Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Bernhard Hirzel (1807-1847)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209




Das Lied der Lieder
oder
Sieg der Treue


I. Gesang

Die Hoffrauen

I, 2. Würde mir doch ein Kuß
Von den Küssen seines Mundes -
Denn süß ist deine Liebe
Vor Wein!

3. An Duft
Sind deine Salben süß;
Ein Öhl,
Wird ausgegossen dein Name:
Darum
Lieben Dich die Jungfrauen!

4. Zieh mich!
Dir nach wollen wir laufen! -
Mich führte
Der König in seine Gemächer;
Jubeln wollen wir und uns freuen
Über Dich!
Preisen Deine Liebe
Vor Wein!
Mit Recht ja
Lieben sie Dich!
 

Sulamit

5. Schwarz bin ich,
Und lieblich,
Töchter Jerusalem's,
Wie Gezelte Kedars,
Wie Vorhänge Salomo's.

6. Schaut mich nicht an,
Daß ich so schwarz bin,
Daß mich verbrannt hat
Die Sonne.
Meiner Mutter Söhne zürnten auf mich,
Setzten mich
Zur Hütherin der Weinberge.
Meinen Weinberg, den eigenen,
Hab ich nicht gehüthet. - -

7. O, sage mir an,
Du, den liebet
Mein Herz,
Wo weidest du?
Wo denn
Lagerst du am Mittag?
Denn warum sollt' ich werden
Als wie zu einer Unbekannten
Bei den Heerden deiner Freunde?
 

Hoffrauen

8. Wenn nicht Einsicht
Du hast,
Du Schönste unter den Frauen,
So geh hinaus
Auf der Spur deiner Schafe,
Und weide
Deine Ziegen
An den Hütten der Hirten.
 

Salomo

9. Meinem Roß
In Pharao's Gespann
Vergleich ich dich,
Meine Freundinn!

10. Lieblich sind deine Wangen
In Kettchen,
Dein Hals
In Ringen!

11. Kettchen von Golde
Machen wir dir
Mit Pünktchen Silbers.
 

Sulamit

12. So lang als der König
An der Tafel,
Hat meine Narde
Gegeben ihren Duft. -

13. Ein Myrrhenstrauß
Ist mein Geliebter
Für mich;
Auf meinem Busen
Ruhet er.

14. Eine Cyperntraube
Ist mein Geliebter
Für mich
In den Weinbergen Engedi's.
 

König

15. Sieh, du bist schön,
Meine Freundinn,
Sieh, du bist schön,
Deine Augen - Tauben!
 

Sulamit

16. Sieh, du bist schön, mein Geliebter,
Auch angenehm,
Auch ist unser Lager
Grün;

17. Die Deckbalken unserer Häuser
Cedern,
Fichten
Unsere Wand. -

II, 1. Ich bin
Eine Herbstzeitlose Saron's,
Eine Lilie der Thäler.
 

König

2. Wie eine Lilie
Unter den Dornen,
So meine Freundinn
Unter den Töchtern!
 

Sulamit

3. Wie ein Apfel
Unter den Bäumen des Waldes,
So mein Freund
Unter den Söhnen!
In seinem Schatten
Freut' ich mich zu ruhn,
Und seine Frucht
War süß
Meinem Gaumen.

4. Er führte mich
Zu der Weinlaube,
Und sein Panier ob mir
War Liebe! - -

5. Stärket mich
Mit Kuchen,
Erquickt mich
Mit Äpfeln,
Denn krank vor Liebe
Bin ich: -

6. Oh, seine Linke
Unter mein Haupt!
Und seine Rechte
Umarme mich!

7. Ich beschwöre Euch,
Töchter Jerusalems,
Bei Gazellen
Oder des Feldes Hindinnen,
Wecket doch nicht
Und erwecket doch nicht
Die Liebe,
Bis daß sie's will!

 

II. Gesang


Sulamit

II, 8. Horch, mein Geliebter,
Da ist er,
Er kommt,
Springend
Über die Berge,
Hüpfend über die Hügel!

9. Es gleicht mein Geliebter
Der Gazelle
Oder dem Jungen der Hindinnen. -
Sieh, da steht er
Hinter unserer Mauer,
Schauend
Durch die Fenster,
Schimmernd
Durch die Gitter. -

10. Es beginnt mein Geliebter
Und spricht zu mir:
"Auf doch,
Meine Freundinn, meine Schöne,
Und komm doch!
Denn schau, der Winter
Ist vorüber,
Der Regen
Vorbei, dahin.

