Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Moritz Ehrlich (1867)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209


 

Das Hohe Lied Salomonis


I

Küsse mich mit deines Mundes
Wonnefeuerkuß!
Lieblicher ist deine Liebe,
Denn des Weins Genuß:
Quillt aus deiner Jugend Blüthe
Frühlings Dufterguß,
Und in deinem Namen hauchet
Lauer Lüfte Fluß.

All die Schar der jungen Mädchen
Dein begehren muß;
Zieh mich nach mit deiner Augen
Lichtem Liebesgruß!
Deinen königlichen Pfaden
Folgt mein niedrer Fuß:
Führe mich in deiner Kammer
Lauschigen Verschluß!

Deine Nähe bringt der Freuden
Reinen Ueberfluß;
Leise klagt bei deinem Scheiden
Heimlicher Verdruß;
Doch es bleibt im Rückgedenken
Schmerzlicher Genuß:
Frommer Mädchen Lustversenken
Wirkt dein Wonnekuß.
 

II

Braun bin ich, doch reizgebildet
Von Gesicht und Hand;
Töchter ihr Jerusalaims,
Braun bin ich genannt,
Wie Kedaren Gastgezelte
In der Wüste Sand,
Wie die Teppiche des Königs
An Palastes Wand.

Schaut so groß nicht auf mich nieder!
Braun ist keine Schand:
Hat mich doch der Sonne Glühen
Nur so braun gebrannt!
Meiner Mutter Söhne haben
Zürnend mich verbannt,
Aus dem heimatlichen Hause
Mich hinweggesandt.

Ihren Weinberg sollt' ich hüten
Vor des Diebes Hand,
Und ich wachte treu und sorglich
Ueber Flur und Land;
Doch der eignen Reize Weinberg,
Der in Blüthe stand,
Ach, ich hab' ihn nicht behütet –
Und der Dieb entschwand.
 

III

Sage mir, den meine Seele
Liebt mit ganzer Gluth,
Wo in schwüler Mittagssonne
Dein Gemüth sich ruht:
Daß ich nicht umher mag wandern
Mit verirrtem Muth
Bei den Heerden jener Andern,
Bei der Fremden Hut.

Kannst du dir so gar nicht trauen
Deinen Liebeswerth?
Schönste du von allen Frauen,
Sei mir hold belehrt:
Draußen in der Lämmer Spuren,
An der Hirten Heerd,
Auf den grünen Weidefluren –
Suchst du ganz verkehrt.
 

IV

Meine Kleine, die ich meine,
Die mein Herz entzückt,
Reich mit Golde, meine Holde,
Sei mir ausgeschmückt!
Glanzumflossen, gleich den Rossen,
Purpurlast gedrückt,
Wenn sie tragen Königswagen,
Und das Volk sich bückt.

Stirn und Wangen in den Spangen,
Lieblich angethan,
Und in Ringen goldne Schlingen
Deinen Hals umfah'n;
Prachtgewänder, goldne Bänder
Legen wir dir an,
Rings mit hellen Silberschellen
Und mit Perlen dran.
 

V

Ach, daß ich im Fruchtgelände,
In dem grünen Feld,
Dich als meinen Bruder fände,
Stolzer Königsheld!
Reichen dürft' ich dir die Hände,
Schwesterlich gestellt;
Küssen wollt' ich doch ohn' Ende
Vor der ganzen Welt!

Wollten freudig heimwärts schreiten
Zu der Mutter Haus;
Solltest täglich mich geleiten
Lehrend ein und aus;
Dankbar würd' ich dir bereiten
Frischen Labeschmaus:
Der Granate Süßigkeiten
Und des Mosts Gebraus.
 

VI

Lag von Träumen still umfangen
Mein Gemüth und schlief,
Barg sein Bangen und Verlangen
In der Knospe tief;
Neigte sich des Königs Antlitz
Her zu mir und rief –
Und aus dem verschlossnen Kelche
Quoll der Düfte Trief.

Wie ein Myrrhenstrauß mein Liebster
Mir am Busen schwebt,
Der mir süßen Sehngelüsten
Meine Brust durchbebt;
Eine Kophar-Doldentraube
Innig mir verweht,
Die mit zartem Blüthenstaube
Mein Gemüth belebt.

Schön bist du, mein Freund, und köstlich
Stillem Lustgefühl;
Komm, o komm in meine Arme!
Grün ist unser Pfühl:
Schlanke Cedern unsres Hauses
Säulen und Gestühl,
Und Cypressen seine Wände,
Dichtbelaubt und kühl.

