Das Lied der Lieder
Ich beginne, cap.
1, 1 - 4 zunächst überspringend, sofort mit 1, 5. Der Leser findet sich
nach Jerusalem versetzt. Die Töchter der Stadt sind zur Stelle. Die
Jungfrau, welche das vom Libanon einwandernde Material, insbesondere
Cedernhölzer allegorisch versinnlicht, gelangt so eben in Jerusalem an.
Zwischen ihr und den Töchtern der Stadt entspinnt sich ein
Wechselgespräch.
Die Jungfrau hebt an:
1, 5. "Braun bin ich, doch wohlgeziemend,
Töchter dieser Friedensstadt,
Trauerzelten fast ich gleiche,
Teppichdecken Salomos.
6. Schau't nicht so auf mich, die Dunkle,
Die die Sonne hat verbrannt;
Zürnen doch des Mutterlandes
Kinder alle ach! mit mir.
Setzten mich dem edlen Boden
Hüterin zu seien ein,
Doch den Weinberg, den ich hatte,
Hielt ich nicht in treuer Hut.
7. Du, den meine Seele liebet,
Sag' mir, wo du führend weilst,
Wo du läßt im Doppelglanze
Lager halten, daß ich nicht
Als Verlassne steh' vor Scharen,
Denen Du Verein'gungband."
8. "Bist du nicht des Ortes kundig,
Schönste unter allen Frau'n,
Schreit' auf diese Herde Wegen
Vor und führ' uns, deine Schäflein,
Zu Allweiders Lagerzelt.
9. Mit der Führerin der ganzen
Wagenmacht des Pharao
möcht' ich meine Freundin gleichen,
10. Perlenschnür' an Deiner Wang',
Perlenketten um den Nacken
11. Steh'n dir lieblich! Goldne Perlen,
- Silberzeichnung sei darauf -
Woll'n wir Dir zusammenreihen;
12. Und bis daß in seiner Runde
Steht der König, ström' aus meiner
Nardenbüchse Königsduft."
13. "Freund, mein Freund! Ein Strauß von Myrrhen
Wird er ruhen mir am Busen!
14. Traube voll Versöhnungsblüten
Aus dem Weinberg "Glücksauge",
Mein Geliebter, bist Du mir!"
15. "Siehe, du bist schön, o Freundin,
Deine Augen Taubenaugen."
16. "Siehe, bist schön, Geliebter,
17. Lieblich! Neu, wie sproßend Grün,
Unser überdachtes Lager,
Cedern unsres Hauses Balken,
Unsrer Dielen Holz Cypressen.
2, 1. Bin die Tulpe, die die Eb'ne
An dem Meer aufsproßen sah,
Bin die weiße Lilie, welche
Aus dem Gau der Gründe kam.
2. "Was die Lilie zwischen Dornen,
Ist die Freundin vor den Töchtern."
3. "Wie der Apfelbaum inmitten
Wilder Bäume, mein Geliebter,
In der Söhne Mitte steht.
Sehne mich nach seinem Schatten,
Dort zu sitzen, dort zu netzen
Mit der Früchte Süß die Lippen,
4. Und er leitet mich zum Weinquell,
Sein Panier heißt "Lieb zu Dir",
5. Traubenkuchen zur Erquickung,
Äpfel beut er, mir zu helfen,
Denn ach! krank bin ich vor Liebe!
6. Läge unter meinem Haupte
Seine Linke doch, und hielte
Seine Rechte mich umfangen.
7. "Töchter Zions, ich beschwöre
Euch bei Zebaoth, o regt,
Bei der Mächt'gen Kraft, o wecket
Nicht die Liebe, bis es ihr
Selbst zu reden mag gefallen."
II.
