Das Hohe Lied Salomos

In der Nachdichtung von Max Schaffrath  (1813-1877)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis

Sulamith
Das Hohelied der Liebe

I.
Vor dem Eintritt ins Harem

Sulamith
O küßt' er mich mit seines Mundes Küssen!
Denn deine Lieb' ist süßer als der Wein.
Und wie dein Salböl Wohlgeruch verbreitet,
So ist ein Balsam auch der Name dein,
Der mild und lieblich von der Lippe gleitet.
Das ist, warum Jungfraun dich lieben müssen!
Zieh dir mich nach! O fliehen wir geschwind!
Der König läßt mich in sein Harem bringen -
Dort soll in dir nur unsre Freude sein!
Wir wollen jubelnd deine Liebe singen
Und ihren Preis erheben vor dem Wein.
Denn alle lieben dich, die edel sind.


II.
Im Harem

Sulamith
Schwarz bin ich, aber schön zudem,
Ihr Töchter von Jerusalem!
Schwarz, wie sich Kedars Zelt' erhöhn,
Wie Salomo's Vorhänge schön.
Mein braunes Antlitz seht nicht an:
Die Glut der Sonne hat's gethan.
Denn meiner Mutter Söhne sind
Gar streng und hart mir armen Kind'
Und setzten mich in bösem Muth
Auf einen Weinberg hin zur Hut,
Wo alle Menschenschau gebricht -
Doch hütet' ich den Weinberg nicht.
O mein Geliebter, hauch' mir zu
Nur einen Laut! Wo weidest du?
O sprich, wo du zur Schattenrast
Am Mittag dich gelagert hast!
Ach, nur verhüllt - dürft' ich allein
Bei deiner Freunde Heerden sein!

(Der Dichter)
Schönste der Frauen, weißt du's nicht,
So neig' herab dein Augenlicht:
Der Boden zeigt der Heerden Spur;
Folg' ihnen nach und eile nur,
Laß deine Zicklein weiden gehn
Hin, wo der Schäfer Hürden stehn.


III.
Erste Schau

Salomo
Dich, Schönste, gleich' ich meinem Lieblingsrosse
An pharaonischer Prachtkarosse.
Es blühn so reizvoll diese zarten Wangen,
Von Perlen rund umfangen;
Reizvoller strahlt zur holden Augenweide
Der Nacken im Geschmeide.
Goldne Gehänge lass' ich dir bereiten,
Darauf sich Silbersterne breiten.


Sulamith
So lang der König im Gemach verblieben,
Hat meine Narde starken Duft ergossen,
Und denken mußt' ich stets des fernen Lieben.
Er ist ein Myrrhenstrauß, im Heiligthume
Des Busens heimlich Tag und Nacht verschlossen;
Mein Trauter ist mir eine Dattelblume
Engeddi's Hain entsprossen.


IV.
Wechselgesang

Der Geliebte
Nur du bist schön, du meine Liebe!
Schön deine Augen, taubengleich!

Sulamith
Nur du allein, o mein Geliebter,
Nur du bist schön und anmuthreich!

Er
Komm! Unser Lager grünt. Auf Pfeiler
Von Cedern baut sich unser Haus,
Und Edeltannen breiten wölbend
Zum Schattendach die Arme aus:

Sie
Narzisse bin ich nur von Saron,
Feldlilie nur, des Schmuckes bar.

Er
Wie eine Lilie unter Dornen,
So blickt sie aus der Mädchenschaar.

Sie
Gleichwie ein Apfelbaum, im Wald entsprossen,
Reichblühend strahlt vor all den wilden Bäumen,
So ist mein Jüngling unter den Genossen.
In seinem Schatten, welche Lust, zu säumen!
Den Gaumen süß zu laben an den Früchten!
O brächt' er mich zurück aus diesen Räumen!

Möcht' er mich doch in seinen Weinberg flüchten,
Daß sein Panier ich froh zu Häupten fühle!
Reicht mir zur Stärkung von der Traube Früchten!
Mit Aepfeln labt, daß ich die Gluten kühle;
Denn krank bin ich vor liebendem Verlangen! -
Läg', ach, die Linke meinem Haupt zum Pfühle!
O daß mich seine Rechte hielt' umfangen!