12. Die Blumen
Zeigen sich im Lande;
Die Zeit des Gesanges
Ist genaht,
Und der Turteltaube Stimme
Läßt sich hören in unserem Lande.

13. Der Feigenbaum
Würzet seine Früchte,
Und die Reben sind in Blüthe,
Verbreiten Duft.
Auf denn,
Meine Freundinn, meine Schöne,
Und komm denn!

14. Meine Taube
In den Felsspalten
Und Schluchten des Abhangs,
Laß mich schauen
Deinen Anblick,
Hören
Deine Stimme;
Denn deine Stimme ist süß,
Und dein Anblick lieblich!" -

15. Fanget uns
Füchse,
Kleine Füchse,
Die da verderben die Weinberge:
Und unsere Weinberge
Sind ja in Blüthe! - -

16. Mein Geliebter ist mein
Und ich sein,
Der da weidet
Unter den Lilien!

17. Eh daß wehet
Der Abend,
Und fliehen
Die Schatten,
Wende dich, gleiche,
Mein Geliebter! einer Gazelle,
Oder den Jungen der Hindinnen
Über die Berge der Trennung! - -

III, 1. Auf meinem Lager
In den Nächten
Sucht' ich,
Den da liebet
Mein Herz;
Sucht' ihn -
Und fand ihn nicht!

2. Auf denn!
Ich will herumgehen in der Stadt,
In den Straßen,
Auf den Plätzen,
Suchen,
Den da liebet
Mein Herz!
Ich sucht' ihn -
Und fand ihn nicht!

3. Mich fanden
Die Wächter,
Die herumgehn
In der Stadt:
"Ihn,
Den da liebet mein Herz,
Habt ihr ihn gesehen?"

4. Kaum
War ich an ihnen vorbei,
Als ich fand,
Den da liebet
Mein Herz.
Ich hielt ihn fest;
Und werd' ihn nicht lassen,
Bis daß ich ihn gebracht
Zum Haus meiner Mutter
Und zum Gemach
Derer, die mich empfieng. -

5. Ich beschwöre
Euch,
Töchter Jerusalems,
Bei Gazellen
Oder des Feldes Hindinnen;
Wecket doch nicht
Und erwecket doch nicht
Die Liebe,
Bis daß sie's will!

 


III. Gesang
 

III, 6. Was ist's
Das da aufsteigt
Von der Trift her,
Gleich Säulen Rauches,
Durchduftet von Myrrhen
Und Weihrauch,
Von allem Pulver des Krämers? -

7. Sieh da sein Bette,
Salomo's,
Sechzig Helden
Rings darum her
Aus den Helden Israels,

8. Sie alle
Schwerterfest,
Kriegeskundig,
Jeder sein Schwert
An der Seite,
Aus Scheu
In den Nächten! -

9. Ein Brautbett
Hat sich gemacht
Der König Salomo
Von den Bäumen des Libanon.

10. Seine Säulen
Macht er zu Silber,
Seine Decke zu Gold,
Sein Kissen zu Purpur
Seine Mitte
Glänzend mit einer Liebe
Aus den Töchtern Jerusalems. - -

11. Gehet und sehet,
Töchter Zion's,
Auf den Kranz,
Womit ihn bekränzt seine Mutter
Am Tage seiner Hochzeit
Und am Tage der Freude seines Herzens! -
 

Salomo

Sieh, du bist schön, meine Freundinn,
Sieh, du bist schön,

IV, 1. Deine Augen - Tauben
Unter dem Schleier hervor!
Deine Locken
Wie eine Heerde Ziegen,
Die herabhüpfen
Vom Berge Gilead!

2. Deine Zähne
Wie eine Heerde Geschorner,
Die aufsteigen
Aus der Schwemme,
Sie alle
Zwillingsmütter,
Und kinderlos
Ist keines davon!

3. Wie Purpurfaden
Deine Lippen,
Und dein Mund
So lieblich!
Wie die Hälfte der Granate
Deine Wange
Unter dem Schleier hervor!

