Lieder
der Liebe
Die ältesten und
schönsten aus Morgenlande Nebst vier und vierzig alten Minneliedern.
Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung 1778
Teil 1:
Salomons Hohes Lied
Er küsse mich
Mit seines Mundes Küssen:
Denn deine Lieb ist lieblicher, denn Wein.
Wie deiner süssen Salben Duft,
So ist zerfliessender Balsam
Dein Name:
Darum lieben die Jungfrauen dich.
Zeuch mich dir nach!
Wir eilen; mich
Führete der König in seine Kammer.
Wir jauchzen, wir erfreun uns dein!
Gedenken an deine Liebe,
Mehr als an Wein
Von Herzen lieben wir dich.
Vielleicht ward dieser
Seufzer mit einer schmachtenden Blume, mit einer
duftenden Morgenrose übersandt; das sehnende Mädchen
duftet mit hinüber.
Süß ist ihr auch des
Abwesenden Kuß! ihr duften seine Salben. Wenn nur sein
Name genannt wird, ist die Luft umher Balsam.
So liebt sie ihn nicht
allein: so wird er von Allen geliebt. Alle ihre
Gespielinnen wandelt der Duft seines Namens an "o
wenn er mir, mir winkte!" und siehe, sie ist
allen vor. "Zeuch mich! der König hat mich
in seiner Kammer." Sie jauchzet, sie erfreut sich an
Ihm, genießt unvergleichbare Freuden.
Und gleich ist sie
wieder in ihrer Freundinnen Kreise. Wie sie liebt, lieben
alle, jauchzen, reden von seinen Umarmungen statt Weins
und Freuden. Ihr aller Herz und Seele ist an ihm.
Könnet ihr euch einen
Monarchen Orients denken, dem in seinem Garten der Liebe
lieblicher geschmeichelt werde? Statt Eifersucht und
Neides, statt Zanks und Untreu, ist aller Stimme nur Eine
Stimme, aller Gedanke und Herz nur Ein Herz. Ein
schüchternes Täubchen bringt der Brief, und buhlt um
ihn, aber nur als ihrer Schwestern Bote. Unwillig drang
sich ihr Seufzer vor; und sonst genießet sie ihn immer.
Du und Er, Ich und Wir wechseln: auch der Ferne ist er
ihr nahe, sie spricht mit ihm, wenn sie nur wünschet.
Die
Stimme schweigt; es läßt sich ganz eine andrere hören:
Schwarz bin ich und
doch lieblich,
Ihr Töchter Jerusalem!
Wie der Kedarenen Gezelte.
Wie die Decken Salomons.
Seht mich nicht an, daß ich schwärzlich bin:
Mich brannte die Sonne.
Die Söhne meiner Mutter zürneten mir:
Sie satzten zur Weinberghüterin mich,
Und meinen, meinen Weinberg
Hütet' ich nicht.
O sage mir,
Den meine Seele liebt:
Wo weidest du?
Wo lagerst du
Am Mittag'?
Daß ich nicht, wie Verhüllete, geh
Zu Heerden deiner Gespielen.
"Und weißest du das nicht,
Schönste der Weiber;
So folge den Tritten der Heerde nach,
Und weide deine Ziegen
Bei den Zelten der Hirten."
Wie anders ist hier
Alles! Dort Duft und Salben, Wein und Freuden,
Freundinnen und Königskammern; hier eine Hirtin auf
ofner Flur, ein schwarzes von den Töchtern der Stadt
beneidetes Landmädchen. Ein Kind der Sonne von Jugend
auf und auch jetzt, wie im Brande des Mittags lechzend.
Ihr Geliebter ist selbst ein Hirt, der unter andern
Heerden weidet, den sie sucht, mit deßen Decke sie sich
vergleicht, der ihr in eben dem Tone, als einem
unbekannten schüchternen Landmädchen antwortet. Das
ganze Stück athmet freies Feld, Mittagsruhe, Hirten- und
Landeinfalt.
So fängt die freie
Unschuldige an, sie weiß was sie ist und nicht ist,
fodert die Weißen und Zarten der weichlichen
Königsstadt aus, und trutzt, der Liebe ihres Liebenden
gewiß, ihrem hönenden Blicke.
Sie redet von sich in
einem Landgleichniß; aber wie meistens diese Gleichniße
sind, vielseitig, wahr, treffend. Die Zelte der
Kedarenischen Hirten sind schwarz, grob, schlecht, von
Kameelhaaren gewebt, im Sonnenbrande, so wie sie,
lechzend; aber doch sind sie schön, "nichts ist
anmuthiger, sagen die Reisende, als eine weitläufige
Ebne voll dieser schwarzer Zelte." Dazu lagern sich
die Kedarenen, d.i. die umziehenden Hirten meistens in
Gegenden, die sie Roubha, d.i. schöne Luft nennen, wo
sie Aussicht haben, und grüne Weiden und Waßerquellen,
wo also das Herz des ziehenden dürstenden Morgenländers
mit dem Anblick solcher Zelte erquickt wird. - -
Und daß endlich auch
Salomo sie nicht verschmähe, daß auch Er unter solchen
Zelten wohne; der Zusatz gibt dem Bilde die schönste
Farbe. Sie ist in ihrer Niedrigkeit groß, in ihrer von
Salomo geliebten Schwärze lieblich: -
Wie
Kedarenische Decken,
wie Salomonische Zelte.
Das Übrige ist in
gleichem Tone der Unschuld und Landeinfalt. Ihre
Neiderinnen macht sie zu Vertrauten ihres Schicksals, das
hart war in früher Jugend. Ihre Brüder selbst, die sie
"Söhne ihrer Mutter" nennet, um das Unrecht,
das sie ihr thaten, ganz zu zeigen, stiessen sie aus
ihres Vaters Hause. Sie muste ihnen Magd,
Weinberghüterin, werden; ihnen sollte sie Haab' und Gut
bewachen und ihre eigene, einzige Haabe, der Reichthum,
den ihr die Natur verliehen, ging damit unbarmherzig
verlohren. Wie ländlich abermals diese Vergleichung,
daß sie die Schönheit schlechthin ihren Weinberg
nennet! Ihr Reichthum ist nun dahin, durch den Blick der
Sonne ihr geraubet - -
Und da wendet sich ihr
Auge von allen gaffenden und neidenden Schönen, zu dem,
der sie liebet. Sie schmachtet ihm nach, unbekannt und
schaamroth, lange wie eine Verlohrne umirren zu müssen,
nach ihm in fremden Gezelten zu fragen:
O sage mir
Den meine Seele liebet,
Wo weidest du?
Wo zeltest du
Am Mittag?
Er ist also Hirt, wie
sie; nur sie mit ein paar Ziegen und Er mit vielen Hirten
und Heerden. Und da wird ihr ein Wink ihres Geliebten,
sich, unbekannt und schüchtern, lieber nicht von der
Heerde zu entfernen, in ihren Tritten zu bleiben und ihr
Paar Ziegen nach den Zelten seiner Hirten zu weiden: da
finde sie ihn, sie, die Schönste der Weiber.
Schöne Scene der Hirtenunschuld.
Ganz anders thut es
sich auf in folgendem Gespräche:
Meinem Roß an
Pharao Wagen
Gleich' ich, o Freundin, dich.
Lieblich stehn in den Spangen deine Wangen:
Dein Hals in den Ketten schön.
Goldketten laß' ich dir machen,
Mit Pünktchen Silber gesprengt.
Und ihre
wetteiferne Antwort:
Wohin der König sich
wandte,
Gab meine Narde Duft!
Ein Sträuschen Myrrhe sollst du, mein Lieber,
Mir zwischen den Brüsten ruhn!
Ein Palmenknöspchen bist du, mein Lieber,
Mir aus dem Engeddi-Garten.
Die Bilder sind uns
alle fremd, aber schön: die vorige Scene der
schüchternen Armuth ist in Stolz und Pracht verwandelt.
Da steht sie, die Königliche Braut, wie das
Prachtgeschöpf Orients, das Aegyptische Roß vor dem
Königswagen. So ihr Wuchs, so ihre Zier. Hoch trägt sie
ihren Hals in der Kette, ihre Wange an der Spange steht
schön. Der König weiß nichts, als von neuer Pracht,
von neuer Zierde - -
Nicht so die Geliebte;
die ist an Ihm, nicht am Schmucke; in Liebe, nicht in
Pracht. Sie spricht im Reiche der Blumen, nicht des
Goldes: dies, auch in Geschenken, ist todt; ihre Bilder,
ihre Denkmahle von ihm leben.
Wohin er sich wandte,
(oder nach andern, so bald er sich zu ihr wandte, so
lange er mit ihr am Mahl war): da duftete ihre Narde. Sie
fühlte seine Gegenwart und duftet zu ihm und duftet
schöner. Auch entfernt von ihm, ist er ihrem Herzen nah;
im Myrrhenstrauße, den er ihr sandte, kühlet er ihren
Busen, darauf übernachtend, als das lebende Sinnbild
ihres Geliebten auch im Traum und Schlummer.
Endlich, (und das
dritte Bild vollendet Alles) er ist ihr die junge
Blüthentraube aus dem Palmenhayne zu Engeddi, nach dem
Sinne Orients das schönste Bilde der Belebung, Frucht
und Fülle.
Es ist nehmlich
bekannt, daß der weibliche Palmbaum mit einem Büschel
männlicher Blumen bestreuet und belebt wird; oder man
nimmt die männliche Blüthensproße, ehe sie ausbricht,
und verhüllet sie in die kleinen Zweige der weiblichen
Blume. In diesem Zustande heißt die Palmenblüthe
Kopher, d.i. verhüllet: sie muste noch unausgebrochen,
und voll des feinen, frischen, Aromatischen Thaues seyn,
der die erste Frische der Datteln an Anmuth und Würze
übertrifft. In der weiblichen Blume verhüllet, haucht
er sie an mit Duft und Leben. Kann ein schöner Bild
gefunden werden, das da sage: "ohne dich sind meine
Blüthen leblos; dein Athem, ein zarter, junger, frischer
Himmelsthau macht Alles in mir lebendig mit neuen
Kräften, Gefühlen, mit neuer Schöpfung."