(Der Dichter)
Bei der Flur Gazell' und Hinde,
Sacht, o sacht!
Ich beschwör' euch, Töchter Salems!
Seid bedacht:
Weckt nicht, regt nicht auf die Liebe,
Bis sie durch sich selbst erwacht!


V.
Traumgesicht

Sulamith
Horch! Mein Geliebter! Der Stimme Ton . . .
Ja, er ist's; ich gewahr' ihn schon!
Dort! - Wie er über die Berge schreitet!
Wie behend er über die Hügel gleitet!
Mein Liebster gleicht der leichten Gazelle,
Dem schlanken Hirsch an flüchtiger Schnelle.
Schon steht er hinter der Mauer dort!
Durchs Fenster blickt er!
Durchs Gitter nickt er!
Ach, schon hör' ich sein liebendes Wort!

"Komm, schöne Freundin, laß uns fliehn!
O tritt heraus; hier bist du frei!
Der rauhe Winter schwand dahin;
Die Regenzeit ist nun vorbei.

Vielfarbig aus dem Boden strebt
Zum Licht die junge Blumensaat;
Von Sängern ist der Wald belebt,
Die Liederzeit ist hergenaht.

Die Turteltaub' in Laub verhüllt
Ruft wach mit Girren rings den Raum,
Und mit geheimer Süße füllt
Sich schon die Frucht am Feigenbaum.

Die Knospe blickt aus Rebengrün.
Dufthauchend bricht die Hüll' entzwei
Komm, schöne Freundin, laß uns fliehn!
O tritt heraus; hier bist du frei!

Mein Täubchen, in der Steige Spalt,
Verborgen in der Mauerkluft,
Verlaß den düstern Aufenthalt;
O tritt heraus in Licht und Luft!

Komm, daß ich schau dein Angesicht
Und deine Stimme hör' - o komm!
Denn deine Stimm' ist süß und schlicht,
Dein Angesicht so lieb und fromm. - -

Fangt mir die Füchse weg! Die Brut
Der kleinen Füchse jagt und fangt,
Die unserm Weinberg Schaden thut,
Der schon in reicher Blüthe prangt!"

Mein, mein ist mein Geliebter! Mein!
Und ich bin sein!
Der unter den Lilien weidet,
Bis der Tag sich kühlt und scheidet,
Und über die Matten
Langhin sich dehnen die Schatten.

Kehr', o Geliebter, kehre wieder!
Gleich der Gazelle
Und mit des Hirsches flüchtiger Schnelle
Steig' über die trennenden Berge nieder!


VI.
Ein nächtlicher Traum

Sulamith
Auf meinem Lager, übermannt vom Schlummer
In später Nacht, kam mir ein Traumgesicht,
Als sucht' ich ihn, den Liebling meiner Seele;
Ich sucht', allein ich fand ihn nicht!
Und meine Seele strebt' ihm nach in Kummer;
Mir däucht', als hätt' ich mein Gemach verlassen,
Die Stadt durchirrend bei der Sterne Licht,
Der Märkte Raum, die vielverschlugnen Gassen.
Ich suchte rings den Liebling meiner Seele;
Ich sucht', allein ich fand ihn nicht!
Und auf die Wächter traf ich, die im Runde
Allnächtlich wandeln bis zur Tagesstunde.
"O saht ihr nicht den Liebling meiner Seele?"
Das Wort entflog mir, eh' ich's recht bedachte.
Doch als ich kaum vorüber ihnen war,
Da fand ich ihn, den Liebling meiner Seele:
Ich hielt ihn fest und ließ ihn nicht,
Bis daß ich ihn ins Haus der Mutter brachte,
In ihr Gemach, die mich gebar.


(Der Dichter)
Bei der Flur Gazell' und Hinde,
Sacht, o sacht!
Töchter Salems, ich beschwör' euch!
Habet Acht:
Weckt nicht, regt nicht auf die Liebe,
Bis sie durch sich selbst erwacht!


