Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209


 

DAS HOHELIED SALOMONS
 

Nach dem Lateinischen der Vulgata und nach Luthers Verdeutschung


Küß er mich den Kuss seines Mundes! Trefflicher ist deine Liebe denn Wein. Welch ein süßer Geruch deine Salbe, ausgegossne Salb ist dein Nahme, drum lieben dich die Mädgen. Zeuch mich! Laufen wir doch schon nach dir! Führte mich der König in seine Kammer, wir sprängen und freuten uns in dir.

Priesen deine Lieb über den Wein.

Lieben dich doch die Edlen all!

Schwarz bin ich, doch schön, Töchter Jerusalems! Wie Hütten Kedars, wie Teppiche Salomos.

Schaut mich nicht an dass ich braun bin, von der Sonne verbrannt. Meiner Mutter Söhne feinden mich an, sie stellten mich zur Weinberge Hüterinn. Den Weinberg der mein war hütet ich nicht.

Sage mir du den meine Seele liebt, wo du weidest? Wo du ruhest am Mittag? Warum soll ich umgehn an den Heerden deiner Gesellen.

Weist dus nicht, schönste der Weiber, folg nur den Tapfen der Heerde, weide deine Böcke um die Wohnung der Hirten.

Meinem reisigen Zeug unter Pharaos Wagen vergleich ich dich, mein liebgen. Schön sind deine Backen in den Spangen, dein Hals in den Ketten. Spangen von Gold sollst du haben mit silbernen Böcklein.

So lang der König mich koset giebt meine Narde den Ruch.

Ein Büschel Myrrhen ist mein Freund, zwischen meinen Brüsten übernachtend. Ein Trauben Kopher ist mir mein Freund in den Wingerten Engedi.

Sieh du bist schön, meine Freundinn! Sieh du bist schön! Tauben Augen die deinen.

Sieh du bist schön, mein Freund. Auch lieblich! Unser Bette grünt, unsrer Hütte Balcken sind Cedren, unsre Zinnen Cypressen.

Ich bin die Rose im Thal! Bin ein May Blümgen! Wie die Rose unter den Dornen so ist mein Liebgen unter den Mädgen. Wie der Apfelbaum unter den Waldbäumen, ist mein Liebster unter den Männern. Seines Schattens begehr ich nieder sitz ich und süss ist meinem Gaum seine Frucht. Er führt mich in die Kelter, über mir weht seine Liebe. Stützet mich mit Flaschen, polstert mir mit Äpfeln denn Kranck bin ich für Liebe. Seine lincke trägt mein Haupt, seine rechte herzt mich. Ich beschwör euch, Töchter Jerusalems, bey den Rehen, bey den Hinden des Feldes, rühret sie nicht, reget sie nicht meine Freundinn bis sie mag.

Sie ist's, die Stimme meines Freundes. Er kommt! Springend über die Berge! Tanzend über die Hügel! Er gleicht, mein Freund, einer Hinde, er gleicht einem Rehbock. Er steht schon an der Wand, siehet durchs Fenster, gucket durchs Gitter! Da beginnt er und spricht:

Steh auf, meine Freundinn, meine Schöne, und komm. Der Winter ist vorbey, der Regen vorüber. Hin ist er! Blumen sprossen vom Boden, der Lenz ist gekommen, und der Turteltaube Stimme hört ihr im Lande. Der Feigenbaum knotet. Die Rebe duftet. Steh auf, meine Freundinn, meine Schöne, und komm. Meine Taube in den Steinritzen im Hohlhort des Felshangs. Zeig mir dein Antlitz, tön deine Stimme, denn lieblich ist deine Stimme, schön dein Antliz. Fahet uns die Füchse, die kleinen Füchse die die Wingerte verderben, die fruchtbaaren Wingerte.

Mein Freund ist mein, ich sein, der unter Lilien weidet. Bis der Tag atmet, die Schatten fliehen, wende dich, sey gleich, mein Freund, einer Hinde, einem Rehbock, auf den Bergen Bether.

Auf meiner Schlafstäte zwischen den Gebürgen sucht ich den meine Seele liebt, sucht ihn, aber fand ihn nicht. Aufstehen will ich und umgehen in der Stadt, auf den Märkten und Straßen. Suchen, den meine Seele liebt, ich sucht ihn, aber fand ihn nicht. Mich trafen die umgehenden Hüter der Stadt: den meine Seele liebt, saht ihr ihn nicht? Kaum da ich sie vorüber war fand ich den meine Seele liebt, ich fass ihn, ich lass ihn nicht. Mit mir soll er in meiner Mutter Haus, in meiner Mutter Kammer.