Und das sagten die
vorigen Bilder, Nardus und Myrrhe und die Palmensproße
sagets am schönsten. Was ist ein Jüngling, deßen
eigenstes Bild diese süße Lebensblüthe seyn kann? Wie
zart ist die Liebe, die ihn also betrachtet, also liebet
und sich als blühenden Palmenbaum fühlet!
Und da in Orient dies
Alles Natur ist, da die Geliebten keine schönere Sprache
haben, als daß sie einander Blumen zusenden, sich damit
fragen und Antwort geben, und jede in diesem Wörterbuch
der Liebe ihre bestimmte Bedeutung hat; du übernachtende
Myrrhe und du verhüllte Palmenblüthe; wie übertrefft
ihr Gold und Kleinode, als Andenken des Geliebten!
O schön bist
du, meine Liebe,
O schön bist du!
Deine Augen Täubchen - -
"O schön bist du, mein Lieber,
Auch hold bist du,
Und unser Bette grünt.
Die Balken unsrer Häuser Cedern,
Die Wände Cypressen;
Und ich die Rose des Feldes,
Die Lilie im Thal."
"Wie die Lilie unter den Dornen,
Ist meine Freundin unter den Töchtern."
"Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen im Walde,
So ist mein Lieber unter den Söhnen.
In seinem Schatten
Erquick' ich mich,
Und sitze nieder,
Und seine Frucht
Ist meinem Munde süß.
Er hat mich geführt
In ein Haus des Weins!
Und sein Panier,
Ueber mir droben,
Ist Liebe.
O stärkt mich mit dem Weine!
O labt mich mit den Aepfeln!
Denn ich bin krank für Liebe.
Seine Linke
Mir unterm Haupt.
Seine Rechte
Umfaßt mich."
"Ich beschwör' euch, Töchter Jerusalem,
Bei den Hinden, bei dem Rehe der Flur.
Wenn ihr sie weckt!
Wenn ihr sie regt!
Bis es ihr gefällt.
Welche süße
Träumerei der Liebe! Gelänge es mir, sie, die so
mißverstanden ist, in ihrem fortgehenden Rausch und
Fluge zu entwickeln, welche Scene des Paradieses!
Das Lob des Geliebten
an seine Liebe fängt an; er will ihre Schönheit
schildern und der erste Zug derselben, der erste Zug der
ersten Beschreibung im ganzen Buche ist
Bescheidenheit und Unschuld. Ihre Augen sind Täubchen,
schüchterne Täubchen.
Und als solche beweiset
sie sich sogleich. Sie unterbricht seinen Gesang, sie
will nicht ihr Lob hören.
Sie lobt ihn; aber auch
nur mit Einem Zuge. Die Tochter der Unschuld blickt umher
und die ganze Natur um sie wird Paradies, Pallast,
Brautbett der Liebe. Die hohen Cedern sind gepflanzt, zu
Balken ihres Hauses der Liebe: die immergrünenden
Cypressen für sie gereihet, ewige Wände ihres Hauses
der Liebe; und was ist sie in diesem grossen schönen
Tempel?
Rose des
Feldes!
Lilie im Thal!
Welche
Bescheidenheit! Welche Demuth! Die Ceder hat Gott
gepflanzt, die Cypresse "steigt wie eine Pyramide zu
den Wolken, der gröste Schmuck, den die Natur den
Gegenden schenkte;" und sie ist die Blume des
Feldes, womit die Natur dort Alles bedeckt hat, das
Veilchen, die Mayblume, die sich unter den Füßen des
Wanderers verlieret. Es ist unrecht, daß man hier den
Zusammenhang durchs Kapitel trennte und die Blume Sarons
zur grösten Prachtblume machte; sie ist, auch im Munde
Christi, das Bild der schönen Niedrigkeit, der
lieblichen Demuth.
So nimmt
auch ihr Geliebter das Bild; aber er verwandelts in
Hoheit. "Lilie, - ja wie die Lilie unter den Dornen,
so du unter den Mädchen." Und sie, die abermals,
wie ein Veilchen, sich dem Lobe verbirgt, gibts ihm mit
Wucher zurück. Er wird ein schöner blühender Apfelbaum
unter den wilden Bäumen, (mit denen dort ebenfalls die
Gegenden bedeckt sind,) und das Bild wird ihr ein ganzer
Traum der Liebe. Da sitzt sie unter dem holden Baum und
erquickt sich in seinem weiten Schatten, und droben
lachen liebliche Früchte. Sie begehrt, genießt; wie
süß dem Munde! Wie Kraftvoll! Sie ist nicht mehr unter
dem Baume, sie ist entzückt in ein Haus des Weines.
Der Baum,
der über ihr webet, dünkt ihrem zunehmenden süßen
Rausche Panier der Liebe. Sie schwimmet, sie schwindet im
Meer seiner Kühle und Entzückung; die süße Frucht
ihres Geliebten, Apfel und Weinhülle, dünkt ihr Eins;
"o labt mich mit dem Weine! o stärkt mich mit den
Aepfeln! Denn ich bin krank für Liebe." Sie sinkt,
und was bisher Bild des Baums war, wird im Traume in
Würklichkeit und Person verwandelt:
"Seine
Linke
Mir unterm Haupt:
Seine Rechte
Umfaßt mich."
Sanft zerrinnen ihre
Sinnen unter dem webenden Baum im Schoosse der Natur,
Unschuld und Liebe.
Und ihr Geliebter singt
das süße Schlummerlied, bei dem gleichsam die ganze
Natur feiret. Das flüchtige Reh, die leise Hindin
schweben vorüber und scheuen sich zu rauschen; "ihr
Töchter Jerusalems, Gespielinnen, folget dem Beispiel,
weckt sie nicht, regt sie nicht, bis sie selbst
erwacht." Sie schläft im süßesten Genuße, dem
Traum der Liebe. Der Augenblick ist so schön, daß noch
am Ende des Buchs dieser Apfelbaum vorkommen wird, als
ein Andenken der schönsten Jugend, den damals gemachten
Bund auf immer zu vesten.
O ihr Bräute
jugendlicher Unschuld, Liebe und Freude, kennet ihr etwas
süßers, als die Zeit, da euer Geliebter euch Alles war
und Alles in Hoffnung, in Ahndung ungefühlter Freuden?
Träumt ihn lange den seligen Traum Adams und Eva's im
Paradiese: umarmet den geliebten Baum und labt euch, und
sehet in ihm das Panier der Liebe weben.
Noch ist euch die ganze
Natur Brautbett: alles Grünende euer Haus, alles
Himmelansteigende euer Portal, eure Krone. Konnte Gott
dem Adam im Paradiese mehr geben, als diesen Traum
zukünftiger Freuden? und wo er lebet, ist Paradies: das
Mädchen, das ihn träumt, schlummert in Unschuld.
Schont sie, Jerusalems
Töchter, wecket sie nicht: sie schläft noch als
Königin der Natur, auch das wilde Reh hat vor ihr
Ehrfurcht. Der Rausch ihrer Freude ist Hoffnung! Ihr
Panier ist die Liebe!
Stimme meines
Lieben!
Siehe, er kommt!
Springt über die Berge,
Hüpft über die Hügel.
Wie ein Reh ist mein Lieber,
Wie ein flüchtiger Hirsch.
Siehe, da stehet er schon
Dahinter der Wand,
Schaut durchs Geländer,
Blinket durchs Gitter.
Er spricht mein Lieber,
Er spricht zu mir:
Steh auf, meine Liebe,
Steh auf, meine Schöne,
Komm!
Denn siehe, der Winter ist über,
Der Regen ist über, vorüber!
Man sieht schon Blumen am Boden,
Die Zeit des Gesanges ist da.
Man hört die Stimme
Der Turteltaube
Auf unsrer Flur.
Der Feidenbaum hat seine Feigen
Mit Süße gewürzt.
Des Weinstocks junge Trauben
Duften schon.
Steh auf, meine Liebe,
Steh auf, meine Schöne,
Komm!
Mein Täubchen in den Spalten des Felsen,
In den holen Klüften der Steige,
Laß sehn mich deine Gestalt,
Laß deine Stimme mich hören,
Denn deine Stimme ist lieblich,
Denn deine Gestalt ist schön.
Daß dies Stück mit
dem vorigen nicht zusammenhange, siehet ein jeder. Dort
entschlief das Mädchen unter dem Apfelbaum, im Träume
des Geliebten, der ihr ein Schlummerlied sang. Hier ist
er entfernt, lange entfernt gewesen: sie hat die
Regenzeit des Winters, wie ein eingeschloßenes Täubchen
in den Felsenritzen, zugebracht; jetzt erweckt sie, nicht
Frühling, nicht Lerche, sondern Stimme des Geliebten,
der fernher kommt und ihr Frühling und Freude bringet.
Von ferne kennt sie
seine Stimme und er ists. Er hüpft, er springt über die
kleinen Berge, von denen Palästina voll ist, ein
hüpfender Hirsch, ein springendes Reh. Da steht er schon
hinter der grünen Wand, blickt durchs Geländer, blinkt,
wie eine ausbrechende Blume, durchs Gegitter, nun spricht
er, nur singt er, horch! Alles, was Frühling und Liebe,
Garte und Morgen geben kann, ist in dem Liede; der
liebkosende Ton des Originals aber ist unübersetzbar.