VII.
Salomo's Pracht

(Der Dichter)
Wer kommt herauf dort von der Ebne her?
Gleich einer Säul' erhebt sich in die Lüfte
Der weiße Rauch, und wie ein flutend Meer
Die Wogen wälzt, wallen heran die Düfte.
Weihrauch und Myrrhe dampfen auf; hier scheinen
Sich alle Würzen wohlgemischt zu einen.

Es ist die Sänfte Salomo's. Zur Seite
Herziehn der Helden sechzig aus der Zahl
Der Starken Israels, bewährt im Streite,
Und kriegsgeübt faßt ihre Hand den Stahl.
Das breite Schwert umgürtet ihre Lenden,
Nächtliches Schreckniß kräftig abzuwenden.

Es ließ der König sich die Sänfte baun:
Der Libanon gab Cedern zum Gestelle;
Von Silber sind die Säulen dran zu schaun;
Die goldne Decke strahlt in Sonnenhelle.
Der Sitz ist purpurn, der ihn weicher bettet,
Von Salems Töchtern liebewarm umkettet.

Hervor, ihr Töchter Zions! Schaut die Krone,
Die prächtig auf des Königs Scheitel glänzt!
Das liebste Kleinod ist's, womit dem Sohne
Die Mutter einst das frohe Haupt umkränzt
An jenem Tag, als er die Auserwählte,
Die Freude seines Herzens, sich vermählte.


VIII.
Sulamith's Schönheit

Der Geliebte
Wie schön sie ist! Ja, schön fürwahr!
O schön bist du, Geliebte mein!
Zwei Täubchen sind die Augen dein,
Vorschimmernd unterm Lockenhaar.

Dies Haar, das Stirn' und Nacken kränzt,
Der Ziegenheerde gleicht es traun,
Die dunkelwellig von den Aun
Des Gilead herunterglänzt.

Der Zähne Reih' ist wie die Schaar
Von Lämmern, welche schimmerhell
Nach frischer Schur entsteigt dem Quell,
Gepaart und keines unfruchtbar.

Die Lippen sind dem Purpur gleich,
Der sich in sanfter Windung schlingt
Zum Doppelstreifen, und es klingt
Die Stimm' hervor so anmuthreich.

Die Wange glüht im Lockensaum:
So aus geritzter Schale Spalt
Quillt duftigroth der Markgehalt
Des Apfels vom Granatenbaum.

Es ragt der Nacken stolz und hehr,
Wie Davids Burg, zum Trutz erbaut,
Daran man tausend Schilde schaut,
Viel starker Helden Rüst' und Wehr.

Dein Busen hebt nur leis den Flor:
So tauchen aus dem Lilienfeld,
Zur Weide schwesterlich gesellt,
Zwillingsgazellchen kaum hervor.


Sulamith
Wenn der Tag sich neigt in Kühle
Und der Schatten dehnt die Flügel,
Will ich gehn zum Myrrhenbühle
Eil' ich hin zum Weihrauchhügel.


Er
Schön bist du, Liebste, ganz und gar!
O schön und jeder Makel bar!

So komm! Vom Libanon, o Braut,
Von Libanons erhabnem Sitze
Hernahen wir; dein Auge schaut
Hinunter von Amana's Spitze,

Von Senir's Gipfel, Hermon's Hang.
Von Stätten, wo der Löwe schweifte,
Von Höhen, wo auf nächt'gen Fang
Der Leopard den Wald durchstreifte.

Du Schwester! Braut! Was schnell an dich
Und innig band, ein Zauber war es:
Mit Einem Blicke fingst du mich,
In Einer Flechte deines Haares!

O meine Schwester! Braut! Wie reich
Ist deine Lieb' an hoher Wonne!
Was käm' an Süße wohl ihr gleich?
So süßen Wein reift keine Sonne.

O könnt' ich hinziehn mit der Luft,
Dich zu umfahn und nie zu weichen!
Wie lieblich deiner Locken Duft!
Kein Balsam mag sich ihm vergleichen.