4. Wie der Thurm Davids
Dein Hals,
Erbaut
Zur Waffenhänge:
Tausende der Schilde
Hängen daran,
Alles Waffen der Helden!

5. Dein Busenpaar
Wie ein Pärchen
Von Zwillingen der Gazelle,
Die da weiden
In den Lilien! -

6. Bis daß wehet
Der Abend,
Und fliehen
Die Schatten;
Möcht ich hin doch
Zum Myrrhenhügel! -

7. Ganz bist du schön,
Meine Freundinn!
Und Fehl ist keiner an dir!
 

Sulamit

8. ""Mit mir vom Libanon,
Braut,
Mit mir
Vom Libanon sollst du kommen,
Schauen vom Haupte Amana's,
Vom Haupte Senir's
Und Hermons,
Von den Höhlen der Löwinnen,
Von den Bergen der Parder.
Herz gibst du mir,
Meine Schwester Braut,
Herz gibst du mir
Mit Einem deiner Augen,
Mit Einem Ringe
Deiner Halskette.
Wie schön ist deine Liebe,
Meine Schwester Braut,
Wie süß ist deine Liebe
Vor Wein,
Und der Duft deiner Salben
Vor allem Balsam!

11. Honigseim
Träufeln deine Lippen,
Braut,
Honig und Milch
Ist unter deiner Zunge,
Und deiner Kleider Duft
Wie der Duft des Libanon!
Ein verriegelter Garten

12. Ist meine Schwester Braut,
Ein verriegelter Quell,
Ein versiegelter Born.

13. Deine Ranken
Ein Paradies von Granaten
Mit dem edelsten Obst,
Cypern
Mit Narden,

14. Narde und Krokus,
Kalmus und Zimmt
Mit allem Weihrauchholz,
Myrrhen und Aloe
Mit all dem köstlichsten Balsam!

15. Ein Gartenquell,
Ein Born lebendigen Wassers,
Und Bäche
Vom Libanon herab!""

16. "Herauf, Nordwind,
Und komm, Südwind,
Durchwehe meinen Garten,
Herab riesle sein Balsam!
Es komme mein Geliebter
In seinen Garten
Und esse
Seine edeln Früchte!"

V, 1. ""Gekommen bin ich zu meinem Garten
Meine Schwester Braut,
Pflückte meine Myrrhe
Mit meinem Balsam,
Aß mein Stück
Mit meinem Honig,
Trank meinen Wein
Mit meiner Milch! -
Esset, Freunde,
Trinkt und berauscht euch,
Geliebte!"" - -

2. Ich schlief,
Und mein Herz war wach.
Horch! mein Geliebter, er klopft:
""Öffne mir, meine Schwester, meine Freundinn,
Meine Taube, meine Reine!
Denn mein Haupt
Ist voll von Thau,
Meine Locken
Von Tropfen der Nacht.""

3. "Ausgezogen hab ich
Mein Gewand -
Wie doch
Sollt' ich es anziehn?
Gereinigt meine Füße -
Wie sollt' ich sie beschmutzen?" -

4. Mein Geliebter
Streckte seine Hand
Durch das Fenster,
Und mein Innerstes
Wogt' ihm entgegen.

5. Auf stand ich,
Zu öffnen meinem Geliebten,
Und meine Hände träufelten von Myrrhe,
Und meine Finger
Von fließender Myrrhe
Auf den Griffen des Riegels.

6. Ich öffnete, ich
Meinem Geliebten,
Und mein Geliebter -
War verschwunden, war fort -
Meine Seele
War mir entgangen,
Während er sprach -
Ich sucht' ihn,
Und fand ihn nicht,
Rief ihn,
Und er entgegnet' mir nicht!

7. Mich fanden die Wächter
Die herumgehn in der Stadt,
Schlugen mich, verwundeten mich,
Hoben meinen Schleier
Mir auf,
Die Wächter der Mauern. -

8. Ich beschwöre euch,
Töchter Jerusalems,
Wenn ihr findet
Meinen Geliebten -
Was sollt ihr ihm melden? -
Daß krank vor Liebe
Ich bin!
 

Die Hoffrauen

9. Was ist dein Geliebter mehr als ein Geliebter,
Du Schönste
Unter den Frauen?
Was ist dein Geliebter mehr als ein Geliebter,
Daß so
Du uns beschwörst?
 

