DAS HOHELIED SALOMONS
Nach dem
Lateinischen der Vulgata und nach Luthers Verdeutschung
Küß er mich den Kuss seines
Mundes! Trefflicher ist deine Liebe denn Wein. Welch ein
süßer Geruch deine Salbe, ausgegossne Salb ist dein
Nahme, drum lieben dich die Mädgen. Zeuch mich! Laufen
wir doch schon nach dir! Führte mich der König in seine
Kammer, wir sprängen und freuten uns in dir.
Priesen deine Lieb über den
Wein.
Lieben dich doch die Edlen
all!
Schwarz bin ich, doch schön,
Töchter Jerusalems! Wie Hütten Kedars, wie Teppiche
Salomos.
Schaut mich nicht an dass ich
braun bin, von der Sonne verbrannt. Meiner Mutter Söhne
feinden mich an, sie stellten mich zur Weinberge
Hüterinn. Den Weinberg der mein war hütet ich nicht.
Sage mir du den meine Seele
liebt, wo du weidest? Wo du ruhest am Mittag? Warum soll
ich umgehn an den Heerden deiner Gesellen.
Weist dus nicht, schönste
der Weiber, folg nur den Tapfen der Heerde, weide deine
Böcke um die Wohnung der Hirten.
Meinem reisigen Zeug unter
Pharaos Wagen vergleich ich dich, mein liebgen. Schön
sind deine Backen in den Spangen, dein Hals in den
Ketten. Spangen von Gold sollst du haben mit silbernen
Böcklein.
So lang der König mich koset
giebt meine Narde den Ruch.
Ein Büschel Myrrhen ist mein
Freund, zwischen meinen Brüsten übernachtend. Ein
Trauben Kopher ist mir mein Freund in den Wingerten
Engedi.
Sieh du bist schön, meine
Freundinn! Sieh du bist schön! Tauben Augen die deinen.
Sieh du bist schön, mein
Freund. Auch lieblich! Unser Bette grünt, unsrer Hütte
Balcken sind Cedren, unsre Zinnen Cypressen.
Ich bin die Rose im Thal! Bin
ein May Blümgen! Wie die Rose unter den Dornen so ist
mein Liebgen unter den Mädgen. Wie der Apfelbaum unter
den Waldbäumen, ist mein Liebster unter den Männern.
Seines Schattens begehr ich nieder sitz ich und süss ist
meinem Gaum seine Frucht. Er führt mich in die Kelter,
über mir weht seine Liebe. Stützet mich mit Flaschen,
polstert mir mit Äpfeln denn Kranck bin ich für Liebe.
Seine lincke trägt mein Haupt, seine rechte herzt mich.
Ich beschwör euch, Töchter Jerusalems, bey den Rehen,
bey den Hinden des Feldes, rühret sie nicht, reget sie
nicht meine Freundinn bis sie mag.
Sie ist's, die Stimme meines
Freundes. Er kommt! Springend über die Berge! Tanzend
über die Hügel! Er gleicht, mein Freund, einer Hinde,
er gleicht einem Rehbock. Er steht schon an der Wand,
siehet durchs Fenster, gucket durchs Gitter! Da beginnt
er und spricht:
Steh auf, meine Freundinn,
meine Schöne, und komm. Der Winter ist vorbey, der Regen
vorüber. Hin ist er! Blumen sprossen vom Boden, der Lenz
ist gekommen, und der Turteltaube Stimme hört ihr im
Lande. Der Feigenbaum knotet. Die Rebe duftet. Steh auf,
meine Freundinn, meine Schöne, und komm. Meine Taube in
den Steinritzen im Hohlhort des Felshangs. Zeig mir dein
Antlitz, tön deine Stimme, denn lieblich ist deine
Stimme, schön dein Antliz. Fahet uns die Füchse, die
kleinen Füchse die die Wingerte verderben, die
fruchtbaaren Wingerte.
Mein Freund ist mein, ich
sein, der unter Lilien weidet. Bis der Tag atmet, die
Schatten fliehen, wende dich, sey gleich, mein Freund,
einer Hinde, einem Rehbock, auf den Bergen Bether.
Auf meiner Schlafstäte
zwischen den Gebürgen sucht ich den meine Seele liebt,
sucht ihn, aber fand ihn nicht. Aufstehen will ich und
umgehen in der Stadt, auf den Märkten und Straßen.