Die zarten Lippen sind bethaut
Von Honig, der sich mischt dem Kusse!
Von Milch und Honig träuft, o Braut,
Die Zung' in holder Red' Ergusse.

Wie sanftbewegt im Abendhauch
Vom Libanon die Düfte fließen,
So weht's von den Gewändern auch,
Die deinen süßen Reiz umschließen.

Ein Garten bist du, meine Braut,
Verwahrt durch Mauer, Schloß und Riegel;
Ein Quell, vom Wandrer nicht erschaut,
Ein Brunnen, den verschließt ein Siegel.

Dein ganzer Wuchs ein Paradies,
Darin Granatenbäume prangen,
Und helle Früchte lockendsüß
Von allen Zweigen niederhangen.

Cyprus und Nard' und brauner Zimmt,
Nard' und Safran, duftreiche Bäume,
Des würz'gen Kalmus Rohr - es schwimmt
Ein Wohlgeruch durch alle Räume.

Die Myrrhe grünt; erhoben trägt
Der Baum der Aloe die Aeste;
Und was Natur an Würzen hegt,
Das Feinste gab sie hier und Beste.

Ein Brunnen bist du selbst fürwahr,
Der Frische durch den Garten breitet;
Ein Quell des Libanon, der klar
In sanfter Strömung niedergleitet.

Nord, hebe dich, mir beizustehn!
Südwind, entfalte deine Schwingen,
Durch meinen Garten lind zu wehn
Und seine Würze mir zu bringen!


Sie
Mein Geliebter komm'! Es warten
Sein die Blüthen, die da sprießen.
Komm' er denn in seinen Garten,
Seine Früchte zu genießen!


Er
Zu meinem Garten eil' ich bald,
O schwesterliche Braut, und pflücke
Von meinen Würzen mannigfalt,
Daß Duft und Süße mich entzücke.

Von meinem Honig schlürf' ich ein,
Von meinem Seime will ich nippen,
Mit meiner Milch und meinem Wein
Wonnig erfrischen meine Lippen.

Ihr, meine Freunde, kommt zum Fest!
Schließt um ein selig Paar die Runde!
Ihr Lieben alle, kommt und eßt
Und leert die Becher bis zum Grunde!


IX.
Traum und Wechselgesang

Sulamith
Ich schlief, allein mein Herz war wach geblieben;
Und an die Thüre hört' ich leise klopfen:
"Thu' auf!" so rief die Stimme meines Lieben.

"Mein Täubchen! Meine Schwester! Meine Braut!
O du mein Alles, öffne! Von den Tropfen
Der feuchten Nacht ist Haupt und Haar bethaut."

Ich sprach: "Der Ruhe gab ich schon die Glieder;
Wie sollt' ich nochmals mein Gewand anlegen?
Den frisch gewaschnen Fuß bestauben wieder?"

Da streckte mein Geliebter seine Hand
Die Luk' hindurch; ihm ungestüm entgegen
Wallte mein Herz, daß ich nicht widerstand.

Und wie ich geh, die Thüre zu erschließen,
Benetzt mir Myrrhe duftend Hand und Finger,
Daß helle Tropfen auf den Riegel fließen.

Ich öffne - weh, mein Liebster ist nicht hier!
So schnell entflohn! Wohin, warum doch ging er?
Ihm nach entwich in Leid die Seele mir.

Ich sucht' und fand ihn nicht! Auf dunklen Wegen
Irrt' ich umher; laut rief ich seinen Namen -
Doch keine Antwort tönte mir entgegen.

Da fand und schlug mich wund der Wächter Schaar,
Der Mauern Wächter, die des Weges kamen;
Sie zerrten mir das Kleid vom Leibe gar.

O Töchter Salems, seid mir treu verbündet;
Forscht, ich beschwör' euch, wo er hin gegangen!
Was sagt ihr ihm, wenn ihr den Liebsten findet? -
Daß krank ich sei vor liebendem Verlangen!