Sulamit

10. Mein Geliebter ist weiß,
Und roth,
Leuchtend
Vor Tausenden!

11. Sein Haupt
Geläutert Gold!
Seine Haare
Palmzweige,
Schwarz
Wie die Raben!

12. Seine Augen wie Tauben
Über Wasserbächen,
Badend
In der Milch,
Ruhend
Über der Fülle!

13. Seine Wangen
Wie Balsambeete,
Thürme
Von Gewürzen!
Seine Lippen
Lilien,
Träufelnd
Von fließender Myrrhe!

14. Seine Hände
Goldene Rundungen,
Eingefaßt
In Tarsissteine!
Sein Leib
Ein Werk aus Elfenbein,
Eingelegt
In Sapphir!

15. Seine Schenkel
Marmorsäulen,
Fußend
Auf goldenem Grund!
Sein Anblick
Wie der Libanon,
Ragend
Wie die Cedern!

16. Sein Gaumen
Süßigkeit;
Und ganz er
Lieblichkeit!
Das ist mein Geliebter
Und das mein Freund,
Ihr Töchter Jerusalems!!
 

Die Hoffrauen

VI, 1. Wohin ging dein Geliebter,
Du Schönste unter den Frauen?
Wohin wandte sich dein Geliebter,
Und wir wollen ihn suchen
Mit dir?
 

Sulamit

2. Mein Geliebter
Stieg hinab zu seinem Garten,
Zu den Balsambeeten,
Zu weiden
In den Gärten
Und zu pflücken
Lilien.

3. Ich bin meinem Geliebten,
Und mein Geliebter ist mir,
Der da weidet
In den Lilien.
 

König

4. Schön
Bist du, meine Freundinn,
Wie Tirza,
Prächtig
Wie Jerusalem,
Schrecklich
Wie Siegerschaaren!

5. Wende deine Augen
Ab von mir;
Denn sie
Betäuben mich! -
Deine Locken
Sind wie eine Herde Ziegen,
Die herab hüpfen
Vom Gilead;

6. Deine Zähne
Wie eine Herde Schäfchen,
Die aufsteigen
Aus der Schwemme,
Sie alle
Zwillingsmütter,
Und kinderlos
Ist keines davon!

7. Wie die Hälfte der Granate
Deine Wange
Unter dem Schleier hervor. -

8. Sechzig sind Königinnen,
Achtzig Nebenfrauen,
Und Jungfrauen
Ohne Zahl:

9. Einzig ist sie
Meine Taube, meine Reine;
Einzig ist sie
Ihrer Mutter,
Auserwählt
Ihr, die sie gebar!
Es sahen sie Töchter
Und lobten sie,
Königinnen und Nebenfrauen
Und priesen sie:

10. "Wer ist, die da aufglänzt
Wie Morgenroth,
Schön wie der Mond,
Rein
Wie die Sonne,
Schrecklich
Wie Siegerschaaren?"

11. ""Zum Nußgarten
Stieg ich herab,
Zu sehen
Auf das Grün des Baches,
Zu sehen,
Ob sprosse der Weinstock,
Blüthen treiben
Die Granaten.

12. Ich weiß nicht -
Meine Lust hat mich gestellt
Vor Wagen
Meines edeln Volkes.""

VII, 1. "Wende dich, wende dich,
O Sulamit,
Wende dich, wende dich,
Und wir wollen dich beschauen."
""Was wollt ihr beschauen
An der Sulamit?""
"Gleichsam den Tanz
Von Machanajim!" - -

2. Wie schön sind deine Schritte
In den Schuhen,
Tochter eines Edeln!
Die Wölbungen deiner Hüfte
Wie Halsgeschmeide,
Ein Werk
Von Künstlerhand!

3. Dein Leib
Ein Becher der Rundung;
Nicht mangle
Der Würzwein!
Dein Schooß
Eine Weizengarbe,
Umschlossen
Von Lilien.

4. Dein Busenpaar
Wie ein Pärchen
Von Zwillingen der Gazelle!

5. Dein Hals
Wie ein Thurm von Elfenbein!
Deine Augen
Teiche bei Hesbon
Am Thor Batrabbim!
Deine Nase
Wie des Libanon Warte,
Die da schaut
Nach Damaskus!