Er ruft sein Täubchen
aus der Felshöle und lockt sie mit allem Reiz und
Schmucke des Frühlings. Alles ist da, nur sie fehlt;
auch das Turteltäubchen, ihre Gespielin. Alle dufte,
blühe, singe; nur ihre Stimme und schöne Gestalt
fehlen. - - Und sie läßt sie noch schweigen, das
Täubchen antwortet nicht. Es ist offenbar ein einzelnes
abgebrochnes Stück, der erste Frühlingsbesuch der Liebe
Und in Orient, wo auf
Einmal Frühling wird, wo, wenn die Regenzeit vorüber
ist, die Natur erwacht und oft an Einem Morgen plötzlich
eine ganz andre Welt zeiget, ists Zug vor Zug Wahrheit.
Eben so das Folgende:
Faht uns die
Füchse,
Die kleinen Füchse,
Die Weinbergverderber,
Der Weinberg knospt.
Es hangt weder mit dem
Vorigen, noch mit dem Folgenden zusammen: es ist ein
einzelnes Scheuchlied, wie man ja Jagd- und Ernte-,
Kriegs- und Fischerlieder hat; dem Schäferleben des
Orients war dies Scheuchlied wider die sogenannten Dibs
oder Jackals nöthig. Bekanntlich sind dies kleine
Füchse, dunkler als diese, die in Orient in Heerden
gehen, alle Nacht um Gärten belfern und den Früchten,
insonderheit dem Weine sehr schädlich sind. Der Sammler
setzte das Lied hieher, ohne Zweifel, weil im Vorigen die
Jahrszeit, zu der auch knospende Weinberge gehören, als
blühend beschrieben ward. Das ist nun die Zeit des
Geschäfts in diesem Liede, wie im folgenden, das eben so
einzeln dasteht:
Mein Lieber
ist mein,
Und ich bin sein.
Er weidet in Blumen,
Bis der Tag sich kühlt,
Und die Schatten fliehen.
Kehr um denn, o Lieber,
Sei wie ein Reh,
Wie ein flüchtiger Hirsch,
Ueber die Berge,
Die uns jetzt trennen. - -
Ihr Geliebter ist im
Geschäft seines Weidens. Er weidet unter Blumen, mit
denen dort Thal und Höhen bedeckt sind. Fern von ihr;
aber er wird wiederkommen, mit der Kühle des Tages, mit
den längern Schatten; wird wie ein Hirsch springen über
die Berge, die jetzt sie trennen. Das Lied ist unschuldig
und süß; es versingt ihr die Zeit der Einsamkeit und
der Entfernung, die lange schwüle Tagesstunde mit dem
Andenken ihres Lieben. Und nun ist Morgen, Tag,
Abend gefeiert; hier kommt ein düstrer Nachtgesang, eben
so schön und einzeln.
In meinem
Bette suchte ich,
Die lange Nacht,
Den meine Seele liebet
Ich suchte ihn und fand ihn nicht.
Ich will aufstehn nun,
Die Stadt umgehn,
In den Strassen,
In den Gaßen,
Und suchen ihn,
Den meine Seele liebet;
Ich suchte ihn und fand ihn nicht.
Mich fanden die Wächter,
Die die Stadt umgehn:
"Den meine Seele liebet,
Sahet ihr ihn?"
Ein wenig weiter, ihnen vorüber,
Da fand ich ihn, den meine Seele liebt.
Ich hab ihn und will ihn nicht lassen,
Bis daß ich ihn führe
Ins Haus meiner Mutter,
In meiner Gebährerin Kammer - -
Siehe einen Nacht- und
Klagegesang voll Einfalt, Handlung, Schmerz und Freude.
Welch ein Tappen und Suchen in der Finsterniß durch
Nächte und Nachtzeiten! sie fährt in Träumen auf,
findet ihn nicht; sie erträgts nicht, muß aufstehn,
wandern durch Gaßen und Straßen und findet ihn nicht.
Die Wächter der Stadt, das schnelle Fragen, das
Vorübergehen ohne Antwort zu erwarten, sind so
ängstlich; - - und da hat sie ihn endlich und will ihn
nicht lassen. Der Mutter Haus, der Mutter Kammer soll
ihre Beute festhalten und ihr nächtliches Suchen krönen
- -
Abermals welche
jungfräuliche Scene! In der Mutter Kammer ists, wo sie
ihn hinführet, wo sie in Träumen ihn suchte, den sie
unter dem Schleier der Nacht mit Angst und Eile sich
erwarb - - sie will ihn halten und nimmer lassen. Ist sie
deßen nicht werth, diese Liebe? Und siehe, der Geliebte
singt ihr das Schlummerlied wieder:
Ich
beschwör euch, Töchter Jerusalem,
Bei den Hinden, beim Rehe der Flur,
Wenn ihr sie weckt!
Wenn ihr sie regt!
Meine Liebe,
Bis ihr es selbst gefällt! -
Das Lied stehet hier
nicht so gut, wie zum erstenmale, da in der Kammer ihrer
Mutter wohl weder Hinden noch Rehe, noch Töchter
Jerusalems sind, sie zu stören. Ohne Zweifel setzte es
der Sammler her, weil es Nacht ist, und weil er ihr
nächtliches Suchen und Streben jetzt mit süßer Ruhe
krönen wollte.- -
Und da es einmal Nacht
ist, läßt er noch mehr solche einzelne Nachtstücke
folgen, die nicht mehr zusammenhangen, als eine Reihe
schöner Perlen auf Eine Schnur gefasset:
Wer ist, die
dort
Aus der Wüsten steigt?
Wie Säulen Rauch,
Wie Duft von Myrrhen und Weihrauch,
Und köstlicher Würze Duft.
Wir werden den Anfang
dieses Fragments noch öfter sehen; es ist ohne Zweifel
ein gewöhnlicher Liederanfang und Eingang einer neuen
Scene in Orient gewesen, wie jede Nation und Sprache
dergleichen hat. Hier steht etwas auf aus der Wüste,
schlank und licht wie eine Säule Rauch, duftend wie
Myrrhen und köstlicher Weihrauch; es ist den
Morgenländern gewöhnlich, so die Erscheinung des
Mädchens in Nacht und Dämmerung zu mahlen. Der zarte
lange Wuchs ihrer Glieder wird die Rauchsäule; von
Salben und Weihrauch muß bei ihnen Schönheit und Liebe
duften.
Siehe das
Bett, Salomos Bett!
Sechzig Mächtige stehn umher,
Aus den Mächtigen Israel.
Sie alle die Hand am Schwert,
Alle Kriegsgelehrt,
Jeder an der Hüfte sein Schwert,
Fürm Graun der Nacht.
Ein Prachtbett machte der König Salomo sich,
Aus Cedern vom Libanon.
Die Säulen macht er von Silber,
Den Himmel von Gold,
Die Decke von Purpur,
Die Mitte gepolstert mit Liebe,
Für die Töchter Jerusalems.
Gehet hinaus und schauet ihn an,
Ihr Töchter Zions, den König
Salomo;
In der Krone, womit ihn seine Mutter gekrönt.
Am Tage seiner Verlobung,
Am Tage der Freude seines Herzens.
Ohne Zweifel gaben die
vorigen Nachtscenen Anlaß, daß der prächtige Gesang,
der auch mit Nacht und Schrecken anfängt, jetzt folget;
aber in wie sonderbarer Verbindung!
Das Lied hat drei
Strophen, wovon die beiden ersten in ihrem Ausgange
offenbar zu einander passen. Das erste Bett ist so
furchtbar "um des Grauens willen der Nacht",
das zweite prächtig "um der Töchter willen
Jerusalems", das dritte vollendet des Königs Pracht
und Herzensfreude.
Ward je eine
Vermählung würdiger besungen? Der Gesang steigt vom
Bett des Helden zum Bette der Liebe, von ihm zur Krone
der Hochzeit und Herzensfreude. In jenem ist der König
nur furchtbar, im zweiten beneidet und prächtig, in der
dritten geliebt und selig. Das Erste schmücken Helden,
das zweite Bulerinnen, das dritte Mutter und die ewige
Freundin.
Der Brautkranz seiner
Mutter geht dem Könige über Heldenruhm und
Königskrone. - -
Die Vermählte
erscheint hier nicht: sie pranget auf keinem Throne.
Sogleich aber folgt, wie sie es verdient, ihr Lob, nicht
durch Pracht, Gold und Reichthum, sondern durch
Schönheit. Von nun an werden die Schilderungen kühner,
denn es lieben sich zwei von der Mutter Vermählte:
O schön bist
du, meine Liebe,
O du bist schön.
Deine Augen Täubchen
Am Lockenhaar.
Dein Haar ist wie die Gemsenheerde,
Die weidet vom Gilead.
Die Zähne wie die Lämmerheerde,
Die neugeschoren aus der Quelle steigt,
Die alle Zwilling tragen,
Und keins derselben fehlt.
Wie ein Purpurfaden deine Lippen,
Und deine Rede süß.
Wie ein aufgeritzter Apfel deine Wangen
Am Lockenhaar.
Dein Hals, wie Davids Thurm,
Gebauet zur Waffenburg,
Tausend Schilde hangen an ihm,
Lauter Schilde der Helden.
Die zwo Brüste dein,
Wie zwo Zwillingsrehchen,
Die unter Lilien weiden. - -
Und weiter läßet ihn
die bescheidne schaamhafte Braut nicht sinken. Sie
unterbricht seine entzückte Beschreibung:
"Bis der
Tag sich kühle,
Und die Schatten fliehn,
Will ich dort zum Myrrhenberge
Zu den Weihrauchhügeln gehen."
Und der eben so
bescheidne Liebhaber, der ihre Schaam ehret und sogleich
fühlt, warum sie seinem Lobe entrinnen wollte, fährt
nachgebend fort:
Ganz bist du
schön o Liebe,
Kein Tadel ist an dir.