Die Bewohnerinnen des Harems
Schönste der Frauen, sprich es aus:
Wer ist der Liebste, dir erkoren?
Was ward vor Andern ihm voraus,
Daß du uns hast also beschworen?


Sulamith
Weiß ist er, mein Geliebter, roth und weiß!
Aus zehnmal Tausenden erlesen!
Nur ihm gebührt der Schönheit erster Preis;
Holdseligkeit ist all sein Wesen.

Sein Haupt ist klares Gold, so strahlenlicht -
Kostbarstes Gold. Vom Haupte nieder
Wallt ihm das Haar in Locken reich und dicht,
Schwarz wie des Raben Nachtgefieder.

Die Augen gleichen einem Täubchenpaar,
Das sinnig weilt an Wasserquellen,
In Milch gebadet, schimmerfeucht und klar;
Und Fülle rings und Blüthenstellen.

Die Wangen sind zwei Balsambeete, reich
An Würzen, die in Frische sprießen;
Den Purpurlilien sind die Lippen gleich,
Draus Myrrhendüfte sich ergießen.

Die Hände sind Goldwalzen, deren Reihn
Leuchtende Hyacinthe zieren;
Sein Leib ist weiß, ein reines Elfenbein,
Mild überschimmert von Saphiren.

Die Schenkel sind ein Marmorsäulenpaar,
Von goldenem Gestell getragen;
Sein Ansehn hehr, wie aus der Hügel Schaar
Des Libanon Gebilde ragen.

Sein Wuchs ist wie die Ceder schlank und grad;
Sein Gaumen süß zu Kuß und Rede.
Ein stiller Zauber waltet, wo er naht:
Ihn schmückt der Lieblichkeiten jede.

Ihr Töchter von Jerusalem, so wißt
Ihr nun, für wen ich euch beschworen.
Seht, das ist mein Geliebter! Seht, das ist
Der schöne Freund, den ich erkoren!


Die Harembewohnerinnen
Dein Liebster, wohin wandt' er sich?
O sag' es, schönste du der Frauen!
Wohin entfloh dein Liebster? Sprich!
Daß wir nach ihm gemeinsam schauen.


Sulamith
Zu seinem Garten ging mein Liebster hin;
An Balsambeeten weilt er mit Entzücken.
Zu weiden ging er und mit treuem Sinn
An mich gedenkend Lilien abzupflücken.
Ja, er ist mein, und ich bin sein!
Bei den Lilien weidet der Liebste mein!


Der Geliebte
Wie  Thirza sanft der Flur entsteigt,
So, meine Freundin, bist du schön;
So lieblich, wie von fernen Höhn
Jerusalem dem Blick sich zeigt.

Siegreich, wie vor den Kämpfern fliegt
Ein Heerpanier in Feindesreihn -
O wende weg den lichten Schein
Der Augen, die mich ganz besiegt!

Dein Haar, das Stirn' und Nacken kränzt,
Der Ziegenheerde gleicht es traun,
Die dunkelwellig von den Aun
Des Gilead herunterglänzt.

Der Zähne Reih' ist wie die Schaar
Von Lämmern, welche schimmerhell
Nach frischer Schur entsteigt dem Quell,
Gepaart und keines unfruchtbar.

Die Wange glüht im Lockensaum:
So aus geritzter Schale Spalt
Quillt duftigroth der Markgehalt
Des Apfels vom Granatenbaum.

Es bleiben sechzig ihm zur Wahl
An Königinnen, eine Schaar
Von achtzig Buhlerinnen gar;
Daneben Jungfraun ohne Zahl.

Ach, meine Taub' ist einzig mir,
Mein Ein und Alles, was ich hab'!
Ist ihrer Mutter Trost und Stab,
Einzig der Mutter Lust und Zier!

Die Schaar der Jungfraun ward entzückt,
Als sie erschien in ihrem Kreis;
Und alle gaben ihr den Preis,
Und alle nannten sie beglückt.

Die Königinnen selber sahn
Erstaunt, was ihr Natur verlieh;
Die Buhlerinnen blickten sie
Mit neidischer Bewundrung an.