6. Dein Haupt auf dir
Wie der Karmel,
Und das Haar deines Hauptes
Gleich Purpur:
Ein König,
Gefesselt an Locken!

7. Wie schön bist du!
Und wie hold,
Eine Liebe
In der Lust! -

8. Diese deine Höhe
Ist gleich der Palme,
Und dein Busen
Trauben.

9. Ich dachte:
Hinan will ich, an die Palme,
Fassen
Ihre Zweige,
Und es möge mir doch sein
Dein Busen
Wie die Trauben der Rebe,
Und deiner Nase Duft
Wie die Äpfel,

10. Und dein Gaumen
Wie süßer Wein,
Der da fließt meiner Liebe
Ungesäumt,
Der da gleitet
Über die Lippen der Schlafenden!
 

Sulamit

11. Ich bin meinem Freunde,
Und auf mich
Geht sein Verlangen. -

12. Auf, mein Geliebter,
Laß uns hinaus, auf das Feld!
Nachten
Unter Cyperbäumen!

13. Früh auf
Zu den Weinbergen!
Sehen,
Ob keime die Rebe,
Sich öffne die Blüthe,
Blumen treiben
Die Granaten!
Dort
Gebe ich meine Liebe
Dir!

14. Die Liebesäpfel verbreiten Duft,
Und ob unsern Thüren
Ist jegliches edle Obst.
Neues,
Auch altes,
Mein Geliebter,
Hab' ich aufbewahret
Für dich! -

VIII, 1. O wärest du doch
Wie ein Bruder mir,
Der getrunken
An meiner Mutter Brust!
Fänd' ich dich auf der Straße,
Dürft' ich dich küssen;
Auch schmähten sie mich nicht!

2. Ich führte dich,
Brächte dich
Zum Hause meiner Mutter;
Du lehrtest mich!
Dir gäb' ich zu trinken
Von duftendem Wein,
Vom Most meiner Granaten! -

3. O, seine Linke
Unter mein Haupt!
Und seine Rechte
Umarme mich! -

4. Ich beschwöre euch,
Töchter Jerusalems:
Was wollet ihr wecken,
Und was wollt ihr erwecken
Die Liebe,
Bis daß sie's will!

 

IV. Gesang


Die Freunde

VIII, 5. Wer ist sie,
Die da aufsteigt
Von der Trift,
Sich stützend
Auf ihren Geliebten?
 

Sulamit

Unter dem Apfelbaum
Weckt' ich dich auf.
Dort kreißte mit dir deine Mutter,
Dort
Kreißte sie, gebar dich. -

6. Lege mich
Wie eine Siegelring
An dein Herz,
Wie einen Siegelring
An deinen Arm.
Denn stark wie der Tod
Ist die Liebe.
Mächtig wie Geisterwelt
Treue!
Ihre Gluten
Feuergluten,
Flamme Gottes!

7. Gewässer in Menge
Vermögen nicht
Zu löschen die Liebe,
Und Ströme
Werden nicht sie wegschwemmen!
Böt Einer
Alle Habe seines Hauses
Um die Liebe:
Verachtung,
Verachtung würd' ihm nur! -

8. "Eine Schwester haben wir,
Eine kleine,
Noch ohne Busen:
Was sollen wir thun
Unserer Schwester
Am Tage,
Wo gefragt wird um sie?"

9. "Ist sie eine Mauer
Bauen wir auf sie
Eine Zinne von Silber!
Und ist eine Thür sie,
Sperren wir auf sie
Ein Cedernbrett!"

10. Ich bin eine Mauer,
Und mein Busen
Wie die Thürme:
Da wurde ich in seinen Augen
Wie Eine, die Frieden findet. -

11. Einen Weinberg hatte Salomo
In Baal-Hermon;
Er gab den Weinberg
Den Wächtern;
Ein jeder
Brachte für seine Frucht
Tausend Silberlinge -

12. Mein Weinberg, der meinige,
Steht mir zu;
Die Tausende seien dir,
O Salomo,
Und zweihundert
Für Hüther seiner Frucht! --
 

Der Geliebte

13. Die du nun weilest in den Gärten,
Freunde
Horchen auf deine Stimme:
Laß mich sie hören!
 

Sulamit

14. Fliege, mein Geliebter,
Und gleiche der Gazelle
Oder dem Jungen der Hindinnen
Über die Balsamberge!


Aus: Das Lied der Lieder oder Sieg der Treue
(Das hohe Lied)
Übersetzt und erklärt von
Dr. Bernhard Hirzel Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1840


 

 

 

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