Mit mir vom Libanon o Braut,
Vom Libanon wirst du kommen mit mir,
Wirst von der Höh Amana sehn,
Von Senir, Hermon weit umher,
Von den Wohnungen der Löwen,
Von den Bergen der Parden
Du beherzest mich, o meine Schwester-Braut!
Du beherzest mich mit Einem deiner Blicke,
Mit Einer Ketten an deinem Halse.
Wie süß ist deine Liebe,
Du meine Schwester Braut
Wie süßer ist deine Liebe dann Wein!
Der Duft von deinen Salben
Als aller Duft!
Honig triefen deine Lippen, o Braut!
Milch und Honig ist unter deiner Zunge,
Der Duft von deinen Kleidern,
Wie Libanons Duft.
Ein heiliger Garte bist du, meine Schwester-Braut,
Ein heiliger Quell, ein versiegelter Brunn,
Deine Gewächs ein Aepfelparadies
Mit aller köstlichen Frucht.
Nardus und Krokus,
Cimmet und Canna,
Weihrauch und Myrrhen
Mit allen treflichen Würzen.
Ein Brunn der Gärten,
Ein Quell lebendiger Wasser,
Die rinnen von Libanon
Erhebe dich, Nord!
Und Südwind, komm,
Durchweh meinen Garten,
Daß seine Würze fließen. - -
Die bescheidne
Geliebte, abermals sein begeistertes Lob zu enden, als ob
sie es nicht verstünde, hält ihn beim Wort:
So komme mein
Geliebter
In seinen Garten
Und esse seine köstliche Frucht.
Und er, ihr
abermals nachgebend:
Ich kam in meinen
Garten
O meine Schwester, Braut!
Und brach von meinen Myrrhen
Und meinen Würzen,
Und aß von meinem Honig
Und Honigseim,
Und trank von meinem Weine
Und meiner Milch.
Nun eßet, meine Geliebten,
Und trinkt, und werdet trunken, ihr Lieben - -
So endet dies
unvergleichliche Stickwerk von Zucht, Einfalt, Liebe und
Schönheit, gelänge es mir, nur einige Hauptzüge davon
im Geiste Morgenlands zu verfolgen!
Die Schilderung der
Gestalt seiner Geliebten ist ganz in Bildern der
lebendigen Natur, aus der wir so sehr hinaus sind. Die
meisten Gleichnisse dieser Art dünken uns daher
unnatürlich, Morgenländisch und übertrieben; da im
Orient hingegen sie beinah bestimmte Sprache sind und
daher auch in diesem Liede allemal wiederkommen, wenn der
Theil menschlicher Schönheit, den sie abbilden, genannt
wird. So sind die Augen mehr als einmal blöde Täubchen,
die hinter der vollen schönen Locke hervorblicken; das
Haar mehr als einmal die Gemsen-, die Zähne mehr als
einmal die Lämmerheerde; Natur und Wahrheit liegt in den
Bildern! Kann das zarte Haar, auch in seinem
Herabfliessen, im Fall seiner schönen Locke lieblicher
geschildert werden, als im Bilde jener glänzenden
Heerde, die weidend hie und da, und wie in Flechten und
Locken den schönen Gilead hinabströmet? Die Fülle, die
Weiße, die ununterbrochne Reihe, die Gesundheit und
Wohlgestalt der Zähne, kann sie ein beßer Bild in der
lebendigen Natur finden, als von der Heerde
neugeschorner, neugewachsener Lämmer, wo jede Mutter
Zwillinge trägt und keine fehlt, keiner es mangelt? Wer
nennet mir ein schöner Bild zarter Lippen, als den
Purpurfaden, der süße Rede wie Gesang der Liebe haucht?
und ein süßeres Bild der zarten erröthenden Wange, als
den Milch- und Blutsaft des aufgerißenen Granatapfels?
Der Hals mit Davids Thurme verglichen, ist oft belacht
worden; ich weiß aber nicht, was hier im Punkte der
Vergleichung treffender seyn könne? Vest und rund und
schön und geziert steht er über der Brust der
Königlichen Braut da; auch an ihm, wie an der stolzen
Davidsveste, hangt glänzende Siegsbeute, die einst ein
Held trug, und überwunden freiwillig dahinzollte, das
prangende Halsgeschmeide. So gehet es fort mit den
Bildern bis auf die Zwillingsrehchen, die unter den
Lilien weiden; so lange Natur Natur ist, wird man aus der
Schäferwelt und Gegend keine reizendere, lebendigere
Bilder finden.
Dies war die
Beschreibung ihrer Wohlgestalt und Schönheit. Da aber
die sittsame Braut abbrach und kein weiteres Detail
wollte, und der ihr nachgebende Bräutigam alles Übrige
in zwei Zügen zusammennahm, "ganz bist du schön, o
Liebe! An dir ist kein Tadel", und doch nicht
abbrechen konnte; welch andre noch entzücktere
Schilderung macht er jetzt, nicht von ihrer Schönheit,
sondern von ihrem Reiz, von ihrem Reiz in Liebe und
Freundschaft. Ihre Kleider duften, ihre Lippen triefen
Honig, Milch und Honig unter ihrer Zunge, der ganze
Libanon in ihrem Gewande. Quell, Garte, ein Paradies von
Bäumen, Erquickungen, Labungen, Früchten nichts
thut ihm Genüge, die Entzückung zu beschreiben, die ihm
ihre Liebe gewährt. Er schwimmet und schwebt gleichsam
auf allen den Düften und Blumen, Quellen und Kühlungen,
die er nennet, und hat sich selbst noch nichts gesagt. Er
befielt dem Nord und Süd aufzustehen und seinen Garten
zu durchregen, daß die Würze fließen, daß er noch
begeisterter spreche. Welch ein Pindarischer Schwung auf
den Flügeln der Natur, der Regung und Liebe! nur muß
man freilich in Morgenlande die Bilder sehen. Was ist
ihnen dort eine lebendige Quelle, ein frischer Strom! wie
theuer ein reiner versiegelter Quell, und ein Paradies
voll Düfte und Würze, ein heiliger verschloßener
Garte! Ihnen wohnt Eden noch auf den Spuren, der Garte
verlohrner Liebe - -
Und zugleich ist alles
so bestimmt, so örtlich. Gilead ist noch bis auf den
heutigen Tag der lachende Berg voll weidender Heerden
aller Art und gleichsam voll regen Lebens. Libanon noch
bis jetzt die Höhe voll Cederduft, weiter Aussicht,
insonderheit nach Damaskus hinab, voll Wildes und
frischer Kräuter, das Vaterland der Ströme und Quellen.
Da nun die ganze Stelle "Komm herab mit mir vom
Libanon" bis zu der "Du hast mich beherzt
gemacht o Schwester" so mißdeutet und übel
verstanden worden, so sei mir ein Wort näherer
Entwicklung vergönnet.
Die Braut ist nicht auf
Libanon, als ob er sie von der Schnee-Höhe mit seiner
Stimme, wie ein Kind, herunter riefe, denn sie ist bei
ihm und was sollte sie bei Pardern und Löwinnen
schaffen? Er singet sie ja und sie unterbrach ihn eben.
Da sie ihn nun aber mit einem Luftgange in den
Myrrhenhain, in ein duftendes Schattenwäldchen
unterbrach, und der Liebhaber sie im Lobe und Lieben
nicht lassen wollte: so spricht er: "Mit mir, meine
Liebe, mit mir! Willt du lustwandeln, meine Liebe, da
sind andre Gegenden, andre Aussichten. Vom Libanon herab
will ich dich führen, von seiner Höh Amana und Senir
sollt du blicken: durch das Reich der Löwinnen und
Leoparden bin ich mächtig gnug, dich zu begleiten. Denn
du machst mich stark: ein Blick von dir macht beherzt,
ein Wenden deiner Halskette." Und nun strömt ihr
Lob unter dem Bilde Libanons und Gileads, des Gartens und
der Würze, das, wie wir sehen, eben ihre unterbrechende
Einsprache dem Liebling in den Mund legte.
Und so laßet uns mit
einem Worte die so verkannte und gemißhandelte
Einsprache der Braut feiren. Schönheit und Reize sind
süß; aber eine Braut der Unschuld, Bescheidenheit und
Schaamröthe soll man loben. Als ihr Liebhaber, ihr
Vermählter, nur von ihrem Busen sprach, wandte sie sich;
es unterbrach ihn ihre Lippe voll Milch und Honig. Und
der Liebling fähret nicht fort, nennet sie von jetzt an
nur Schwester, wählt auch in seiner Entzückung nur
Gleichniße vom verschloßnen Quell, vom versiegelten
Garten, vom heiligen, reinen Brunnen, als ob er mit jedem
Wort ihr Ohr schonen und die Rose ihrer Schaamhaftigkeit,
die schönste Blume im Kranz ihrer Schönheit, feiren
wollte. Und da er nochmals zu lang auf den Düften
ihrer Liebe schwebet, unterbricht sie ihn wieder, thut
als ob sie ihn nicht verstehe? ladet ihn in seinen
Garten. Und er folgt ihr wieder, spricht: "das
seis zwar nicht, wovon er rede! den Garten habe er
in allen seinen Reizen genossen," ruffet aber seine
Freunde und Geliebten in denselben, sich mit ihm zu
freuen, damit Er und Sie sich an ihrer Freude erlaben.
-Süßer Streit der Liebe und Unschuld, der
männlichen Entzückung und weiblichen Schaamröthe!
sanft Gewebe, das die Hand des zartesten Künstlers spann
und die Hand des Menschenfreundes in unsre Natur webte.
Mit der Perle der Unschuld, mit der Rose der Zucht ist
dem Brautschmuck seine beste Zier, dem Garten des
heiligsten Vergnügens die schönste Blume geraubt, und
der heiterste Quell trübe.