Unter meines Haupthaars Flechte
Seine linke Hand,
Und es hält mich seine Rechte
Liebevoll umspannt;
Schlingen holde Liebesmächte
Ein beglückend Band:
Selig ruh' ich Tag und Nächte
Ihm an's Herz gebannt.

Töchter Ihr Jerusalaim's
Euch beschwört mein Mund
Bei der flüchtigen Gazelle,
Bei dem Reh im Grund:
Wecket nicht der Liebe Streben,
Thut es nimmer kund,
Bis sie froh sich mag erheben
In der rechten Stund!
 

VII

Wie Narzissen in dem Garten
Bei des Morgens Strahl,
Wie die Blümelein, die zarten,
In dem grünen Thal,
Wie die dufterblühte Rose
Unter Dornen kahl,
Also schimmert meine Holde
In der Mädchen Zahl.

Wie der Fruchtbaum unter Bäumen,
Dürr und früchtelos,
Also in der Söhne Schaaren
Glänzt mein Liebster blos;
Unter'm Schatten ihm zu Füßen
Lieg' ich weich im Moos,
Aepfel schüttet er, die süßen,
All mir in der Schooß.

Führt mich in die kühlen Hallen,
Wo man Wein kredenzt,
Wo der Jugend Lieder schallen,
Und die Freude lenzt;
Doch am schönsten unter Allen
Ist mein Freund bekränzt:
Seine Banner mich umwallen,
Drauf die Liebe glänzt.

Labet die erschöpften Sinne
Mit der Traube Saft,
Daß die Seele mir entrinne
Heißen Durstes Haft!
Aus dem Most der Aepfel rinne
Frische Lebenskraft!
Denn mich hat die Gluth der Minne
Krank dahingerafft.
 

VIII

Das ist meines Freundes Stimme,
Die herüber klingt!
Siehe! vom Gebirge nieder
Schreitet er und winkt.
Schreitet gleich dem jungen Hirsche,
Der von Bergen springt,
Hüpfet gleich dem Reh vom Hügel,
Dran der Wein sich schlingt.

Sieh! an unsres Hauses Mauer
Angeschmieget dicht,
Lauschend an das grüne Gitter
Drückt er sein Gesicht.
Lächelnd lugt mein Freund durch's Fenster,
Nickt zu mir und spricht:
"Auf, o Freundin, meine Schöne!
"Komm hervor an's Licht!

"Sieh! der Winter ist vergangen,
"Und der Regen schwand;
"Tausend bunte Blumen prangen
"Durch das ganze Land;
"Kommen ist der Lenz mit Myrrhen
"An dem Duftgewand,
"Und die Turteltauben girren,
"Liebeslust entbrannt.

"Knospen aus dem Feigenbaume
"Lockt die warme Luft;
"Augen treibt die junge Rebe
"Und giebt süßen Duft.
"Komm hervor, du meine Freundin!
"Auf! dein Liebster ruft;
"Komm an's Licht, du meine Schöne,
"Aus des Hauses Gruft!

"Meine Taube zwischen Steinen,
"In dem Felsenspalt!
"Komm hervor und laß sie scheinen,
"Deine Wohlgestalt!
"Laß mich deiner Stimme lauschen,
"Die so lieblich schallt:
"Mich berausche deiner Reize
"Doppelte Gewalt!"

Bis des Tages Schatten weichet,
Bis die Sonne sinkt,
Bis der duftdurchglühte Boden
Abendkühle trinkt:
Kehre um, mein Freund, entweiche,
Wie das Reh entspringt,
Wie der junge Hirsch sich scheidend
Auf die Berge schwingt!
 

IX

Aus dem Schlaf, aus süßem Träume
Bin ich aufgewacht,
Suche rings auf meinem Lager
In der dunklen Nacht:
Ihn, den meine Seele liebet,
Ach, mit ganzer Macht,
Sucht' ich, doch ich fand ihn nirgend
In der dunklen Nacht.

Von dem freudeleeren Pfühle
Rasch mich aufgemacht,
Durch die Straßen, durch die Gassen
Schlüpfen will ich sacht;
Ihn, den meine Seele liebet,
Ach, mit ganzer Macht,
Such' ich, doch ich find' ihn nirgend
In der dunklen Nacht.