Nach einer kurzen
Pause setzen die Traumreden ein. Die erste Traumrede malt das erste und
zweite Zusammenkommen der Liebenden und zwar a. das Nahen des
allmächtigen, an Zeit und Raum nicht gebundenen Freundes, b. seinen
ersten Lockruf, zugleich eine reizvolle Schilderung des Frühlings; der
Lenz ist eingezogen in die Ebene und fordert auf zum Fortwandern und
Hervorkommen aus dem Versteck in den Bergesschluchten; c. die Liebenden
haben sich gefunden, ihre Hände verschlingen sich zum Treubunde,
Aufjubeln der Geliebten, Bitte an den Freund wiederzukehren; d.
sehnsuchtsvolles Warten und Suchen; e. das Fällen der Bäume eingekleidet
in das Zusammentreffen mit den Spießträgern; f. zweites Finden des
Geliebten, Wunsch ihn in der eigenen Heimat, der Heimat des Dichters
zurückzuhalten.
Die den Abschnitt I. und die beiden Traumreden schließende Beschwörung
macht beim Vorlesen den tiefsten Eindruck, wenn sie mit leiser und doch
zugleich möglichst deutlicher Stimme gelesen wird.
2, 8. Horch, es nahet mein Geliebter!
Sieh, er ist es, der da kommt,
Hüpfend über jene Berge,
Springt die Höhen er hinauf.
9. Sieh, schon hinter unsern Wänden
Stehend, er durchs Fenster schaut;
Durch die Gitter Blicke sendend,
10. Hebt mein Freund jetzt an und spricht:
"Stehe auf, o meine Freundin,
Meine Schöne, mach dich auf,
11. Schau der Winter ist vergangen,
Und die Regentage flohn.
12. Blumen blicken aus der Erde,
Winzerarbeitszeit rückt an,
Und der Turteltaube Stimme
Wird in unserm Land belauscht.
13. Würzig setzt sich an die Feige,
Rebenblüten geben Duft,
Stehe auf, o meine Freundin,
Meine Schöne mach dich auf!
14. Täubchen in den Bergesschluchten,
In der Felsenstufen Schutz,
Laß mich hören deine Stimme,
Laß mich schaun dein Angesicht,
denn dein Angesicht ist lieblich,
Deine Stimme angenehm."
15. "Innenseiten an den Händen,
O umschlinget euch für uns,
Dazu auf die kleinen Finger,
Pfand der Treue: Rebenhöh'n,
Unsre Rebenhöh'n in Blüte!"
16. "Freund, bist mein nun, ich bin dein,
Der du führst im Lilienglanze!
17. Wenn der Tag sich kühlt und sich
Dämmrung hebet, kehre wieder,
Wie das Reh es thut, mein Freund,
Wie der junge Sproß des Hirsches
Auf zerspalt'ner Berge Höhn!"
3, 1. Auf dem Lager in den Nächten
Schaut ich sehnend aus nach ihm,
Welchen meine Seele liebet,
Schaute, aber fand ihn nicht.
2. "Ich will aufsteh'n und durchwandern
Den umhüteten Bezirk",
Auf den Straßen, auf den Plätzen
Such' ich den mein Herze liebt, -
Such' ihn, aber find ihn nimmer.
3. Treffen mich die Spießeträger,
Die mit Eifer gehn umher:
"Saht ihr meiner Seele Lieb?"
4. Kaum vorbei an ihnen, find' ich
Ihn, den meine Seele liebt.
Möcht' ihn halten, nimmer lassen,
Bis ich in das Mutter-Haus,
In das Innerste des Heimes
Der Erzeug'rin ihn gebracht!"
5. Töchter Zions, ich beschwöre
Euch bei Zebaoth, o regt,
Bei der Mächt'gen Kraft, o wecket
Nicht die Liebe, bis es ihr
Selbst zu reden mag gefallen.
III.
Die zweite
Traumrede schließt unmittelbar an die erste an. Der Freund geht auf den
Wunsch der Geliebten, in ihrer Heimat zu bleiben, nicht ein, sondern
sucht sie von dem Libanon hinwegzulocken, sie aber macht einen zweiten
Versuch ihn wenigstens in ihrer Heimat, den schönen Gegenden, die den
Fuß des Libanon, umkränzen, zurückzuhalten; die Traumrede zerfällt
infolge dessen in ein reizendes "Komm zu mir", und in ein nicht minder
liebliches "Bleib bei mir".