Und siehe, eben von der
Stelle des Hohenliedes, die sie so zart feiret, hat man
sie verjagen, hat Worte der Unschuld zu schändlichen
Zweideutigkeiten machen wollen, die nach allen
Zeugnissen, alt und neu, der Orient gar nicht kennet, gar
nicht leidet, sondern uns zweideutigen gesitteten
Europäern als Schlamm und Schande ins Gesicht speiet.
Was wäre denn der Garte, daran der Liebhaber satt hat
und seine Gespielen dazu einladet? was wäre er im
Gefühl des eifersüchtigen reinen Morgenländers? - -
Doch warum verderben wir uns die Scene der Unschuld mit
Erinnerungen solcher Art? Freunde und Geliebten haben
satt getrunken: der Bräutigam sich satt gelobet; es
folgt abermals eine Nachtscene.
Könnte ich vom Haupt des Liebhabers einige Thautropfen
als Tropfen der Vergeßenheit auf meine Leser sprengen,
daß sie das trefliche Stück ganz und allein und
unvermengt mit vorigen Farben und Eindrücken fühlen!
Ich schlafe
und mein Herz wacht!
Stimme meines Geliebten!
Er klopft!
"Thu auf mir, meine Schwester, meine Freundin,
Mein Täubchen, meine Reine,
Thu auf mir."
"Mein Kleid ist ausgezogen;
Wie? soll ichs anziehn?
Meine Füße sind gewaschen;
Soll ich sie neu besudeln?"
Mein Lieber streckte
Die Hand durchs Gitter,
Mein Innres bebte mir.
Schnell stand ich auf,
Zu thun ihm auf, dem Lieben.
Meine Hände troffen Myrrhen,
Meine Finger troffen Myrrhen,
Die über den Riegel liefen.
Auf that ich meinem Lieben;
Mein Lieber war entwichen,
Verschwunden - -
Meine Seele war mir entgangen,
Da er zu mir sprach
Ich sucht ihn nun, und fand ihn nicht.
Ich rief ihn, aber Er
Antwortete mir nicht.
Mich fanden die Hüter
Die die Stadt umgehn.
Sie schlugen mich,
Sie verwundten mich.
Sie raubten mir den Schleier
Die Hüter der Mauern.
Ich beschwör euch, Töchter Jerusalems!
Wenn ihr ihn findet,
Meinen Geliebten,
Was wollt ihr ihm sagen?
Daß ich vor Liebe krank bin.
"Was ist denn dein Geliebter vor Geliebten,
Du Schönste der Weiber!
Was ist denn dein Geliebter vor Geliebten,
Daß du uns beschwurst?"
Mein Lieber ist weiß und roth,
Ein Panier aus zehnmal Tausenden.
Sein Haupt das feinste Gold,
Seine Locken kraus,
Und schwarz, wie ein Rabe.
Seine Augen wie die Täubchen übr Quellen,
In Milch gebadet,
In Fülle schwimmend.
Seine Wangen sind wie Blumenbeete,
Wie Kästgen Würze.
Seine Lippen Rosen,
Sie triefen strömende Myrrhe.
Seine Hände güldne Cylinder,
Voll Tyrkiße.
Sein Bauch ein lauteres Elfenbein,
Mit Sapphieren bedeckt.
Seine Schenkel Marmorsäulen,
Gegründet auf güldnem Fuß.
Sein Ansehn wie der Libanon,
Erhaben wie ein Cederbaum.
Sein Gaume Süßigkeiten
Und ganz Er Lieblichkeiten.
Der ist mein Lieber, der ist mein Freund,
Ihr Töchter Jerusalems.
"Und wohin ging denn dein Geliebter?
Du Schönste der Weiber.
Und wohin wandte sich dein Geliebter?
Wir wollen ihn suchen mir dir."
Mein Lieber ging in seinen Garten,
Zu seinen Blumenbeeten,
Zu weiden in den Gärten,
Zu sammlen Rosen sich.
Mein Lieber, ich bin sein,
Mein Lieber, er ist mein,
Der unter den Rosen weidet. - -
So bricht das Stück
ab, und ohne Zweifel sinds auch schon mehrere Stücke,
die der Sammler an einander fügte, weil Gelegenheit und
eine gute Fuge da war. Das wandernde Nachtmädchen
beschwur die Töchter Jerusalems, und da diese antworten
und nach dem Merkmal ihres Geliebten fragten, so war die
beste Zeit, daß die ängstige vor Liebe Kranke die
Gestalt ihres Liebhabers mit einem Glanz und einer
Sehnsucht auszeichnet, die fast die Nacht erleuchten. Und
da die Gefragten weiter fragen und sie ihnen nichts
weiter will, so kommt das Lied wieder unter die Schäfer-
und Rosengesänge, wo sie bei Gelegenheit der Rosen ihr
altes Bekänntniß der Liebe wiederholet und eine
Nachtigall gleichsam mit diesem Schluß und Wiederhalle
forteilet. - - Auch muß ich abermals bemerken, wie
verändert die Scene gegen der vorigen erscheine. Dort
war eine Königsvermählte, der Gilead und Hermon, die
Davidsveste und der ganze Libanon mit Löwen und
Leoparden zu Gebot stand. Alle Bilder waren in dieser
Fülle, in diesem Schweben: Ein Blick von ihr konnte
Helden machen: die Goldkette ihres Halses riß den
Liebhaber mit sich fort. Hier ist ein Landmädchen, die
in ihrer Hütte, im Garten, allein schläft. Der Geliebte
kommt zur schlechten Thür, wo er am Riegel eingreifen
kann und wie ein Schäfer die Thür seiner Geliebten
salbet. Er ist voll Thau und ohne Obdach, will
eingelassen seyn sie schlummert, spricht zwischen
Schlaf und Wachen, wie ein armes, reines Landmädchen. So
steht sie auf, so sucht sie, so ruft sie, so begegnen ihr
die Wächter, so beschwört sie die Töchter Jerusalems
als eine Unbekannte, so antworten ihr diese; kurz, dies
Niedrige, Garten- und Landmässige ist die Seele dieses
vortrefflichen Liedes. Setzet eine Königin im Goldsaal
an die Stelle, und alles ist verschwunden - -
Der Anfang des Stückes
hat einen so außerordentlichen stillen Naturreiz, daß
ich etwas darüber zu sagen verstumme. Das Schlafen
"aber das Herz wacht", die Stimme des
Geliebten, das Klopfen, die Namen, mit denen er sie
anredet, die Beweggründe seiner flehenden Bitte: ihr
Säumen, ihr Tändeln, das mühsame Kleid, der reine Fuß
- - und wie er nun am Riegel regt, sich selbst öfnen
will; wie sie zusammenfährt, aufsteht, eilt, öffnet,
unvermuthet die Hand voll Myrrhen hat, die Finger voll
Salbe des stillen Opfers seiner Liebe - - und Er hinweg
ist, nicht da ist, nicht spricht, nicht antwortet:
"Die Seele war mir entwichen, ich war ja außer und
nicht bei mir, daß ich schwieg, da er sprach, daß ich
träumte, da er klopfte - -" Armes Mädchen! du
mußt dein Säumniß nun mit später Reue, Wunden und
Angst büssen.
Wie sie nun umgeht! wie
sie irret! nächtlich ängstlich suchet und irret! bis an
die Mauer geräth und den Wächtern in die Hand fällt,
die sie als eine Unedle behandeln, sie verwunden, ihr den
Schleier der Ehrbarkeit und jungfräulichen Zier rauben
und wie sie, alles verschmerzend, weiter eilt, die
Töchter Jerusalems beschwört, nur zu sagen, ihm zu
sagen, daß sie krank sei von Liebe - -
Und da die Töchter
Jerusalems stolz und prächtig nach Merkzeichen ihres
Geliebten fragen; welch ein Zeitpunkt zu seinem Lobe, zu
Schilderung seiner Gestalt! Jetzt unter dem Schleier der
Nacht, im Gefühl, ihn verscherzt, ihn beleidigt zu
haben; überdem aufgefordert, gereizt von diesen
vornehmen Spröden und endlich aus der Fülle eines
liebesiechen, verwundeten, kranken Herzens. Da strömt
sein Lob: seine Gestalt wird ein wahres Prachtbild,
Kolossus von männlicher Würde, Glanz und Schönheit.
Sie schildert ihn, nicht wie er sie schildern würde:
mehr seine Kleider als ihn; mehr seinen Anblick, als
seine Reize. Ehrfurcht und Zucht haben so viel Theil an
ihrem Gesange als Sehnsucht und Liebe. Nur wiederhole
ich, daß diese Gestalt mir der Landscene des
Nachtgesanges abstechend dünkt: beides scheint nur vom
Sammler gebunden.
Weiß und roth ist ihr
Geliebter, erkennbar unter zehntausenden, als ob er unter
ihnen Panier schwänge. Sein Haupt ist feines Gold: sie
verliert gleichsam die Züge seines Gesichts unter dem
Schmucke des Turbans, der ihn auszeichnet und bei den
Morgenländern überhaupt so wie das Sinnbild männlicher
Würde, so auch Unterschied des Standes und der Ehre ist.
Seine Locke ist kraus und Rabenschwarz: voll Stärke der
Jugend und des Charakters. Seine Augen werden als
Täubchen ausgemahlet, wie sie bisher noch nicht wurden,
und es ist offenbar, daß in der Vergleichung nicht von
Augen der Tauben, sondern von ihrem ganzen Bilde die Rede
sei, wie sie über der Quelle in Fülle schwimmen und
sich in Helle des Wassers baden; so belebt, so schwimmend
und Regevoll, so voll Schüchternheit und Unschuld sind
diese Augen. Uebergeht es nicht weit was die spätern
Morgenländer durch den Blick der Gazelle sagen? Seine
Wangen sind aufsteigende Blumengeländer und (wenn mir
der Ausdruck erlaubt ist ) Apothekerbüchschen voll
köstlicher Würze. Und seine Hände goldne Cylinder mit
Ringen und Armschmuck umfasset. Und sein Bauch zartes
Elfenbein, mit Sapphieren geziert im Gürtel und
Dolchschmuck. Und seine Schenkel Marmorsäulen, auf
goldnem Fuß wo abermals Stärke und Vestigkeit
mit Schmuck und Pracht nach Morgenländischer Weise Eins
wird. Und welch ein Bild, wenn sein ganzer Anblick ein
Libanus wird! sein Wuchs eine erlesne ewige Zeder! Und
sein Gaume ist Süßigkeiten, seine Lippen leibhafte
Rosen (nicht blos Rosen im Bilde) und Er ganz
Lieblichkeit, ganz Lust und Liebe.