Traf mich da die Schaar der Hüter,
Die die Stadt bewacht;
"Sagt, habt ihr ihn nicht gesehen
"In der Jugend Pracht?
"Ihn, den meine Seele liebet,
"Ach, mit ganzer Macht,
"Such' ich, doch ich find' ihn nirgend
"In der dunklen Nacht."

Da ich kaum vorbeigekommen
An der Hüter Wacht,
Hat mich meines Freundes Auge
Leuchtend angelacht:
Ihn, den meine Seele liebet,
Ach, mit ganzer Macht,
Hab' ich endlich doch gefunden
In der dunklen Nacht.

Und ich halt' ihn fest im Arme,
Bis ich ihn gebracht
Hin zu meiner Mutter Hause,
Hin zur Kammer sacht:
Ihn, den meine Seele liebet,
Ach, mit ganzer Macht,
Will ich nimmer wieder lassen
In der dunklen Nacht.
 

X

Was ist dort heraufgestiegen
Aus der Wüste Bauch,
Wie vom Altar Myrrhen wallen
Bei des Opfers Brauch?
Wie in würzgetränkten Ringen
Steigt ein grader Rauch,
Wie sich Düfte aufwärts schwingen
In des Himmels Hauch?

Sieh! des Königs Ruhestätte,
Drin der Schlummer lacht,
Salomo's geweihtes Bette,
Reich an Lust und Pracht!
Sechzig Krieger um die Wette
Halten gute Wacht,
Auserwählte Heldenkette
Aus des Volkes Macht.

Alle tragen an der Seiten
Ihre Waffentracht;
Alle mögen kühnlich streiten
In der Männerschlacht;
Ihre Schwerter Alle strecken
Mit besorgter Acht
Gegen starre Todesschrecken
In der Wüstennacht.

Fügte sich ein Hochzeitsbette
Dort der Königsheld,
Ward von Libanons Gebirge
Cedernholz gefällt;
Silbersäulen, runde Stützen,
Schlank und gleichgestellt,
Golden breitet ob den Sitzen
Sich das Himmelszelt.

Purpurdecken für den Müden,
Polster, weich bequem,
Laden zu der Ruhe Frieden,
Still und angenehm;
Doch als schönster Schmuck darinne
Strahlt ob alle dem
Sanfter Mädchen keusche Minne
Von Jerusalem.

Geht heraus, ihr stolzen Frauen,
Zions Töchterschaar!
Gehet, Salomo zu schauen
In der Krone klar,
Die ihm seine Mutter drückte
Jenen Tag in's Haar,
Da sein Herz, das brautbeglückte,
Voll von Jubel war.
 

XI

Komm vom Libanon hernieder,
Schwester, meine Braut!
Tritt vom Berge, dessen Gipfel
In die Wolken schaut;
Aus dem Wald, darin der Löwe
Brüllt mit Donnerlaut,
Komm, o komm zu mir hernieder,
Meine liebe Braut!

Hast mir ja das Herz bezwungen,
Schwester, meine Braut!
Da du mich mit großen Augen
Siegend angeschaut;
Da du schlangst dein Goldgeschmeide
Um den Nacken traut,
Hast du fest mich dir verkettet,
Meine liebe Braut!

Wie sich wölbt dein junger Busen,
Schwester, meine Braut!
Lieblicher, als süße Trauben,
Die der Winzer baut;
Und von Wohlgerüchen duftet
Deine weiße Haut,
Köstlicher, als alle Würze,
Meine liebe Braut!

Feucht von Seim sind deine Lippen,
Schwester, meine Braut!
Milde fließt, wie Milch und Honig,
Deiner Zunge Laut;
Deine Kleider duften lieblich,
Wie das feinste Kraut,
Wie des Libanon Gerüche,
Meine liebe Braut!

Ein verschlossener Garten bist du,
Schwester, meine Braut!
Eine Quelle, rings mit Rosen
Sorglich dicht umbaut;
Stiller Born, in dessen Tiefen
Ew'ger Himmel blaut,
Nur dem Eigner hold erquicklich,
Meine liebe Braut!

Wie ein Gartenbrunnen bist du,
Schwester, meine Braut;
Welcher unter Blumen plätschert,
Heimlich und vertraut;
Wie ein Born lebend'gen Wassers,
Drein die Wolke thaut,
Das dem Libanon entsprudelt,
Meine liebe Braut!

All dein Reiz ist wie ein Garten,
Schwester, meine Braut!
Den der Gärtner sich zur Weide,
Sich zur Lust gebaut:
Goldne Früchte, süße Blüthen,
Würz'ges Labekraut, -
Wie du glänzest, blühst und duftest,
Meine liebe Braut!