4, 8. Komm vom Libanon Verlobte,
Komm zu mir vom Libanon,
Schreite von Amanas Gipfel,
Steig herab vom Senirkopf,
Von des Hermons hoher Kuppe,
Von der Löwen Lagerstätten
Von der Panther Bergessitz.
9. Mit dem ersten Blick des Auges,
Meine schwesterliche Braut,
Hast du mir das Herz genommen,
Mit der Kett' an deinem Hals
Hast du mir das Herz gefesselt.
10. Meine Schwester und Verlobte
O wie hold ist deine Liebe,
Wie viel besser als der Wein,
Deiner Salben Duft viel feiner,
Als jedweder Balsamhauch.
11. Honig trieft von deinen Lippen,
Milch und Honig, meine Braut,
Ruhet unter deiner Zunge,
Und der Duft von deinen Kleidern,
Mahnet an den Libanon.
12. Ein geheimnisvoller Garten,
Ein geheimnisvoller Born,
Brunnquell, rätselhaft versiegelt,
Bist du, meine Schwester, Braut.
13. Deine Ranken wie ein Lusthain,
Frucht voll Himmelsherrlichkeit
An Granatenzweigen tragend,
Sühnungsblüten geben Duft,
14. Narde, indisch Rohr und Krokus,
Zimmt, jedweder Weihrauchbaum,
Neben Aloe und Myrrhe
Balsamsträuche ausgesucht;
Aber aus dem Quell des Gartens
Bricht ein Born voll Lebenswasser,
Rinnend von dem Libanon."
7, 12. "Komm, mein Liebster, laß uns ziehen
In die Eb'ne, für die Nacht
In den Dörfern Herberg suchen,
13. Früh dann an dem Weinberg sein,
Sehen, ob die Rebe sproßt,
Ihre Dolde sich erschlossen,
Die Granate wieder blüht.
14. Einen Liebesapfel reiche
Ich Dir dort, und Wohlgeruch
Strömt dabei von gleichen Äpfeln,
Denn vor unsern Blicken liegen
Solcher Herrlichkeiten viel,
Frische und aus frühern Jahren, -
Ich bewahrt sie dir, mein Freund.
8, 1. O wer giebt dich mir zum Bruder,
Der an meines Mutterlandes
Brust sich labt, auf daß ich dorten
Fänd' und herzte dich ganz offen,
Dieweil Niemand mich mißachtet.
2. Triebe zu dem Mutterhaus
Dich so gern, dich dorthin führend,
Solltest da mein Lehrer sein,
Und ich würde dich erquicken
Mit gewürztem Wein und Most
3. Von Granaten. - Seine Linke
Läg' wohl unter meinem Haupte,
Seine Rechte herzte mich." -
4. Töchter Zions ich beschwöre
Euch, o weckt die Liebe nicht,
Reget sie nicht, bis zu reden
Selber ihr gefallen mag.
IV.
Die letzte
Traumrede, Anspielungen auf die Seefahrt und Landung.
Übergang in den wachen Zustand.
5, 2. Wiegt mich der Schlummer, wacht doch mein Herz,
Horch, mein Geliebter nahet und pocht:
"Öffne die Pforte, Schwesterlein, mir,
Du meine Taube, mein frommes Lieb;
Sprühende Gischt benetzt mir das Haupt,
Nächtlicher Tau das lockige Haar."
3. "Hab mein Gewand bereits abgelegt,
Soll ich es umthun wieder aufs neu?
Gab meinen Füßen rein'gendes Bad,
Soll ich sie nun beflecken aufs neu?"
4. Aber mein Freund ausreckt seine Hand,
Glühend in Weiß, mein Innres erbebt,
5. So ihn es erblickend. O ich muß auf,
Für meinem Freund zu öffnen die Tür!
Mir an den Händen träufelt herab
Myrrhennaß, von den Fingern herab
Edelste Myrrhen, Riegel und Griff
6. Reichlich benetzend. - Hatte die Tür
Für meinen Freund nun offen gestellt, -
Aber mein Lieb war fort - ach war fort!
Ließ meine Seel' das schwimmende Haus,
Suchte ihn, aber findet ihn nicht,
Rief ihn, doch Antwort tönte mir nicht.
