehnlicher Pein so stürmisch
Dir die Brust? Wen soll ich ins Netz dir schmeicheln?
Welchem Liebling schmelzen den Sinn? Wer wagt es
Deiner zu spotten?
Flieht er: wohl, so soll er dich bald verfolgen,
Wehrt er stolz die Gabe, so soll er geben,
Liebt er nicht, bald soll er für dich entbrennen,
Selbst ein Verschmähter."
Komm' denn, komm auch heute, den Gram zu lösen!
Was so heiß mein Busen ersehnt, o laß es
Mich empfahn, Holdselige, sei du selbst mir
Bundesgenossin.
(Übersetzt von Emanuel Geibel
1815-1884)
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