Wassily Kandinsky
(1866-1944)
Improvisation 209
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Das Hohelied Salomonis
Das Hohelied
ein dramatisches Gedicht
Erster Act
Der Liebenden gegenseitiges Entbrennen
I, 2. - II, 7.
Erste Scene
Ort: Das Weinzimmer des königliches Palastes
Töchter Jerusalems's
O daß er mich doch küßte
Mit seines Mundes Kuß!
Viel süßer ist seine Minne
Denn süßen Weins Genuß.
Wie duften köstlich im Saale
Die Salben! Köstlicher doch
Ist unsres Königs Name
Und duftet süßer noch.
Drum lieben Dich die Töchter
Jerusalem's - O zieh'
Uns nach Dir, daß wir weilen
Bei Dir und scheiden nie!
Im festlichen Gemache,
Da wollen wir fröhlich sein
Und preisen Deine Minne,
Die lieblicher ist denn Wein!
Sulamith
Schwarz bin ich wie Kedar's Zelte,
Aber achtet dieß nicht groß!
Bin auch schön und fein zu schauen
Wie ein Teppich Salomo's.
Ja, gebräunt sind meine Wangen
Von der scharfen Sonnengluth;
Setzten doch die Brüder zürnend
Mich zu ihres Weinbergs Hut.
Hab' ihn sorglich auch behütet;
Aber meinen eig'nen - o,
Den vermocht' ich nicht zu hüten:
Er ist Dein, mein Salomo! -
Sag mir: in des Mittags Schwüle -
Du, den meine Seele liebt,
Sag: wo weidest Du, daß Kühle
Dir des Baumes Schatten gibt?
Flücht'gen Schrittes will ich eilen
Dann zu Dir durch Feld und Flur,
Nicht bei fremden Hirten weilen,
Die mich möchten höhnen nur.
Töchter Jerusalem's
Daß Dich, Schönste Du der Frauen,
Nicht die argen Hirten schelten,
Folge nur der Heerde Spuren,
Findest sie dort bei den Zelten!
Salomo
Stolz und edel wie ein Roß
Aus der Hofburg Pharao's,
Also seh' ich Dich erprangen,
Liebste - schön sind Deine Wangen,
Schön Dein Hals, geschmückt mit Spangen:
Gold'ne Ketten will ich Dir,
Liebste, weih'n mit Silberzier.
Sulamith
Sitzen wir bei frohem Mahle,
Duftet meine Narde Dir;
Angefacht von Deinem Strahle
Schein' ich selber schöner mir.
Wie ein Myrrhenbüschlein zwischen
Meinen Brüsten, dufterfüllt,
Heg' ich Dich - in immer frischen
Reizen strahlet mir Dein Bild.
Wie die volle Kopherblüthe
Auf Engedi's Fluren lacht,
Blüht mir leuchtend im Gemüthe,
Liebster, Deiner Schönheit Pracht.
Salomo
Siehe, Du bist schön, Du Süße;
Schön bist Du; Dein Auge gleicht
Sanften Tauben -
Sulamith
Und ich grüße
Dich als lieblich, unerreicht.
Siehst Du unser Bette grünen
Frisch und duftig, nimmer welk?
Cedern und Cypressen dienen
Zum Getäfel, zum Gebälk.
Zweite Scene
Ort: Derselbe
Sulamith
Ich bin im Thalesschooße
Die Lilje, die Rose der Au'n -
Salomo
Wie unter Dornen die Rose
Meine Freundin ist zu schau'n.
Sulamith
Wie unter des Waldes Bäumen
Ein Apfelbaum mein Freund!
In seinem Schatten zu träumen,
Wie mir das lieblich scheint!
Von seiner Frucht zu pflücken,
Wie mir das wonnig deucht!
Er hat - o welch Entzücken! -
Mir süßen Wein gereicht!
Ob meinem Haupte schwebet
Die Liebe sein Panier;
Mein ganzes Herze bebet -
Reicht duftige Aepfel mir!
O reicht mir würz'ge Triebe
Vom Blüthenbaum geschwind!
Denn ich bin krank vor Liebe,
Ich banges, armes Kind!