7. Fanden mich, eifrig machend die Rund,
Träger der Spieße, schlugend mich wund,
Hitzige Scharfbewaffnete ach!
Rissen die Schleierhülle mir ab."
V.
Unmittelbar
anknüpfend folgt die Schilderung des Freundes, ein kurzes
Wechselgespräch und die erste umfassende Beschreibung der
Tempeljungfrau.
8. "Töchter Zions, ich beschwör euch,
Wenn ihr findet meinen Freund,
Sagt ihm, krank sei ich vor Liebe."
9. "Sag, was hebt vor andern Freunden
Deinen Freund so sehr empor,
Schönste unter allen Frauen?
Sag, was lässet deinen Freund
Über andern hoch erscheinen,
Daß du also uns beschworen?"
10. "Glänzend strahlet mein Geliebter
Wie ein roter Edelstein,
Mehr vermögend denn Zehntausend.
11. Gold, gediegnes, ist sein Haupt,
Seine Locken Palmenzweige,
Schwärzlich fliegend wie der Rabe.
12. Seine Augen gleich den Tauben
An den Rinne voller Wasser,
Schneeig, wie in Milch gebadet,
Bleibend stets in reichster Fülle.
13. Seine Wangen Balsamträger
Duft'ger wie der feinste Strauch,
Seine Lippen lichte Lilien,
Reinste Myrrhe träuft heraus.
14. Seine Hände goldne Ringe
Voll besetzt mit Tarsisstein,
Glänzend Elfenbein sein Innres,
Reich bedeckt mit Saphirschmuck,
15. Seine Schenkel Silber-Säulen,
Fest auf gold'nem Fußgestell;
Aber der gesamte Eindruck,
Wirkt wie der des Libanon,
Und den Cedern gleichend ist er,
Bild der vollsten Manneskraft.
16. Doch sein Mund ist voller Süße,
Lieblichkeit sein ganzes Wesen.
Töchter Zions, seht ein solcher
Ist mein Liebster, ist mein Freund!"
6, 1. "Wohin gieng denn dein Geliebter,
O du Schönste aller Frau'n?
Wohin wandt' sich der Geliebte,
Suchen gerne ihn mit dir."
2. "Zu den Balsambeet in seinem
Garten mein Geliebter gieng,
Daß er sich des Lusthains freue
Und sich sammle Lilien licht."
3. Dein, o Freund, bin ich und mein du
Hirte in dem Lilienglanze!
4, 1. "Siehe, du bist schön o Freundin,
Siehe, wahrlich, du bist schön,
Unter Deiner Schleierdecke
Deine Augen Taubenaugen,
Deine Haare gleich der Schar
Cedernziegen, die sich lagert
Auf dem Berge Gilead,
2. Deine Zähne eine Herde,
Frisch beschoren, die dem Bade
Ist entstiegen, Zwillingspärchen
Sind sie alle, auch nicht eines
Ward von ihnen fortgeraubt.
3. Deine Lippen Purpurfäden,
Deine Rede wohlgeziemend,
Unter deiner Schleierdecke
Deine Wangen wie die Bäckchen
An den Früchten des Granatbaums.
4. Doch dein Hals wie Davids Turm,
Rings umbaut mit hohen Gängen,
Tausend Schilde daran hangen,
Heldenschilde insgesamt,
5. Während deine beiden Brüste,
Einer Zwillings Gotteszier,
Zweien, die da decken, gleichen,
Und des Lilienlichts sich freuen."
6. "Bis der Tag sich völlig kühlet
Und das Dunkel sich erhebt,
Will ich zu dem Myrrhenberge
Und dem Weihrauchhügel gehn."
7. "Schön, ganz schön, bist du o Freundin
Und auch nicht ein Fleck an Dir."
VI.
Die Ankunft des
Geliebten
3, 6. Wer wandelt herauf von der Ebene dort?
Ein Dampf wie die Palme gestaltet,
Ein köstlicher Weihrauch von Myrrhen, gemischt
Mit jeglichem Duftstaub des Handels.