Wach', erwache, du vom Norden,
Wilde Windesbraut!
Lüfte, kommt von Südens Borden,
Säuselt weichen Laut!
Weht, durchwehet lind den Garten,
Meinen Garten traut,
Daß ihr rings verstreut die Würze
Meiner lieben Braut!
 

XII

"Komm in deinen Wonnegarten,
"Komm, Geliebter mein!
"Goldne Früchte deiner warten
"In der Liebe Schein;
"Blaue Blüthen dorten sprießen,
"Alle sind sie dein,
"Alle sollst du mir genießen:
"Komm, Geliebter mein!"

Will in meinen Garten kommen,
Schwester, meine Braut!
Duft von Myrrhen soll mir frommen
Und von Balsamkraut;
Seim und Honig will ich kosten,
Der von Blumen thaut,
Laben mich an süßen Mosten,
Meine liebe Braut!

Pflückt, ihr Lieben, und genießet,
Weil die Frucht euch winkt!
Weil der Jugend Quelle fließet,
Freunde, schöpft und trinkt!
Schlürfet aus der Liebe Bronnen,
Bis euch Gluth durchdringt,
Bis berauscht von Himmelswonnen
Ihr in Taumel sinkt!
 

XIII

Schlafend liegen meine Glieder,
Doch mein Herze wacht:
Das ist meines Freundes Stimme!
Horch! er klopfet sacht:
"Liebchen, Freundin, meine Taube!
"Herzchen, aufgemacht!
"Denn es triefen Haupt und Locken
"Mir vom Thau der Nacht."

Meinem Kleid bin ich entstiegen,
Schlüpf' ich noch hinein?
Meinen Fuß hab' ich gebadet,
Soll ihn Staub entweih'n?
Doch es streckt mein Freund durch's Gitter
Schon die Hand herein,
Und von seiner holden Nähe
Schauert mein Gebein.

Rafft' ich mich empor, zu öffnen
Meinem Lustgenoß;
Troff noch meine Hand von Myrrhe,
Die ich drüber goß:
Süße Myrrhe, feucht und duftig,
Von den Fingern floß,
Träufelt an dem Riegel nieder
Und herab am Schloß.

Als ich meinem Freund geöffnet,
War er auf und fort;
Ging heraus da meine Seele,
Lauschte hier und dort;
Suchte sehnlich, fand ihn nirgend,
Ach, an keinem Ort: -
Rief ich auch die liebsten Namen,
Kam kein Gegenwort.

Draußen fanden mich die Hüter,
Die die Stadt durchzieh'n,
Und sie schlugen wund mich Arme,
Konnte nicht entflieh'n;
Jene Hüter, die der Mauer
Sind zum Schutz verlieh'n,
Nahmen mir des Schleiers Hülle, -
Und ich litt um ihn.

Ihr, Jerusalaim's Töchter,
Schwestern, hold und schlank!
Euch beschwör' ich, deren Auge
Gleichen Zauber trank:
Seht ihr meinen Freund, o sagt ihm,
Sagt es ihm zu Dank,
Daß ich hier daniederliege,
Ach, vor Liebe krank!
 

XIV

"Was nur unter andern Freunden
"Ragt dein Freund hervor?
"Schönste du von allen Frauen,
"Künd' es unserm Ohr!
"Was nur unter andern Freunden
"Ragt dein Freund hervor,
"Daß mit solchem Feuersdrange
"Uns dein Mund beschwor?"

Weiß und roth erblüht mein Liebster,
Daß ihr's wissen sollt,
Unter vielen tausend Männern
Auserwählt und hold:
Seines Hauptes Form gemeißelt,
Wie vom feinsten Gold,
Schwarz wie Raben seine Locken
Und gar kraus gerollt.

Augenstern, wie einer Taube,
Blickt so fromm und mild,
Schwimmend wie auf Baches Welle,
Der aus Felsen quillt:
Auf dem milchweiß hellen Grunde
Dunkelschattig Bild,
Leuchtend von der Liebe Feuer,
Wenn's im Herzen schwillt.

Seine Wangen, röthlich schimmernd
Von der Jugend Blut,
Gleich den würzig reifen Aepfeln
In des Gärtners Hut;
Seine Lippen purpurn schwellend,
Wie der Rose Gluth,
Und im Kelch, gefüllt zum Rande,
Duft'ge Feuchte ruht.