Wer ist die herauf tritt aus der Wüsten wie Rauch Säulen, wie Gerauch Myrrhen und Weyrauch, köstlicher Spezereyen.

Schön bist du, meine Freundinn, ja schön, Taubenaugen die deinen zwischen deinen Locken.

Dein Haar eine blinkende Ziegenheerde auf dem Berge Gilead. Deine Zähne eine geschorene Heerde, aus der Schwemme steigend, all zwilings-trächtig, kein Misfall unter ihnen. Deine Lippen eine rosinfarbe Schnur, lieblich deine Rede! Wie der Ritz am Granatapfel deine Schläfe zwischen deinen Locken. Wie der Turn David dein Hals, gebauet zur Wehre, dran hängen Tausend Schilde, alles Schilde der Helden. Deine beyden Brüste, wie Rehzwillinge die unter Lilien weiden. Völlig schön bist, meine Freundinn, kein Flecken an dir.

Komm vom Libanon, meine Braut, Komm vom Libanon! Schau her von dem Gipfel Amana, vom Gipfel Senir und Hermon, von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Parden.

Gewonnen hast du mich, Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem, mit deiner Halsketten einer. Hold ist deine Liebe, Schwester, liebe Braut! Trefflicher deine Liebe denn Wein, deiner Salbe Geruch über alle Gewürze.

Honig triefen deine Lippen, meine Braut, unter deiner Zunge sind Honig und Milch, deiner Kleider Geruch wie der Ruch Libanons. Schwester, liebe Braut, ein verschlossner Garten bist du, eine verschlossne Quelle, ein versiegelter Born. Dein Gewächse ein Lustgarten Granatbäume mit der Würzfrucht. Cypern mit Narden, Narden und Saffran, Calmus und Cynnamen, allerley Weyrauch Bäume, Myrrhen und Aloe und all die trefflichsten Würzen. Wie ein Garten Brunn, ein Born lebendiger Wasser, Bäche vom Libanon. Hebe dich, Nordwind, komm, Südwind, durchwehe meinen Garten, daß seine Würze triefen.

Er komme in seinen Garten mein Freund und esse die Frucht seiner Würze!

Schwester, liebe Braut, ich kam zu meinem Garten, brach ab meine Myrrhen, meine Würze. Als meinen Seim, meinen Honig, Tranck meinen Wein, meine Milch.

Esset, Gesellen! Trincket, werdet truncken in Liebe.

Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Horch! Die Stimme meines klopfenden Freundes: Öffne mir, meine Schwester, meine Freundinn, meine Taube, meine Fromme, denn mein Haupt ist voll Taus und meine Locken voll Nachttropfen. Bin ich doch entkleidet, wie soll ich mich anziehen? hab ich doch die Füße gewaschen, soll ich sie wieder besudeln? Da reichte mein Freund mit der Hand durchs Schalter und mich überliefs. Da stund ich auf meinem Freunde zu öffnen, meine Hände troffen von Myrrhen, Myrrhen liefen über meine Hände an dem Riegel am Schloss. Ich öffnete meinem Freund aber er war weggeschlichen, hingegangen. Auf seine Stimme kam ich hervor, ich sucht ihn und fand ihn nicht, rief ihm, er antwortet nicht. Mich trafen die umgehenden Wächter der Stadt. Schlugen mich, verwundeten mich, nahmen mir den Schleier die Wächter der Mauern.

Ich beschwör euch, Töchter Jerusalems. Findet ihr meinen Freund, wollt ihr ihm sagen, daß ich für Liebe krank bin. Was ist dein Freund vor andern Freunden, du schönste der Weiber, was ist dein Freund vor andern Freunden, daß du uns so beschwörest? Mein Freund ist weiß und roth auserkohren unter viel Tausenden. Sein Haupt das reinste Gold, seine Haarlocken schwarz wie ein Rabe. Seine Augen Taubenaugen an den Wasserbächen, gewaschen in Milch, stehend in Fülle. Würzgärtlein seine Wangen, volle Büsche des Weyrauchs, seine Lippen Rosen träufelnd, köstliche Myrrhen. Seine Hände Goldringe mit Türkisen besetzt, sein Leib glänzend Elfenbein geschmückt mit Sapphiren. Seine Beine wie Marmorsäulen auf güldenen Sockeln. Seine Gestalt wie der Libanon, auserwehlet wie Cedern. Seine Kehle voll Süßigkeit, er ganz mein Begehren. Ein solcher ist mein Liebster, mein Freund ist ein solcher, o Töchter Jerusalems.