Man nehme zusammen, wie
die Künstlerseele der Liebhaberin ihren Geliebten
ausbildet und ihn gleichsam als veste, ewige Ehrensäule
hinstellt, und denke es sich in die Sitten Morgenlandes,
das so sehr auf der Einen Seite Pracht und Schmuck,
Diadem und Goldkleinode, als auf der andern die
Verhüllung liebet, am Manne die Verhüllung der Würde,
am Weibe die Verhüllung der Zucht. Er steht als Held und
König da, nur Antlitz und Hände sind unverhüllet, und
auch die überdecket mit Reichthum. Kleidung und Gestalt
sind in des Morgenlandes Königliche Weise - - ein
Ebenbild der Mannesehre und Würde.
Da wir die Garten- und
Rosenliederchen schon haben, so wenden wir uns weiter;
und siehe, ihr Lob wird mit einem Lobe vergolten:
Schön bist
du, meine Freundin,
Wie Thirza schön,
Lieblich wie Jerusalem,
Furchtbar wie ein Kriegsheer.
Wend ab die Augen,
Vor mir über,
Sie sind mächtiger, als ich.
Dein Haar ist wie die Gemsenheerde,
Die weidet vom Gilead.
Die Zähne wie die Lämmerheerde,
Die aufsteigt aus der Quelle,
Die alle Zwillinge tragen,
Und keins derselben fehlt.
Wie ein Ritz am Granatapfel deine Wange,
Am Lockenhaar.
Sechzig sind Königinnen,
Und achtzig Bulerinnen,
Und Jungfraun ohne Zahl;
Eine die ist meine Taube,
Meine Reine,
Sie, die Eine ihrer Mutter,
Sie, die Liebste ihrer Mutter.
Es sahen sie die Töchter,
Und preiseten sie selig;
Die Königinnen
Und Bulerinnen
Lobeten sie.
Es ist gut, daß wir
die meisten Züge dieses Liedes schon erläutert haben;
es ist ein hohes Lob auf die vorige arme Nachtscene. Mit
den Königsstädten Judäas verglichen; dem schönen
Thirza, dem lieblichen Jerusalem, ist sie zugleich
furchtbar, wie Kriegsheere: er kann ihren Blick nicht
ertragen. Und doch wieder wie lieblich mit Haar, Munde,
Wangen! Und abermals wie prächtig, die Einige unter
Königinnen, Bulerinnen und unzähligen Jungfraun! Und
aufs neue wie lieblich! sie die reine Taube; ihrer Mutter
Einzige, Liebste. Keine Königin und Bulerin vermag sie
zu beneiden; alle müssen sie glücklich preisen und
lieben. - -
Das Stück hatte schon
prächtige, kriegerischkönigliche Züge; es ist aber nur
Anklang gegen das, was folgt, und was ich beinah für den
Gipfel des Buchs halte:
Wer ist, die
aufglänzt wie das Morgenroth?
Lieblich wie der Mond,
Rein wie die Sonne,
Furchtbar, wie ein Kriegesheer?
"Zum Nußgarten war ich gangen,
Nach den Früchten im Thal zu sehn;
Zu sehn, ob schon der Weinstock knospe,
Ob schon die Aepfel blühn?
Und wußte nicht, daß meine Seele
Mich gesetzt zum Kriegeswagen
Meines edlen Volks."
Kehr um, kehr um, o Sulamith!
Kehr um, kehr um,
Wir wollen dich schaun!
"Was wollet ihr schaun an Sulamith?"
Den Tanz der Gottesheere.
Wie schön sind deine Tritte in den Schuhn,
Du Tochter des Edlen!
Die Schwingungen deiner Hüften sind
Wie Kettenwerk, geschlungen von Meistershand.
Dein Nabel ein runder Becher,
Dems nimmer an Maas gebricht.
Dein Bauch ein Weizenhügel,
Umpflanzt mit Rosen.
Deine zwo Brüste wie zwo Rehchen,
Die Einer Mutter Zwillinge sind.
Dein Hals ein Thurm von Helfenbein.
Deine Augen Teiche zu Hesbon,
Am Thore der Fürstentöchter.
Deine Nase wie das Schloß auf Libanon,
Das gen Damaskus schaut.
Dein Haupt auf dir, wie der Karmel.
Das Haar deines Haupts, wie Purpur,
Ein geflochtner Königsbund.
Wie schön bist du,
Und wie so lieblich bist du,
O Liebe in der Lust!
Deine Höhe
Ist gleich dem Palmenbaum,
Und deine Brüste den Trauben.
Ich sprach: "ich klimm auf den Palmenbaum!
Ich erfaße seine Zweige.
Deine Brüste sollen mir Trauben seyn,
Und deines Athems Duft
Wie Aepfelduft,
Und koste deinen Gaumen
Wie guten Wein -"
"Der einschleicht meinem Lieben
Süß hinein,
Und schlummert die Lipp ihm
Säuselnd zu.
Ja ich bin meines Lieben,
Und seine Lust zu mir;
Komm, mein Geliebter,
Wir wollen aufs Land,
Auf Dörfern wohnen
Und früh dann aufstehn,
In den Weinberg gehn,
Sehn, ob der Weinstock blühe?
Ob seine Trauben sich aufthun?
Ob die Aepfel blühn?
Da will ich dir
All meine Liebe geben!
Die Blumen der Liebe duften schon,
Und über unsrer Thür
Ist allerlei Schönes,
Neues und Alt,
Mein Lieber, ich barg es dir.
Wer gibt mir dich
Zum Bruder mir?
Der meiner Mutter
Brüste gesogen.
Ich fände dich draußen
Und küßte dich,
Und keiner verachtete mich.
Ich wollt dich führen,
Ich wollt dich bringen
In meiner Mutter Haus.
Du solltest mich lehren,
Ich würde dich tränken,
Mit Trank, den ich bereitet,
Mit Most von meinem Baum.
Seine Linke
Mir unterm Haupt,
Und seine Rechte
Umfaßt mich."
"Ich beschwör euch, Töchter Jerusalem,
Wenn ihr sie weckt!
Wenn ihr sie regt, die Liebe!
Bis es ihr gefällt!"
Ich will zuerst die
Verbindung und den Gang des Ganzen Gesanges zeigen; ich
ihm liegen die meisten Reize.
Es wird ausdrücklich
eine neue Scene angekündigt, mit dem bekannten Anfange:
"wer ist die, die aufsteigt?" Hier aber gehet
sie nicht als Dämmerung, als süßer Rauch auf, sondern
schön wie die Sonne, Mond, Aurora. Der Stral der
Morgenröthe bricht an, es wird Mond, es wird Sonne, es
wird ein blinkendes furchtbares Kriegsheer.
Sie erscheint also in
aller Pracht der Liebe: aber wie? wozu?
Zuerst singend. Sie
singet das Schäferlied "zum Nußgarten war ich
gangen", erinnert sich ihrer vorigen Landeinfalt,
ihres Stillen, ruhigen Lebens, als sie die Natur
gepflegt, gewartet, geliebt und nicht weiter gedacht;
damals nicht gewußt habe, daß ihre Seele d.i. ihr Muth
und Genius sie zu der Würde bestimmt habe, in der sie
jetzt erscheinet. Da sie kriegerisch aufging und vom
bewillkommenden Gesange mit einem furchtbaren Kriegsheer
verglichen wurde: so nennt sie auch diese Würde
kriegerisch, den Rüstwagen ihres edlen willigen Volks,
und der Ausdruck wird uns aus der Geschichte Salomons und
der Sprache der Hebräer überhaupt verständlich. Roß
und Wagen Israels sind ein gewöhnlicher Ausdruck für
Kriegsmacht, Schutz und Schirm, Heldenmäßige Bedeckung.
Das wollte Gott seinem Volk seyn, das war Elias, wie sein
Jünger ihm nachrief, gewesen; so nennet sie sich jetzt
mit dem veredelnden Ausdruck, daß sie es nur über ein
freies edles Volk sei. Die Geschichte Salomons sagt uns,
daß er die Israeliten nicht zu Knechten gemacht, sondern
sie "Kriegsleute und seine Diener und Fürsten und
Ritter und Aufseher über seine Knechte und Wagen seyn
laßen"; wird der liebende König in diese
Anordnungen nicht auch seine Liebe gemischt haben? Es
heißt von ihm: "er herrschte weit umher, und hatte
Friede, daß jeder in Israel unter seinem Weinstock und
Feidenbaum sicher wohnte", und doch "brachte er
zu Hauf Wagen und Reuter, daß er hatte tausend und
vierhundert Wagen und zwölftausend Reuter, und ließ sie
in den Wagenstädten und zu Jerusalem" ein furchtbar
Kriegsheer! Konnte also auch der Ausdruck seiner Lieder
ohne diese Spuren bleiben? Mußte seine Königin und
Liebe nicht auch in diese Prachtspiele gemischt seyn? und
wie natürlich, daß sie nun an ihre vorige Ruhe und
Landeinfalt denket! Kurz, es ist etwas Ähnliches jenem
prächtigen Prophetischen Psalme:
Dein Volk, die
Edlen, sind mit dir
Am Tage des Siegs
In festlichen Kleidern
Wie aus der Mutter der Morgenröthe
Glänzender Thau - -
sie erscheint als eine
Deborath, in königlicher Kriegspracht.