7. O schau seine Sänfte von Salomos Hand,
Umgeben von Sechzig der Helden
8. Aus Israels Mannen, im Kriege gewandt,
Der Schwertführung kundig sind alle,
Und jeglicher trägt an der Lende das Schwert,
Doch nicht ohne Grauen vor Unglück.
9. Aus Libanonholz ihm das Sänftegestell
Der fürstliche Salomo machte,
10. Die Säulen von Silber, die Lehnen von Gold,
Von Purpur der Sitz, und inmitten
Da ruhet, aussendend die Glut, den da lieben
So innig Jerusalems Töchter.
11. Herbei denn und schauet ihr Töchter der Stadt
Den König, die Krone, mit der ihn
Jetzt schmücket die Heimat am Hochzeitfesttag,
Am Tage der Freud' seines Herzens.
VII.
Der Tempeljungfrau
Erscheinen in vollem Schmuck,
ihr sinnig bescheidenes Wesen, ihr Preis.
6, 10. Wer tritt dort hervor wie das Rot in der Früh,
So schön wie der Mond, wie die Sonne
So rein, wie des Waffenschmucks blendender Glanz?
11. "In den Garten mit Nußbäumen war ich gegangen,
Um zu schaun nach dem jungfrischen Grün an dem Bach,
Um zu seh'n ob dem Weinstocke Triebe entsprangen
Am Granatapfelbaume die Blüte sei wach."
6, 4. "Schön wie Thirza, Stadt der Anmut,
Lieblich wie Jerusalem,
Blendend wie ein Heer in Waffen,
Bist du meine Freundin jetzt.
5. Wende deine Augen von mir,
Denn sie überwält'gen mich.
8. Sechzig sind der Königinnen,
Achtzig sind der Nebenfrau'n,
Zahllos der Jungfrauen Schar,
9. Diese eine, meine Taube,
Meine Fromme,
Ihrer Mutterstadt die erste,
Die Erwählte ihres Schoßes;
Wo die Töchter sie erblicken,
Rufen alle: selig, selig,
Königinnen, Nebenfrauen
Stimmen an ihr Hallelu!"
6, 12. "Daß zum Volksheilspendenträger
Er mich wählte, meine Seele
Wußt es nicht."
7, 1. "Wende dich zur Ruh, zur Ruh,
Ruh- und Friedenspenderin du!
Wende dich zur Ruh, zur Ruh,
Andachttrunken schau'n wir zu!"
"Was erblickt ihr staunend schauend,
Wie auf Engelscharenreigen,
Als der Ruhespenderin eigen?"
2. "O wie schön ist Dein Fuß in der schützenden Hülle, du Tochter
Freiwilliger Spenden des Volkes,
Deiner Seiten geschwungene Linien gleichen dem Kunstwerk,
Gemacht von den Händen des Meisters,
3. Deiner Mitte Vertiefung dem wohlabgerundeten Becken,
Dem nimmerdar fehlet die Mischung,
Deine inneren Räume, mit leuchtenden Lilien umkränzet,
Geschüttetem goldigen Weizen
5. Und weißglenzendem Hochbau dein Nacken, jedoch deine Augen
Den Segnungen, welche entquillen
Einer sinnenden Wägung des Wertes der Tochter so Vieler;
Der Libanonwarte vergleichbar.
6. Nach dem Osten hinschauet dein Antlitz, dein Haupt wie ein Garten,
Und der Saum deines Haupt's über dir wie Gewande des Königs
Von Purpur, gebunden in Falten.
7. Oh wie schön und reizend bist du,
Liebe höchster Gotteslust,
8. Gleicht doch deine Höh' der Palme,
Datteltrauben deine Brust."
9. Sagte mir: mußt dich doch recken
Zu dem Palmenbaum empor,
Daß du seine Blätterkrone
Wonnetrunken dir beschaust.
Auf, wohlan! Laß deine Brüste
Wie die Rebentraube sein
Und den Duft von deinem Antlitz
Wie der Äpfel Wohlgeruch.
10. Sei dein Mund gleich gutem Weine,
Der glatt eingeht meinem Freund,
Ein sich schleichend durch die Lippen
Des im Schlummer Ruhenden.