Seine Hände, fein gegliedert,
Wie des Ringes Rund;
Blaue Adern gleich Türkissen
Auf des Goldes Grund;
Gleich dem reinen Elfenbeinen
Glänzt sein Leib gesund,
Mit Saphir und Edelsteinen
Reich geschmückt und bunt.

Seine Beine Marmorsäulen
Herrlicher Gewalt;
Seine Füße, goldgegründet,
Geben sichern Halt;
Von des Libanon Gebirge
Seine Prachtgestalt,
Gleich der schlanksten junger Ceder
In dem ganzen Wald.

Süß und mild, wie Nachtigallen,
Seiner Stimme Klang,
Süß und lieblich mir vor allen,
Wie kein andrer Sang:
Dieser ist mein Freund, um diesen
Fühl' ich Liebesdrang, -
Ihr Jerusalaim's Töchter,
Und ihr fragt noch lang?
 

XV

"Weißt du nicht, in welchen Gauen
"Sich dein Freund verlor?
"Schönste du von allen Frauen,
"Künd' es unserm Ohr!
"Weißt du nicht, nach welchen Winden
"Ihn entließ das Thor?
"Daß wir suchen, daß wir finden,
"Den dein Herz erkor?"

Ist in seinen Garten gangen
Mein geliebter Freund,
Wo sich ihm an Blüthenstangen
Süß die Traube bräunt;
Auf dem Roosenbeet zu liegen,
Das für ihn umzäunt,
Ist in seinen Garten stiegen
Mein geliebter Freund.

Mir ist meines Freundes Leben
Ganz und gar geweiht,
Und ich habe mich ergeben
Ihm in Lust und Leid:
Lieb' um Liebe schafft Entzücken
Holden Wechselstreit, -
Und wir wollen Rosen pflücken
In der Rosenzeit!
 

XVI

Schön bist du, geliebte Freundin,
Ohne Makel ganz!
Schön, wie Thirza's Sommergärten
In der Berge Kranz;
Wie Jerusalem's Paläste
Lieblich und voll Glanz,
Schrecklich, wie im Kriegesfeste
Wilder Schwertertanz.

Wende deine Taubenaugen,
Die so fromm und mild!
Denn sie wecken mir im Herzen
Das Verlangen wild.
Seidner Locken weich Geringel
Dir vom Haupte quillt
Gleich des Gilead Kletterziegen,
Wimmelnd im Gefild.

Deiner Zähne Doppelreihen
Glänzen weiß und klar
Gleich der wohlgenährten Schaafe
Wollig glatter Schaar,
Aus dem Bad in Baches Wallen
Schreitend Paar an Paar,
Und ist keines unter allen
Krank und unfruchtbar.

Purpurbändchen, leichtgeschwungen,
Deiner Lippen Flucht;
Reich an lieblichen Gedanken
Deiner Rede Zucht;
Deiner Wangen Doppelglühen
In des Haares Bucht
Gleich der feurigen Granate
Zweigetheilter Frucht.

Gleichwie David's stolze Veste
Ist dein Hals verwahrt
Rings mit Mauern auf das Beste
Gegen Sturm und Fahrt;
Tausend goldne Schilde hangen,
Waffen mancher Art: -
Schön bist du, mein hold Verlangen,
Lieblich, stark und zart!

Sechzig sind der Königinnen
In des Königs Saal,
Achtzig Frauen reichen drinne
Ihm den Goldpokal,
Holde Jungfraun, die da wallen,
Zählet keine Zahl;
Doch nur eine unter allen
Ist des Königs Wahl.

Eine nur ist meine Taube,
Meine fromme Braut,
Eine nur ist ihrer Mutter
Auserwählt und traut;
Selig priesen sie die Mädchen,
Die sie angeschaut,
Frauen all und Königinnen
Lobten sie gar laut.

Wer ist dort heraugegangen,
Morgenröthe ganz?
Hold, wie aus des Meers Umfangen
Steigt des Mondes Glanz;
Lieblich, wie der Sonne Blitzen
In der Strahlen Kranz;
Schrecklich, wie der Schwerter Spitzen
In des Krieges Tanz?

Meine Taube, kehre wieder
In des Freundes Arm!
Glänzen laß dein Lichtgefieder
In der Krähen Schwarm!
Schweb' im Reigen auf und nieder,
Wecke Lust und Harm!
Komm, Sulamith, kehre wieder,
Komm in meinen Arm!
 

