Wassily Kandinsky
(1866-1944)
Improvisation 209
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Das Hohelied Salomonis
Salem und Sulamith
Heiliges Liebeslied
1782
Sulamith
Dich lieb' ich, mein Salem, dich
lieb' ich vor allen.
Was könnte, was möchte wol sonst mir gefallen!
Dich hab' ich. Dich halt' ich. Dich will ich umfassen,
Will fest dich umschlingen, will nimmer dich lassen.
Salem
Geliebte, du wähnest, mich könnte
nichts trüben,
Drum magst du wol herzlich, wol innig mich lieben.
Doch wenn sich der Himmel der Liebe mal trübte,
Wie stünd' es um's Lieben, du Inniggeliebte?
Sulamith
Wol ewiges Leuchten, wol ewige Wonne
Ist, Salem, dein Lieben. Doch hülle die Sonne
Der Liebe in Wolken. Laß stürmen und wehen.
Ich werde - wie leichtlich! - die Probe bestehen.
Salem
Geliebte, mein Lieben bringt
köstliche Gaben.
Ach, magst wol so lieb um die Gaben mich haben.
Doch wenn ich die Gaben dir künftig verhielte -
Wer weiß, ob die brünstige Liebe nicht kühlte!
Sulamith
Ich liebe den Geber, ich liebe die
Gaben.
Doch sollt' ich den Geber nicht lieber noch haben?
Laß fahren die Gaben! Laß schwinden die Freuden!
Das wird mich von dir, mein Erwählter, nicht scheiden.
Salem
Doch wenn ich in's Dunkel der Armuth
dich stieße,
Und darben und zappeln und zagen dich ließe,
Nicht hörte dein Rufen, nicht hörte dein Schreien,
Dann würdest du wol dein Lieben bereuen!
Sulamith
Mein Salem, mein Heiland, so kannst
du nicht wähnen.
Bist du nicht mein Seufzen, mein Schmachten und Sehnen?
Was frag' ich nach eiteln vergänglichen Schätzen?
Bleibst du mir, mein Reichthum, mein Seelenergetzen!
Salem
Doch wenn ich - erwäg' es, - beherz'
es, o Seele -
Sprich, wenn ich der Ehre helle Juwele
Dir raubte, dich stürzte in Schmach und in Schande,
Dann rissen wol, Freundinn, die zärtlichen Bande?
Sulamith
Laß dräuen Verachtung und Schmähung
und Schande!
Das reißt nicht die zärtlichen ewigen Bande.
Was acht' ich's, ob Menschen mich schmähen und höhnen,
Wenn Myrten der himmlischen Liebe mich krönen?
Salem
Ich glaub' es. Ich weiß es. Ich kenne
dein Lieben.
Auch werd' ich so schmerzlich dich schwerlich betrüben.
Doch wenn ich, damit sich die Liebe bewährte,
Mit Ketten und gräßlichem Kerker dich schwerte,
Wo nimmer das dumpfige Dunkel verwallte,
Wo nimmer ein tröstendes Lächeln dir hallte,
Wo Schlangen und schwellende Nattern verweilten,
Und Eulen aus ängstlichem Schlummer dich heulten? -
Sulamith
O Salem, mein Salem, o würd' ich
erfunden
So würdig, zu tragen in Kerker und Wunden
Die Ketten der Liebe, wie würd' ich sie küssen,
Und dichter an dich, mein Geliebter, mich schließen!
Salem
Doch wenn dir die Liebe nur Martern
erweckte,
Und Tod mit hellfunkelnder Sichel dich schreckte -
Wie stünd' es, Geliebte, im Todesverzagen?
Dann würdest du wol dem Geliebten entsagen!
Sulamith
O Salem, mein Salem, das kannst du
nicht wähnen.
Du kennest, du weißest mein inniges Sehnen.
Ach! würd' ich gewürdigt, so selig zu sterben,
Wie würd' ich die Palme mir jauchzend erwerben!
Ich würde mich fest um den Bräutigam schmiegen,
Und mächtig die Schrecken des Dräuers besiegen.
Ich würde nicht wanken vom Lieben und Glauben,
Wer wollte mein Leben, mein Lieben mir rauben?
Salem
Ich weiß es. Ich glaub' es. Ich kenne
dein Lieben.
Auch werd' ich so schmerzlich dich schwerlich betrüben -
Doch wenn ich den Honig der Liebe dir gällte,
Den Rücken dir kehrte und fremde mich stellte,
Dann würden dich höhnen die jauchzenden Rotten.