Der Aufzug verändert
sich und wird Tanz, Tanz wie der Reigen der Engel, der
himmlischen Kriegsheere: mir ist kein Lied bekannt, wo
der Tanz so veredelt, so idealisirt wäre. Der Chor ruft
ihr zu, daß sie sich wende, sich ihnen wieder zuwende
und schaun laße. "Was wollet ihr schaun an
Sulamith?" antwortet sie im Schwunge der Kunst.
"Den Tanz der Mahanaim!" singet der Chor
zurück und es erschallet eine Freudenlied, wo jeder Zug
nur aus diesem Bilde Leben und Bewegung hernimmt, oder er
stünde todt da.
Freilich sind wir auch
hier in andrer Welt. Wir denken vom Tanz anders, und
mögen von dem unsern Recht oder Unrecht haben; gnug die
Morgenländer in den frühesten Zeiten der Unschuld
dachten anders. Ihnen waren die Engel, die Sterne, ein
jauchzendes tanzendes Siegsheer um den Thron des
Allerhöchsten. Chor und Gegenchor, Mahanaim, feierten
ihn im ewigen Liede und auch unter Menschen war Tanz, wie
Gesang, in den ersten Zeiten heilig. Das Siegslied am
tothen Meer erschallte unter Chören der Weiber, mit
Pauken im Reigentanze, das Siegslied der Deborath trägt
davon gleiche Spuren: und daß dieser Tanz nicht weich
und wohllüstig sei, deßhalb ist er so prächtig und
kriegerisch eingeleitet worden.
Und so sind seine
Bilder. Im Tritte, im stolzen Tritt in ihren Schuhen
erscheint sie eine Tochter des Edeln vera incessu patuit
Dea!
Die Wendungen und
Schwingungen ihrer Hüfte sind ein Theseischer Tanz, ein
Gewebe der Ariadne; Kettenwerk künstlichgeschlungen von
Händen des Meisters. Ihr Nabel quillt, wie ein runder
Becher, dem niemals Mischung fehlt, der immer Ebenmaas
hält, nie aufsprudelt, nie lechzet, in süßer Fülle,
wie die Krone des Bechers, schwebet. Ihr Bauch ein
Weizenhügel, der sanft sich hebt, hinaufschwillt, und
der Zephyr in seinen Ähren macht Wallen, und die Rosen
der Kleider, des schönen weiten Gewandes, schweben
umher. Und die Rehchen weiden stille und verhüllt unter
den Lilien ihres Busens. Und der Hals steht stolz und
gebehrdet sich veste: ein Thurm von Elfenbein. Und die
Augen schwimmen, wie Hesbons Teiche vor dem schönsten
Thore, wo die Töchter der Edeln wandeln. Und die Nase
raget hervor, schön und stolz wie das Luftgebäude, auf
einer der Höhen Libanons, das die fröhliche Aussicht
ins Thal nach Damaskus und bis übers Meer hat. Und das
Haupt trägt sie, stolz und fröhlich wie der Karmel, das
fröhlichste Gebürge Judäas und gleichsam das Haupt
unter seinen Bergen. Und das Haar ist wie eine
Purpurschnecke gewunden, geflochten wie ein
Königsturban; das Diadem der ganzen edeln Gestalt, ihres
Königlichen Wuchse und Schrittes die prangende Krone!
Wer den Anstand einer weiblichen Gestalt im edlen
prächtigen Tanze prächtiger schildern kann, mags
versuchen
Freilich verlieren auch
diese Bilder mit der Sprache, den Gegenden und Sitten
Morgenlandes für uns Viel. Der Becher in seinem
Ueberfluß war ihnen das Bild aller Fülle, Fröhlichkeit
und Wonne, so wie der lechzende Becher das Zeichen der
Noth, Traurigkeit und Armuth. Es war ihnen also gewohntes
Bild, ob der Becher überströme? gnug habe oder lechze?
und das wird hier zum Sinnbilde des feinsten Maases und
Ebenmaasses in der fröhlichsten Bewegung. Das poco piu
und poco meno kann kein lebenderes Bild aus der Welt des
Genußes und der Freude finden. Die Nase, den Theil des
Gesichts, der dem Ganzen Vestigkeit und Zusammenhang
gibt, schämen wir uns beinahe zu nennen; die
Morgenländer nennten ihn oft, und da das Schloß von
schöner Aussicht, mit dem sie hier verglichen wird,
gerade Salomons Bau war, so hatte das Gleichniß alle
Reize der Neuheit und Phantasie des Königs. "Dein
Haupt, wie Karmel," scheint kolossalisch; da es hier
aber heißt: "Dein Haupt steht auf dir, wie
Karmel", d.i. du trägsts so erhaben und fröhlich
als jenes luftige Gebürge sich ausnimmt, das man von
weiten zuerst erblickt, so verschwindet das Ueberspannte.
"Die Augen Teiche zu Hesbon, wo die Töchter der
Edeln spazieren." Den Morgenländern sind die Teiche
und Quellen Augen der Erde, sprudelndes Leben,
aufquillende Seele, und sind sie es nicht? Ist nicht eine
schöne Gegend ohne Waßer, was ein Antlitz ohne Auge?
Der Königsbund endlich die Krone von Allem. Man weiß,
daß die Morgenländer in der Form und dem Gebunde des
Turbans ihre Stände unterscheiden, und so sind die
Windungen der Purpurschnecke in ihrem Haar hier das
Höchste von Allem. Man setze die Bilder und Formen in
die Bewegung, die ihr gebühren, und es wird eine
tanzende Göttin.
Wie Tanz einladet zu
Lust und Liebe, so schwinget sich auch der Gesang dahin.
Er siehet ihren Wuchs unter dem süßen Bilde des
Palmbaums, umfähet sie ganz, und wird so innig, daß die
Braut selbst ihm auf die süße Weise der Unschuld die
Wollusttrunkne Lippe versiegelt. Eben da sein Gesang am
Athem der Liebe hanget und saugt und kostet süßen
Nektar da spricht die Braut weiter:
Süßer
Nektar, der dem Lieben
Sanft einschleichet,
Süß dir eingeht, und die Lippe
Reden machet im Schlaf - -
Was können alle
Katonen sagen, daß hier nicht unendlich lieblicher
gesagt sei, da sie seine Lippen mit einem Druck des
Fingers der Liebe schließt. "Schweige Freund, es
ist Genuß des Heiligthums der Liebe, du sprichst im
Schlummer."
Und wie sie fortfährt:
"ja, Liebster, ich bin meines Lieben und seine Lust
ist zu mir; aber komm hinaus. Hier ist kein Ohr, das
deine Worte ertrage. Dort in den Wohnungen der Einfalt,
wo noch die Natur rein und unverhüllet würkt, dort ist
jetzt die Frühlingszeit der Liebe. Da blüht mit uns die
Blüthe des Baums und die junge Knospe des Weinstocks.
Unter ihnen, frühe, wenn noch alles schläft, und nur
die Blumen der Liebe uns duften;
Da, Liebster,
will ich dein
Mit aller Liebe seyn.
Und sie duften ihr
schon, die Dudaim: sie sieht die Thür ihrer Hütte
ländlich mit Früchten und Blumen geschmückt und
gekrönet. Ihrer Hütte fehlt nichts, sie will ihrem
Lieblinge auch nicht fehlen, hat ihm noch manches Schöne
von Früchten von vorigem Jahre aufgesparet, kurz, sie
findet sich ganz in der Einfalt und Süßigkeit des
Landlebens
Noch nicht gnug. Sie
möchte ihre Liebe noch unschuldiger, ganz zur Schwester-
und Bruderliebe machen.
Ach, daß du
nicht mein Bruder bist!
Und Einer Mutter Brust mit mir geküßt,
Daß wo ich dich nur fände,
Ich küßen könnte dich,
Und niemand hönte mich,
Und wähnets Sünde.
Umfaßen, umschlingen wollt ich dich,
Und führen dich
In meiner Mutter Haus.
Du winktest mir,
Ich brächte dir
Den Trank, den ich bereitet,
Den Most von meinem Baum.
Und seine Linke
Mir unterm Haupt:
Und seine Rechte
Umarmt mich
Wer ist der
Sittenrichter, der die Liebe keuscher Vermählter je
Paradiesischer gedacht hätte? Wo ist das Herz, das der
süßen Schwestertaube nicht zusinge zum drittenmal das
Lied der schlummernden Liebe:
Ich
beschwör euch, Töchter Jerusalem,
Weckt sie nicht!
Regt sie nicht!
Bis sie selbst erwacht.