11. Ganz gehör' ich meinem Freunde,
Seiner Sehnsucht Wünsche mir."
VIII.
Der Stiftshütte
Kommen und Bitte, die Bestimmung über die Hütte und Salomos Geldanspruch
an den Tempel. Der Einzug in den Wundergarten.
8, 5. Wer, gelehnt an seine Freund,
Steigt dort von der Ebene auf?
"Unter diesem Duftbaum flehe
Ich dich an, o hier, wo dich
Deine Mutterstadt in Eines
Fügt zusammen, hier wo dich
Die Erzeug'rin ließ erstehen:
6. Leg' mich gleich dem Siegelringe
An dein Herz, um deinen Arm
Schling' mich gleich dem Siegelreife,
Denn gar mächtig wie der Tod
Ist die Liebe, nimmer wankend
Wie das Totenreich ihr Eifer,
Ihre Gluten Feuersgluten,
Flammen, die der Herr entzündet.
7. Großes Wasser wird nicht Sieger
Über Liebe, sie erlöschend,
Ströme fluten sie nicht fort.
Böte jemand alle Schätze
Seines Hauses für die Liebe,
Spöttisch wiese man ihn ab."
8. "Klein und wenig nur entwicket
Ist die Schwester, was beginnen
Wir mit uns'rer Schwester heute,
Wo für sie Entscheidungstag?"
9. "Mit dem Zelt von Silber wollen
Wir umbauen sie, so weit
Selbst sie schützend Hülle war,
Und soweit sie eine Tür,
Wollen wir sie wohl verschließen
Mit dem Tafelwerk von Cedern."
10. Eine feste Schutzwehr bin ich,
Wie ein Schirmbau meine Brust,
Steh' darob vor seinen Augen
Als die Frieden Findende.
11. In der Stadt des Reichtums hatte
Einen Weinberg Salomo,
Gab den Weinberg an die Hüter,
Tausend Silberlinge brachte
Jedes Jahr von seinen Früchten.
12. Dieser Weinberg, welcher mein jetzt,
Liegt vor unsern Augen hier,
Tausend Silberling gebühren
Dir auch jetzt, o Salomo,
Und zweihundert denen, welche
Hüter seiner Früchte sind.
13. "Die du wohnst im Rebengarten
Laß mich, - die Genossen lauschen, -
Laß mich deine Stimme hören."
14. "Quer herein mein Freund und ruhe
Auf den balsamduft'gen Höhen
Dich in meiner Sänfte oder
Auf kunstvoller Schwelle Boden.
4, 16. Auf denn Nordwind, komme Südwind
Und durchwehe meinen Garten,
Daß sein Balsam niederträufle.
Komm mein Freund in deinen Garten,
Seine edlen Früchte speisend."
5, 1. "Meine Schwester und Verlobte,
Sieh, ich komm in meinen Garten,
Pflücke Myrrhen mir mit Balsam,
Speise meiner Waben Honig,
Trinke meinen Wein und Milch.
Esset Freunde, trinkt Genossen,
Trinket bis zur Fröhlichkeit."
1, 2. "Möcht' er seines Mundes Küsse
Mir doch auf die Lippen drücken,
Deine Liebe, wahrlich, wahrlich,
Ist viel köstlicher als Wein."
3. Deiner Salben Duft ist lieblich,
Schon dein Name duftet wohl,
Gleich der ausgegoss'nen Salbe,
Darum lieben dich die Jungfrau'n,
4. Ziehe mich dir nach, wir folgen."
"O es führet mich der König
In sein Brautgemach hinein!"
"Jubel lassen wir erklingen,
Fröhlich sind wir deinetwillen,
Vielmehr als des Weins gedenken
Deines Herzensfreundes wir,
Und die Frommen lieben dich."
Aus: Das hohe Lied
Salomonis
erklärt und übersetzt von
Theodor Geßner
Realschuldirektor
herausgegeben von Dr. Carl-Oskar Klüß
einem seiner Urenkel
Edition Logos Neuauflage 2000
[Das hohe Lied Salomonis Quakensbrück Rackhorst 1881]