XVII

Ging hinab beim Frühlingswehen
In das Gartenland,
Wollte nach den Sträuchlein sehen
An des Baches Rand,
Schaute nach den Blüthenschossen
An der Rebenwand,
Der Granate junge Sprossen
Hielt ich in der Hand.

Als ich noch in süßem Schauen
So versunken stand,
Kam der König mit den Frauen,
All im Festgewand;
Nimmer ahnte meine Seele,
Daß den Freund ich fand,
Daß er mich zur Fürstin wähle
Ueber Volk und Land.
 

XVIII

O, wie schön in Purpurschuhen
Ist dein hoher Gang,
Füstentochter, die der Helden
Edlem Blut entsprang!
Ebenmaßgefügte Lenden
In der Hüften Hang,
Wie ein Spangenpaar, vollendet
Höchstem Meisterdrang.

Jungen Zwillingsrehen gleichet
Deiner Brüste Paar,
Welches unter Rosen weidet
Fern von andrer Schaar;
Glänzend, wie aus Elfenbeinen,
Hals und Nacken gar,
Hochgetürmte Veste, trotzend
Jeglicher Gefahr.

Wie zu Hesbon runde Teiche,
Klar und tief und traut,
Deine Augen, still umfriedet,
Drin der Himmel blaut;
Deine Nase schlank und zierlich
Wie der Thurm gebaut,
Der vom Libanon herüber
Gen Damaskus schaut.

Ragend steht dein Haupt erhoben
Auf der Wohlgestalt,
Wie des Karmel heitre Höhe,
Reich an Busch und Wald;
Wie ein königlicher Mantel
Deines Haars Gewalt
Nieder rings in Purpurfalten
Um die Schultern wallt.
 

XIX

Schön sind deine Liebesreize,
Schön und anmuthreich:
Wollustathmend junge Glieder,
Süß geschwellt und weich.
Deines Wuchses schlanke Höhe
Einer Palme gleich,
Traubenhügel deines Busens
Wonniger Bereich.

Auf den Palmbaum muß ich steigen,
In die Krone frei,
Daß ich von den grünen Zweigen
Ganz umschlungen sei!
Kosten muß ich deines Busens
Holdes Traubenzwei,
Daß ich von den sanften Gluthen
Ganz durchdrungen sei!

Aepfelduft in deinem Odem
Hauche würzig rein!
Deines Mundes Küsse sollen
Süß wie Most mir sein!
Daß sie deinem Freunde gleiten
Mild ins Herz hinein,
Wollustvoll ihn vorbereiten
Edlem Firnewein!
 

XX

Mir gehört mein Freund zu eigen,
Der mir wohlgefällt,
Und er wird sich treu erzeigen
Seiner Braut gesellt;
Komm, mein Liebster, laß uns trachten
Fort in Flur und Feld,
Auf den Dörfern übernachten,
Fern vom Sturm der Welt!

Auf die Berge laß uns steigen,
Eh' die Sonne blinkt,
Wo mit tausend Blüthenzweigen
Sich die Rebe schlingt!
Dort, wo den Granatenbäumen
Knosp' an Knospe springt,
Darfst du mir am Busen träumen,
Und die Liebe winkt.

Lilien schlank aus unserm Garten
Duften mild herein,
Goldne Früchte aller Arten
Vor der Thür gedeihn;
Komm, mein Freund, du sollst verwalten
Alles, was da mein!
Beides hab' ich dir behalten:
Most und Firnewein.
 

XXI

Drücke fest mich, wie ein Siegel,
An dein heißes Herz,
Daß ich ewig da verharre,
Wie geprägt in Erz!
In der Arme, wie ein Siegel,
Drück' mich busenwärts,
Daß ich ewig, dir verschmolzen,
Theile Lust und Schmerz!

Mächtig ist der Liebe Walten,
Mächtig, wie der Tod;
Starr der Leidenschaft Gewalten,
Wie der Hölle Noth:
Eine Flamme, die vom Himmel
Feurig niederloht,
Eine Gluth, die Leben zündet
Und Vernichtung droht.

Jähen Liebesbrand versenket
Keine Wasserfluth;
Keines Stromes Sturz ertränket
Ihre heil'ge Gluth:
Wem der Liebe Himmelsgabe
Tief im Herzen ruht,
Werthlos ist ihm jede Habe,
Nichtig alles Gut.

 

Aus: Das Hohe Lied Salomonis
In poetischer Nachbildung
von Moritz Ehrlich
Berlin 1867
Verlag von Mitscher & Röstell
(Dem Geiste Friedrich Rückert's geweiht)
 

 

 

 

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