Wohin ging dein Freund, du schönste der Weiber? Wohin wandte sich dein Freund, wir wollen ihn mit dir suchen. Mein Freund ging in seinen Garten hinab, zu den Würzbeeten, sich zu weiden im Garten, Lilien zu pflücken. Mein Freund ist mein und ich bin sein der unter Lilien sich weidet.

Schön bist du, meine Freundinn, wie Thirza! Herrlich wie Jerusalem! Schröcklich wie Heerspitzen. Wende deine Augen ab von mir, sie machen mich brünstig.

Sechzig sind der Königinnen, achzig der Kebsweiber, Jungfrauen unzählig. Aber Eine ist meine Taube, Eine meine Fromme. Die einzige ihrer Mutter, die köstliche ihrer Mutter. Sie sahen die Mädgen, sie priesen die Königinnen und Kebsweiber, und rühmten sie.

Wer ist die hervorblickt wie die Morgenröthe? Lieblich wie der Mond, rein wie die Sonne, furchtbar wie Heerspitzen.

Zum Nußgarten bin ich gangen zu schauen das grünende Tal. Zu sehen ob der Weinstock triebe, ob die Granatbäume blühten.

Kehre! Kehre! Sulamith! Kehre! Kehre! Daß wir dich sehen. Seht ihr nicht Sulamith wie einen Reihen Tanz der Engel? Schön ist dein Gang in den Schuhen, o Fürstentochter, deiner Lenden gleiche Gestalt wie zwo Spangen, Spangen des Künstlers Meisterstück. Dein Nabel ein runder Becher der Fülle, dein Leib ein Weizenhaufen umsteckt mit Rosen. Dein Hals ein elfenbeinerner Turn, deine Augen wie die Teiche zu Hesbon am Thore Bathrabbim, deine Nase der Turn Libanon schauend gegen Damaskus. Dein Haupt auf dir wie Carmel, deine Haarflechten wie Purpur des Königs in Falten gebunden. Wie schön bist du, wie lieblich! du Liebe in Wollüsten. Deine Gestalt ist palmengleich, Weintrauben deine Brüste. Ich will auf den Palmbaum steigen, sagt ich, und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste seyn wie Trauben am Weinstock, deiner Nasen Ruch wie Äpfel. Dein Gaum wie guter Wein, der mir glatt eingehe, der die schlafenden geschwätzig macht.

Ich bin meinem Freunde, bin auch sein ganzes Begehren!

Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld gehn, auf den Landhäusern schlafen. Früh stehn wir auf zu den Weinbergen, sehen ob er der Weinstock blühe, Beeren treibe, Blüten die Granatbäume haben. Da will ich dich herzen nach Vermögen.

Die Lilien geben den Ruch, vor unsrer Tür sind allerlei Würze, heutige, fernige. Meine Liebe bewahrt ich dir!

Hätt ich dich, wie meinen Bruder, der meiner Mutter Brüste saugt. Fänd ich dich draus ich küßte dich, niemand sollte mich höhnen. Ich führte dich in meiner Mutter Haus, daß du mich lehrtest! Tränkte dich mit Würzwein, mit Most der Granaten.

Wer ist die herausgeht aus der Wüsten, sich gesellet zu ihrem Freund?

Unterm Apfelbaum weck ich dich, wo deine Mutter dich gebahr, wo dein pflegte, die dich zeugte.

Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn starck wie der Todt ist die Liebe. Eifer gewaltig wie die Hölle. Ihre Glut Feuer-Glut, eine fressende Flamme. Viel Wasser können die Liebe nicht löschen, Ströme sie nicht ersäufen. Böt einer all sein Haab und Gut um Liebe man spottete nur sein.

Aus: J. W. von Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. 28. August 1949. Hrsg. von Ernst Beutler. Band 15. Übertragungen. Artemis Verlag Zürich und Stuttgart. 2. Auflage 1964

 

 

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