Suchen, den meine Seele liebt, ich sucht ihn, aber fand
ihn nicht. Mich trafen die umgehenden Hüter der Stadt:
den meine Seele liebt, saht ihr ihn nicht? Kaum da ich
sie vorüber war fand ich den meine Seele liebt, ich fass
ihn, ich lass ihn nicht. Mit mir soll er in meiner Mutter
Haus, in meiner Mutter Kammer.
Wer ist die herauf tritt aus
der Wüsten wie Rauch Säulen, wie Gerauch Myrrhen und
Weyrauch, köstlicher Spezereyen.
Schön bist du, meine
Freundinn, ja schön, Taubenaugen die deinen zwischen
deinen Locken.
Dein Haar eine blinkende
Ziegenheerde auf dem Berge Gilead. Deine Zähne eine
geschorene Heerde, aus der Schwemme steigend, all
zwilings-trächtig, kein Misfall unter ihnen. Deine
Lippen eine rosinfarbe Schnur, lieblich deine Rede! Wie
der Ritz am Granatapfel deine Schläfe zwischen deinen
Locken. Wie der Turn David dein Hals, gebauet zur Wehre,
dran hängen Tausend Schilde, alles Schilde der Helden.
Deine beyden Brüste, wie Rehzwillinge die unter Lilien
weiden. Völlig schön bist, meine Freundinn, kein
Flecken an dir.
Komm vom Libanon, meine
Braut, Komm vom Libanon! Schau her von dem Gipfel Amana,
vom Gipfel Senir und Hermon, von den Wohnungen der
Löwen, von den Bergen der Parden.
Gewonnen hast du mich,
Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem, mit
deiner Halsketten einer. Hold ist deine Liebe, Schwester,
liebe Braut! Trefflicher deine Liebe denn Wein, deiner
Salbe Geruch über alle Gewürze.
Honig triefen deine Lippen,
meine Braut, unter deiner Zunge sind Honig und Milch,
deiner Kleider Geruch wie der Ruch Libanons. Schwester,
liebe Braut, ein verschlossner Garten bist du, eine
verschlossne Quelle, ein versiegelter Born. Dein
Gewächse ein Lustgarten Granatbäume mit der
Würzfrucht. Cypern mit Narden, Narden und Saffran,
Calmus und Cynnamen, allerley Weyrauch Bäume, Myrrhen
und Aloe und all die trefflichsten Würzen. Wie ein
Garten Brunn, ein Born lebendiger Wasser, Bäche vom
Libanon. Hebe dich, Nordwind, komm, Südwind, durchwehe
meinen Garten, daß seine Würze triefen.
Er komme in seinen Garten
mein Freund und esse die Frucht seiner Würze!
Schwester, liebe Braut, ich
kam zu meinem Garten, brach ab meine Myrrhen, meine
Würze. Als meinen Seim, meinen Honig, Tranck meinen
Wein, meine Milch.
Esset, Gesellen! Trincket,
werdet truncken in Liebe.
Ich schlafe, aber mein Herz
wacht. Horch! Die Stimme meines klopfenden Freundes:
Öffne mir, meine Schwester, meine Freundinn, meine
Taube, meine Fromme, denn mein Haupt ist voll Taus und
meine Locken voll Nachttropfen. Bin ich doch entkleidet,
wie soll ich mich anziehen? hab ich doch die Füße
gewaschen, soll ich sie wieder besudeln? Da reichte mein
Freund mit der Hand durchs Schalter und mich überliefs.
Da stund ich auf meinem Freunde zu öffnen, meine Hände
troffen von Myrrhen, Myrrhen liefen über meine Hände an
dem Riegel am Schloss. Ich öffnete meinem Freund aber er
war weggeschlichen, hingegangen. Auf seine Stimme kam ich
hervor, ich sucht ihn und fand ihn nicht, rief ihm, er
antwortet nicht. Mich trafen die umgehenden Wächter der
Stadt. Schlugen mich, verwundeten mich, nahmen mir den
Schleier die Wächter der Mauern.
Ich beschwör euch, Töchter
Jerusalems. Findet ihr meinen Freund, wollt ihr ihm
sagen, daß ich für Liebe krank bin. Was ist dein Freund
vor andern Freunden, du schönste der Weiber, was ist
dein Freund vor andern Freunden, daß du uns so
beschwörest? Mein Freund ist weiß und roth auserkohren
unter viel Tausenden. Sein Haupt das reinste Gold, seine
Haarlocken schwarz wie ein Rabe. Seine Augen Taubenaugen
an den Wasserbächen, gewaschen in Milch, stehend in
Fülle. Würzgärtlein seine Wangen, volle Büsche des
Weyrauchs, seine Lippen Rosen träufelnd, köstliche
Myrrhen. Seine Hände Goldringe mit Türkisen besetzt,
sein Leib glänzend Elfenbein geschmückt mit Sapphiren.