Und auf dieser
Schuldlosen Stelle laßet uns den vorigen Palmbaum und
die Dudaim der Liebe nochmals ansehn. Den Morgenländern
war jener Baum an Wuchs und Blüthe, an Fruchtbarkeit und
Süßigkeit der Trauben, des Safts, der Früchte, das
schönste Sinnbild der ehelichen Liebe. Von dem süßen
Weine, der dem Freunde so sanft eingehen, und ihn in
trunknen Schlaf wiegen soll, ist der Palmenhonig noch
jetzt das schönste Geschenk Morgenlands und die
Bewirthung an hochzeitlichen Festen. Auch ist in der
Anwendung, des Palmbaums Wuchs, seine Zweige, seine
Trauben, der süße Athem des stärkenden Obstes, endlich
der Nektar, der einschleicht und sich mit schwatzendem
Schlummer endet, so zart behandelt, daß ich mich fast
der Mißgeburt schäme, die hievon etwas anstößig oder
unanständig fände. Nehmet das Gegentheil von Allem und
sehet, was alsdenn die Menschliche Natur sei? Laßet den
fliegenden Königstritt der Geliebten zur kranken
Bettlerschwere ersinken: laßt es dahin kommen, daß die
Spange des größten Künstlers sich mühsam wende, die
Rehe von ihrem Gipfel fliehn und Hesbons Teiche sich
trüben: Libanons Schloß liegt im Schlamm, und der einst
fröliche Karmel steht nackt und wankend: dem runden
Becher mangelt Getränk, und der schlanke Palmbaum ist
Dornbusch ihr Pharisäer, ihr Katonen, ist nun die
Menschheit beßer, glücklicher, edler? Ist der süßeste
Nektar des Paradieses nicht geschaffen, daß er gewürzt
mit Unschuld und Schwesterliebe genossen werde? O Natur,
Natur, du heiliger und entweiheter Gottestempel! da am
meisten entweiht, wo man dich am lautesten rein bewahret,
und am schönsten gepflegt, wo man in Hütten der
Unschuld und Landeinfalt mit der Blüthe des Baums und
der unschuldigen Knospe des Weinstocks feiret. Wenn deine
Hütterin, die jüngste der Charitinnen, die Schaam in
Rosengewande, aus allen Kreisen von Geschmack,
Pharisäerwohlstand und Liebhaberei des unzüchtig
Schönen verbannt seyn wird, sie, die immer da am
wenigsten erkannt ist, wo sie am tieffsten wohnet, und da
gesucht und gesetzt wird, wo ihre letzte Spur dahin ist;
unschuldige Natur, heiliger Gottestempel, so wirst du da
stehn, wohin auch dieses Feldtäubchen ihren Geliebten
locket und winket, im Schoss der Einfalt und Armuth
Wer ist, die
dort aufsteigt,
Aus der Wüsten her?
Gelehnt auf ihren Geliebten.
Zum drittenmal kommt
der Anfang des Liedes wieder, aber leiser. Sie kommt
nicht mehr wie Säule Weihrauch, nicht wie Aurora, Mond,
Sonne und Kriegsheer; sie wandelt ruhig am Arm des
Freundes.
Unter dem
Apfelbaume
Wecket ich dich.
Da gebar dich deine Mutter,
Da gebar, die dich gebohren.
"Ein Siegel präge mich auf dein Herz,
Ein Siegel auf deinen Arm!
Denn stark, wie der Tod, ist die Liebe;
Ihr Eifer hart, wie die Höll.
Ihre Kohlen glühende Kohlen,
Flamme des Herrn.
Viel Wasser mögen nicht aus sie löschen, die Liebe,
Und Ströme sie nicht ersäufen.
Und gäb ein Mann auch Haus und Gut um Liebe;
Sie verschmähn, sie verachten ihn.
Siehe ein Gespräch der
ehelichen Treue. Vielleicht äußerte die Geliebte, an
seinen Arm gelehnt, Kümmernisse über die Dauer seiner
Liebe; und siehe da kommen sie zu dem Baum, wo er sie
zuerst weckte, dem süßen Andenken ihrer Jugendliebe und
ersten Regung. Der alte Bund wird wieder erneuet und dem
heiligen Namen der Mutter, die sie hier mit Schmerzen
gebar, die sie als ihre Einige auferzog und ihm
vermählte, bei ihm und diesem Baume, der sie ihm
gegeben, wird der Bund beschworen. Es ist als ob sie ihre
Kinder hieher führen, ihnen dies Heiligthum der Geburt
ihrer Mutter, und ihrer Liebe und ihres ewigen Bundes oft
zeigen wollten; und da also an seinem Arm hangend,
antwortet sie:
Ein Siegel
präge mich auf dein Herz,
Ein Siegel auf deinen Arm
und das Lied, wie es
folgt, möchte selbst Siegel der Liebe aufs ganze Buch
heißen. Tod und Hölle, Glut und Blitz, Ströme und
Waßer, Haus und Gut kommt zusammen, die Stärke, die
Ewigkeit der Liebe zu bewähren. Sie hält vest, wie der
Tod, umarmt wie das Grab, sie glühet tief, sie flammet
hoch: kein Feind, kein Hinderniß kann sie tilgen, sie
überwindet Widerstand und Gefahr. Wo sie ist, ist sie
allmächtig, und wo sie nicht ist, kann sie nicht
erzwungen, nicht erkauft werden; Reichthum und Schätze
werden um sie verachtet Ich wollte beinah, das
Buch schlöße mit diesem Göttlichen Siegel.
Es ist auch so gut, als
geschloßen; denn was folgt, scheint mir nur ein
beigefügter Nachhall, damit nichts dieser Art verlohren
ginge. Es ist das sinnreiche und stolze Gespräch einer
Schwester mit ihren Brüdern.
Der
Eine spricht:
Unsre Schwester ist
noch klein,
Noch knospet nur ihr Busen;
Was wollen wir unsrer Schwester thun,
Wenn man wird um sie werben?
Der Zweite:
Ist sie eine Mauer,
So wollen wir auf sie bauen
Einen Silberpallast.
Ist sie eine Pforte,
So wollen wir sie verwahren
Mit Cedernholz.
Die
Schwester:
Ja eine Mauer bin
ich,
Und meine Brüste Thürme.
Da war ich in seinen Augen,
Wie Eine, die Frieden fand.
Ich laße mit Fleiß
die Uebersetzung in ihrer morgenländischen räthelhaften
Dämmerung, damit der Stral der Aufklärung so angenehmer
werde. Offenbar ists eine Berathschlagung älterer weiser
Brüder über die Sicherheit der Schwester, wenn sie
heranwächst. Die Berathschlagung ist etwas früh und der
Rath selbst etwas hölzern. Der Bruder antwortet: ist sie
eine Mauer d.i. hält sie vest und wohl auf ihre Ehre, so
soll sie belohnt werden. Silberne Spitzen, Putz und
Kleinode, sollen sie zieren. Wäre sie aber eine Pforte,
(die nicht Mauer) so müssen wir sie einschließen; (sie
vervestigen mit Cedernbohlen) der gewöhnliche Weg
Morgenlandes, Treue und Keuschheit zu sichern.
Unwillig hierüber bricht die Schwester aus: "Mauer
bin ich und keine Pforte; auch darf ich eurer Thürme und
Bevestigungen nicht, meine Brüste sind Thürme, mein
Busen gibt mir Sicherheit und Schutz. Ja nicht blos
Sicherheit nach Kampfe; sondern Sieg und Frieden beim
ersten Anblick. Der Feind erscheint vor der Mauer; beim
ersten Anblick der Spitzen soll er abziehn und der Stadt
den Frieden geben: d.i. meine Person selbst soll ihm
Ehrfurcht einflößen, daß ich in Ruhe bleibe ich
habe eures Raths und eurer Einschliessung nicht
vonnöthen." Daß dies unfehlbar der Sinn sei, zeigt
folgende kleine Geschichte, die ihnen das Mädchen zum
Spott dazusetzt:
Einen Weinberg
hatte Salomon
Zu Baal-Hamon.
Er that den Weinberg Hütern aus,
Daß jeder ihm für seine Früchte
Tausend Silberlinge brächte.
Mein Weinberg ist
Vor Augen mir:
Die Tausend werden dem Salomo,
Und die die Frucht ihm hüten,
Haben zweihundert noch.
Offenbar eine
Spottgeschichte von dem, was aus dem Hüten und Wahren
herauskommt. Der König bekommt, was er sich ausbedung,
und jeder nimmt sich noch zum Hüterlohn das Seine. Sie
wahret, spricht sie, ihren Weinberg selbst, so wird sie
nicht betrogen und darf keinen Hüterlohn zollen.
Ob das schöne
Mährchen bisher so verstanden sei? weiß ich nicht; ich
wenigstens habe es nirgend gefunden. Ich mag aber nicht
darum streiten, "es könnte es sonst ein alter Rabbi
gesagt haben" kurz, mich dünkt, dies ist
sein klarer Sinn, und der Sinn ist schön, und im Ton des
Morgenlandes sinnreich. Man weiß, daß sie eine so
räthselhafte Sprache des Witzes in Bildern, Gleichnissen
und Beispielen lieben und getraue mich, zu sagen, daß
dies eins der schönsten Stücke der Art sei, die aus dem
Hebräischen Alterthume zu uns gekommen. Eben deßwegen
und weil Salomons Name und Weinberg darinn vorkommt, ward
ihm vermuthlich die Stelle zum Anhange des Hohelieds. Es
könnte aber übrigens auch zugleich als ein kleiner
Belag zur Schatzkammer des großen Königs, so wie der
Haushaltung, so auch vermuthlich in der Liebe dienen.
Die Moral darinn ist: "wahre Zucht,
Schönheit und Ehre verwahret sich selbst. Sie bedarf
keiner Klammern, Bollwerke, Hüter und Thürme, so wenig
als diese sie "ersetzen oder ihr nützen" und
diese Moral ist Mädchenhaft, und jugendlich eingekleidet
Es
folgt noch das Fragment eines Gesprächs:
Du Wohnerin der
Gärten,
Die Gespielen horchen auf deine Stimme
Laß mich sie hören
"Fleuch, mein Geliebter, gleich dem Reh,
Dem jungen Hirsch auf duftender Höh
und damit endets.
Entweder wollte der Sammler nichts untergehn lassen und
fügte auch dies kleine Duo bei; oder er sollte noch mehr
anzeigen, wie wir gleich untersuchen wollen. Offenbar
ists die Stimme eines jungen Liebhabers, der die Stimme
dieser Nachtigall hören will; sie winkt ihm aber zu
fliehn, wie ein Hirsch auf duftenden Bergen und so
verhallet das Buch
Aus: Johann
Gottfried Herder: Sämtliche Werke. Band VIII. Hrsg. von
Bernhard Suphan. Georg Olms Verlagsbuchhandlung
Hildesheim 1967. Reprografischer Nachdruck der Ausgabe
Berlin 1892.