Sie würden mit giftigem Lachen dein spotten.
Du würdest wol Anfangs dich härmen und grämen,
Bald aber des wankenden Liebsten dich schämen.
Sulamith
O Salem, mein Salem, du kannst nicht
betrüben!
Das wüßt' ich - drum würd' ich nicht müde, zu lieben.
Ich würde dir folgen mit Seufzen und Sehnen.
Ich würde dich flehen mit blutigen Thränen.
Salem
Doch wenn ich nun weinen und flehen
dich ließe,
Und zornig hinab zu der Hölle dich stieße,
Dann würdest du denken: Er hat mich verlassen!
Und drunten mit wüthigem Hasse mich hassen!
Sulamith
O Salem, mein Salem, das kannst du
nicht wollen.
O Wehe! zur Hölle mich stoßen zu wollen!
Wie könnte mein Salem sein theures Versprechen,
Den Eid der Verlobung der Liebenden brechen!
Salem
Wer hat dir gelobet? Wer hat dich
geliebet?
Verworfne, die stündlich mich bitter betrübet!
Ich liebe die Reinen. Ich segne die Frommen.
Doch Bosheit darf nicht vor mein Angesicht kommen.
Sulamith
Ist's möglich - mein Salem - ach!
kannst du ergrimmen?
Wie beb' ich, wie zittr' ich der zürnenden Stimmen!
Sieh her, mein Geliebter, mein Kleid ist gewaschen.
Es ist ja im Blut der Versöhnung gewaschen.
Wer ist es, wes Blut hat der Liebe geflutet?
Wer hat mir Versöhnung und Frieden erblutet?
Wer gab sein Verdienst mir zur bräutlichen Seide?
Sein heiliges Leben zum Hochzeitgeschmeide?
Mein Salem, mein Retter, du kannst mich nicht hassen,
Dich hab' ich. Dich halt' ich. Dich will ich umfassen.
Ach sieh! wie ich ring' im Glauben und Lieben.
Ach! kannst du, ach! willst du im Ernst mich betrüben? -
Salem
Ich kann nicht. Ich will nicht. Es
ist dir gelungen,
Unsterbliche Seele, du hast mich bezwungen.
Ich liebe dich ewig. Ich will dich nicht lassen,
Komm, Theuererrungne, komm, laß dich umfassen!
Sulamith
O Wonne, du Starke! O Liebe, du Süße!
Mich brennen, mich schmelzen die brünstigen Küsse!
Wie beb' ich! Wie fühl' ich die schlagenden Wellen
Den seligkeitflutenden Busen mir schwellen!
Salem
Sey treu, du Geliebte, sey treu bis
an's Ende,
Bis daß ich den rufenden Boten dir sende.
Dann eil' und entreiß dich dem irdischen Harme,
Und wirf dich in meine heißharrenden Arme.
Dann sollst du von Antlitz zu Antlitz mich schauen.
Dann will ich dich ganz mir und ewig vertrauen.
Dann will ich dich kleiden in bräutliche Seide,
Dich schmücken mit festlichem Hochzeitgeschmeide.
Dann soll die Myrthe des Bundes dich kränzen,
Der Ring der Vertrauung am Finger dir glänzen;
Dann will ich den Kuß der Verlobung dir küssen,
Und Braut und Vermählte und Gattinn dich grüßen.
Sulamith
Ach Retter, ach eil' und entreiß mich
dem Harme
Der langen Verbannung mit mächtigem Arme. -
Mich lüstet, dein seliges Antlitz zu schauen,
Und ganz mich und ewig dir anzuvertrauen.
Ach! eil' und entreiß mich dem nichtigen Tande.
Mich lasten, mich pressen die ängstenden Bande.
Mich dürstet, mich inniger an dich zu schmiegen,
Und wonneberauscht dir am Busen zu liegen.
Ich liebe dich ewig. Ich will dich nicht lassen,
Will täglich und stündlich dich dichter umfassen.
Ach! eil' und entreiß mich dem schmachtenden Harme,
Und nimm mich in deine heißharrenden Arme.
(Band 6 S. 203-212)
Aus: Dichtungen von Ludwig Gotthard Kosegarten
Sechster und siebenter Band
Lyrische Gedichte erste Sammlung Erstes bis viertes Buch
Fünfte Ausgabe Greifswald
In der Universitäts-Buchhandlung 1824
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