Mein Haupt stützt seine Linke,
Seine Rechte herzet mich -
Selige Wonnen trinke
An des Liebsten Herzen ich.
Ihr Frauen, ich beschwöre
Euch bei den Gazellen im Feld,
Daß keine die Liebe störe,
Bis daß es ihr gefällt!
Zweiter Act
Der Liebenden gegenseitiges Suchen und Finden
II, 8. - III, 5.
Erste Scene
Ort: Das Wohnhaus Sulamith's und seine Umgebung
Sulamith
Horch - mein Geliebter! Er kommt gesprungen
Ueber die Berge, die Hügel schnell!
Ja, mein Geliebter, er gleichet dem jungen,
Munteren Hirschlein, der luft'gen Gazell'.
Siehe, da steht er schon hinter'm Gemäuer,
Schaut durch die Fenster - mein Lieber, mein Treuer,
Blickt durch die Gitter so freudig und hell!
Salomo
Mach' Dich auf und eil' entgegen
Deinem Freunde, süße Maid!
Sieh', vorüber ist der Regen
Und die Erde steht erneut!
Blümlein sprießen bunt und bunter,
Zärtlich schon die Turtel ruft
Und die Feige knospet munter,
Lieblich haucht der Rebe Duft.
Mach' Dich auf, eil' mir entgegen!
Aus des dunkeln Felsen Thor
Komm' mit raschen Flügelschlägen,
Süße Taube, komm' hervor!
Deine Stimme laß erschallen!
Laß Dein Angesicht mich seh'n!
Deine Stimme, süß vor allen,
Und Dein Antlitz, hold und schön!
Sulamith
Siehe, mit duftigen Blüthen geschmücket
Stehet der Weinberg, schon keimen die Beeren -
Auf und fahet die Füchse, die kleinen,
Daß sie den lieblichen uns nicht verheeren!
Mein Freund ist mein und ich sein,
Der unter den Rosen weidet;
Ich weiß nur ihn allein
Und nichts von ihm mich scheidet.
Komm', mein Geliebter, und steige,
Gleichwie die flücht'ge Gazell',
Bis daß der Tag sich neige,
Mit mir auf die Berge schnell!
Zweite Scene
Ort: In der Ferne Jerusalem sichtbar.
Sulamith
Ich suchte Nachts im Traume
Ihn, meiner Seele Licht,
Auf meines Lagers Raume -
Ich sucht' und fand ihn nicht.
Mein Bett will ich verlassen,
Ihn, meiner Seele Licht,
Zu suchen auf den Gassen! -
Ich sucht' und fand ihn nicht.
Die Wächter sah ich stehen
Und hub zu fragen an:
Habt ihr ihn nicht gesehen,
Den vielgeliebten Mann?
Doch wie ich, ohne Kunde,
Von ihnen mich gewandt
Und blickte in die Runde,
Vor mir mein Trauter stand.
Verschwunden war mein Jammer;
Ich faßt' ihn, führt' ihn gleich
In meiner Mutter Kammer,
In unsrer Liebe Reich.
Ihr Frauen, ich beschwöre
Euch bei den Gazellen im Feld,
Daß keine die Liebe störe,
Bis daß es ihr gefällt!
Dritter Act
Die Einholung der Braut und die Hochzeit
III, 6. - V, 1.
Erste Scene
Ort: Umgebung Jerusalem's und die Stadt selbst
Bewohner Jerusalem's
Wer ist die, die aus der Wüste
Kommt herauf gleich Säulen Rauch's?
Hold umwallt von Weihrauchdüften
Und von Myrrhen süßen Hauch's?
Andere
Siehe, unsres Königs Sänfte
Ist es; sechzig Helden geh'n
Ihr zur Seite, streitbar alle,
Alle herrlich anzuseh'n.
An der Hüfte blanke Schwerter
Und von Muth das Aug' entfacht,
Tüchtig alle, abzuwenden
Jede Fahr und Furcht der Nacht!
Andere
Seht, ein Prachtbett hat der König
Sich gemacht; ihr edles Holz
Bot die Ceder - seht, die Lehne
Strahlt vom Glanze lautren Gold's!