X.
Versuchung und Sieg

(Der Dichter)
Wer glänzt herauf der Morgenröthe gleich?
Schön wie der Mond im Silberschein?
Wie Sonnenstrahl so licht und rein?
Wie Heerpaniere siegesreich?


Sulamith
Ich war zum Wallnußgarten still
Hinabgegangen.
Zu schaun war mein Verlangen,
Ob sich das Thal begrünen will;
Zu spähn, ob an der Rebe
Hervor die Knospe strebe,
Ob die Granate schon zu blühn beginne.
Ich ahnte nichts, indeß ich schauend sinne;
Doch plötzlich schrak ich auf - ich sah -
Der Wagen meines Volks - der Fürst ist nah!


Salomo
Flieh nicht! O wende deinen Schritt!
Laß dich bewundern, Sulamith!


Sulamith
Was sollt' an mir zu schauen sein
Vor des Gefolges prächt'gen Reihn?


Der König
Wie schön ist in den Schuhn dein Tritt!
Du Fürstentochter! - Sulamith!

Es wölben deine Hüften das Gewand,
Wie an der schlanken Kette
In feingewölbter Glätte
Die Knäufe vorstehn, Werk von Meisterhand.

Dein Nabel gleicht der Schale, zartgebaucht,
Für würz'gen Wein kunstwürdig hergerichtet.
Dein Leib ist Weizen, der geschichtet
Aus einem Kranz von Lilien taucht.

Gazellen sind die Brüste dein,
Zwillinge, jung, von seltner Art;
Dein Hals entragt so hell und zart
Gleich einem Thurm von Elfenbein.

Den Teichen Hesbons, rein und spiegelklar,
Die sich am Thor Bat Rabbim breiten,
Wenn Morgenschimmer drüber gleiten, -
Gleicht deiner Augen schönes Paar.

Die Nase, grad und feingebaut,
Ist wie der Thurm erhaben schön,
Der nach Damaskus von den Höhn
Des Libanon herunterschaut.

Wie Karmel hehr ist Haupt und Angesicht;
Es gleicht dein Haar der Purpurbinde,
Die sich in prächtigem Gewinde
Um eine Königsstirne flicht.

Aus solcher Wonnefüll' ein Trank -
Wie der Genuß berauschen müßte!
Den Trauben gleichen deine Brüste;
Dein Wuchs ist wie die Palme schlank.

Ein heiß Verlangen kommt mir an:
Die Palme möcht' ich gern ersteigen,
Sie rings umfassen an den Zweigen
Und ihren Blüthen liebend nahn!

Dann würden süße Trauben auch
Mir deine Brüste beim Genusse;
Entgegen wehte mir zum Kusse
Wie Apfelduft des Athems Hauch.

Des Gaumens Feuchte wär' ein Wein,
Der süß hinab die Kehle gleitet
Und nach der Lust, die er bereitet,
Die Sinne wiegt in Schlummer ein.


Sulamith
Einzig begehr' ich meines Liebsten nur,
Und einzig mir ist er in Treu' ergeben!
Komm, o Geliebter, komm! Zur stillen Flur
Laß wandeln uns, dort frei und froh zu leben.

Im stillen, schlichten Dorf das schlichte Haus!
Wir eilen dann beim frühsten Morgenscheine,
 Verschlungen Hand in Hand, aufs Feld hinaus
Durch Rebenhügel und beglänzte Haine.

Wir schauen, ob das Land am Weinstock sprießt,
Und bald die Knospe springt vom jungen Triebe;
Ob seine Blüthen der Granat erschließt -
Da will ich weihn dir meine ganze Liebe!

Komm! Ihre Blumen duften süß und zart;
Die Mandragore winkt vor unsrer Schwelle.
Kostbare Früchte hab' ich dir bewahrt,
Längst reife Frucht und frische, farbenhelle. -

O wärst du doch mein Bruder, der, wie ich,
Dereinst gesogen meiner Mutter Brüste!
Allüberall ergriff' und küßt' ich dich,
Und niemand höhnte dann, wenn ich dich küßte.