Seine Beine wie Marmorsäulen auf güldenen Sockeln.
Seine Gestalt wie der Libanon, auserwehlet wie Cedern.
Seine Kehle voll Süßigkeit, er ganz mein Begehren. Ein
solcher ist mein Liebster, mein Freund ist ein solcher, o
Töchter Jerusalems.
Wohin ging dein Freund, du
schönste der Weiber? Wohin wandte sich dein Freund, wir
wollen ihn mit dir suchen. Mein Freund ging in seinen
Garten hinab, zu den Würzbeeten, sich zu weiden im
Garten, Lilien zu pflücken. Mein Freund ist mein und ich
bin sein der unter Lilien sich weidet.
Schön bist du, meine
Freundinn, wie Thirza! Herrlich wie Jerusalem!
Schröcklich wie Heerspitzen. Wende deine Augen ab von
mir, sie machen mich brünstig.
Sechzig sind der Königinnen,
achzig der Kebsweiber, Jungfrauen unzählig. Aber Eine
ist meine Taube, Eine meine Fromme. Die einzige ihrer
Mutter, die köstliche ihrer Mutter. Sie sahen die
Mädgen, sie priesen die Königinnen und Kebsweiber, und
rühmten sie.
Wer ist die hervorblickt wie
die Morgenröthe? Lieblich wie der Mond, rein wie die
Sonne, furchtbar wie Heerspitzen.
Zum Nußgarten bin ich gangen
zu schauen das grünende Tal. Zu sehen ob der Weinstock
triebe, ob die Granatbäume blühten.
Kehre! Kehre! Sulamith!
Kehre! Kehre! Daß wir dich sehen. Seht ihr nicht
Sulamith wie einen Reihen Tanz der Engel? Schön ist dein
Gang in den Schuhen, o Fürstentochter, deiner Lenden
gleiche Gestalt wie zwo Spangen, Spangen des Künstlers
Meisterstück. Dein Nabel ein runder Becher der Fülle,
dein Leib ein Weizenhaufen umsteckt mit Rosen. Dein Hals
ein elfenbeinerner Turn, deine Augen wie die Teiche zu
Hesbon am Thore Bathrabbim, deine Nase der Turn Libanon
schauend gegen Damaskus. Dein Haupt auf dir wie Carmel,
deine Haarflechten wie Purpur des Königs in Falten
gebunden. Wie schön bist du, wie lieblich! du Liebe in
Wollüsten. Deine Gestalt ist palmengleich, Weintrauben
deine Brüste. Ich will auf den Palmbaum steigen, sagt
ich, und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste seyn
wie Trauben am Weinstock, deiner Nasen Ruch wie Äpfel.
Dein Gaum wie guter Wein, der mir glatt eingehe, der die
schlafenden geschwätzig macht.
Ich bin meinem Freunde, bin
auch sein ganzes Begehren!
Komm, mein Freund, laß uns
aufs Feld gehn, auf den Landhäusern schlafen. Früh
stehn wir auf zu den Weinbergen, sehen ob er der
Weinstock blühe, Beeren treibe, Blüten die Granatbäume
haben. Da will ich dich herzen nach Vermögen.
Die Lilien geben den Ruch,
vor unsrer Tür sind allerlei Würze, heutige, fernige.
Meine Liebe bewahrt ich dir!
Hätt ich dich, wie meinen
Bruder, der meiner Mutter Brüste saugt. Fänd ich dich
draus ich küßte dich, niemand sollte mich höhnen. Ich
führte dich in meiner Mutter Haus, daß du mich
lehrtest! Tränkte dich mit Würzwein, mit Most der
Granaten.
Wer ist die herausgeht aus
der Wüsten, sich gesellet zu ihrem Freund?
Unterm Apfelbaum weck ich
dich, wo deine Mutter dich gebahr, wo dein pflegte, die
dich zeugte.
Setze mich wie ein Siegel auf
dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn starck wie
der Todt ist die Liebe. Eifer gewaltig wie die Hölle.
Ihre Glut Feuer-Glut, eine fressende Flamme. Viel Wasser
können die Liebe nicht löschen, Ströme sie nicht
ersäufen. Böt einer all sein Haab und Gut um Liebe man
spottete nur sein.
Aus: J. W. von
Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche.
28. August 1949. Hrsg. von Ernst Beutler. Band 15.
Übertragungen. Artemis Verlag Zürich und Stuttgart. 2.
Auflage 1964