Zur Mutter führt' ich, zöge bei der Hand
Ins Haus dich fort, uns liebend auszutauschen;
Du unterwiesest mich, und unverwandt
Wollt' ich auf jedes deiner Worte lauschen.

Wie würd' ich dankbar dir und dienstbar sein!
Mit steter Sorge still dein Wohl berathen!
Ich preßte selbst dir würzevollen Wein
Und süßen Most entlockt' ich aus Granaten!

Ganz Liebe wollt' ich sein und ganz Gefühl,
An deinem Winke, deinen Blicken hangen! - -
Wär', ach, die Linke meines Hauptes Pfühl!
O daß mich seine Rechte hielt' umfangen!


(Der Dichter)
Sacht, o sacht!
Töchter Salems, ich beschwör' euch!
Seid bedacht,
Daß ihr nicht erweckt die Liebe,
Bis sie durch sich selbst erwacht!


XI.
Die Befreite

(Der Dichter)
Wer ist,
 die langsam naht? So inniglich
Auf den Geliebten lehnt sie sich.


Sulamith
Dort unter jenem Apfelbaum es war,
Wo du zuerst durch mich die Lieb' empfandest!
Dort war's auch, wo die Mutter dich gebar,
Wo du, mein Glück, dich ihrem Schooß entwandest.

Wie einen Siegelring - o hege mich
An deiner Brust, mich nimmermehr zu lassen!
Wie einen Siegelring - o lege mich
Um deinen Arm, dich innig zu umfassen!

Denn Lieb' ist stark wie Tod und bindet fest,
Gleichwie das Grab sein Pfand für immer fodert;
Ist eine Gottesglut, die eingepreßt
Die Schranken sprengt und hoch als Flamme lodert.

Nicht Wasserflut, und stieg sie bergesgroß,
Ist hoch genug, die Liebe zu ertränken;
Kein Strom, und ob sein Bett schier bodenlos,
Ist tief genug, die Liebe zu versenken.

Und böt' ein Mann auch für der Liebe Lohn
Sein Hab' und Gut und Gold in hellen Haufen:
Er würd' umsonst; die Liebe spricht ihm Hohn -
Die Lieb' ist frei und läßt sich nicht erkaufen!



XII.
Die habsüchtigen Brüder

Der erste
Noch zwar ist unsre Schwester klein
Und noch ihr Busen unentfaltet:
Was thun wir, wenn sie vollgestaltet
Bewerber anzieht, sie zu frein?


Der andre
Gleicht sie der Mauer, soll sie sein
Für uns von Silber eine Veste;
Gleicht sie dem öffnen Thor für Gäste,
Schließt sie Gebälk der Ceder ein.


Sulamith
Ja, eine Mauer bin ich, und nicht fehlt
Der Thürme Wehr; gereift sind meine Triebe!
Drum ruht auf mir sein Blick mit voller Liebe,
Der mich wie Friedenshauch beseelt.

Der reiche König stellt' in Baalhamon
Auf seinem Weinberg an der Früchte Wächter
In solcher Art, daß jeder ihm davon
Einbringe tausend Silberling' als Pächter.
Mein eigner Weinberg ist nicht feil um Lohn:
Ihn hüt' ich selbst und dulde keinen Pächter.
So nehme seine Tausend Salomon
Und obendrein zweihundert jeder Wächter!



XIII.
Die Flucht

(Der Dichter)
Gärtenbewohnerin,
Es blicken die Gespielen nach dir hin
Und lauschen auf das Wort aus deinem Munde;
So gib mir Kunde!


Sulamith
Flieh, mein Geliebter! Laß uns fliehn!
Gleich der Gazelle
Und mit des Hirsches flüchtiger Schnelle
Flieh über die Balsamgebirge dahin!
_____


Aus: Dichtungen von Max Schaffrath
Düsseldorf Verlag von Breidenbach & Comp. 1875 (S. 305-328)




 

 

 

zurück zum Inhaltsverzeichnis