Silbern ist das Fußgestelle,
Purpurn ist der Pfühl zu schau'n;
Bunt inwendig ist's gesticket
Von der Liebeshand der Frau'n.
Die ganze feiernde Menge
Kommt, ihr Töchter Zion's, schauet
Unsern König hoch entzückt
In dem Kranz, damit die Mutter
Am Vermählungsfest ihn schmückt!
Zweite Scene
Ort: Festsaal des königlichen Palastes
Salomo
Sieh', Du bist schön, meine Freundin,
Bist schön; wie Tauben mild
Sind Deine Augen, vom Flore
Des Schleiers sanft verhüllt.
Wie dort an Gilead's Hange
Die Ziegenheerde ruht,
So wallt vom Haupte Dir nieder
Der dunklen Locken Fluth.
Wie eine Heerde Lämmer
Entsteigt der frischen Well',
So glänzen Deine Zähne,
Meine Freundin, blank und hell.
Wie ein Scharlachstreif zu schauen
Sind Deine Lippen; traut
Ergießt von diesen Lippen
Sich wonniglicher Laut.
Gleich Aepfeln der Granate
Vom Schleier verhüllt Deine Wangen,
Dein Hals gleich David's Thurme,
Von tausend Schilden umhangen.
Deine Brüste gleich zwei Rehlein,
Die da weiden unter den Rosen,
Gleich zarten Zwillingsgazellen,
Die unter den Liljen kosen.
Sulamith
Bis daß der Tag sich neige,
Bis daß die Schatten flieh'n,
Will ich hin zum Myrrhenberge,
Zum Weihrauchhügel hin.
Salomo
Ganz bist Du schön, meine Freundin,
Kein Makel ist an Dir -
Von Libanon's stolzen Höhen
Sollst kommen Du mit mir!
Sollst schau'n mit mir vom Gipfel
Shenir's, wo kühn und frei
Im wilden Bergwald hausen
Der Leopard und Leu!
Du hast das Herz mir genommen,
Meine Schwester, süße Braut,
Mit Deinen Augen, den frommen,
Draus brünstig die Liebe schaut.
Mit den Lippen, rosig entglommen,
Davon mir Honig thaut,
Hast Du das Herz mir genommen,
Meine Schwester, süße Braut.
Wie schön ist Deine Liebe,
Meine Schwester, süße Braut!
Viel lieblicher sind ihre Triebe,
Denn Wein und würzig Kraut.
Von Milch und Honig quillen
Die Lippen Dir über stets;
Von Düften, die Libanon füllen,
Um Deine Gewänder weht's.
Ein Garten, andern verschlossen,
Nur mir geöffnet, Du bist;
Eine Quelle, nur mir ergossen,
Ein Born, der mir nur fließt.
Und in dem schönen Garten
Viel edle Würze blüht,
Zimmet und Myrrhen und Narden!
Sulamith
Komm', Nord! wach' auf, du Süd!
Daß ihre Würze träufen,
Durchwehet die Gartenflur!
Die Früchte, die drinnen reifen,
Genieße sie, Liebster, nur.
Salomo
(nachdem er sie geherzt und geküßt)
Ich kam in meinen Garten
Und aß meinen Honigseim,
Habe Myrrhen gepflückt und Narden
Und getrunken Milch und Wein -
Esset und trinket, versunken
In Wonnen allesammt!
Trinket und werdet trunken
In Lieb und Lust entflammt!
Vierter Act
Die verschmähte, aber wiedergewonnene Liebe
V, 2. - VI, 9.
Erste Scene
Ort: Umkreis des Palastes und der angrenzenden Anlagen
Sulamith
Zur Ruhe hingestrecket
Auf weichen Pfühles Flaum
Hat Nächtens mich erschrecket
Ein seltsam banger Traum.
Ich schlief, doch in mir wachte
Mein Herz, von Liebe heiß -
Da hört' ich pochen sachte,
Da hört' ich rufen leis.
Thu' auf mir, meine Fromme!
Meine Taube, öffne mir!
Ich, Dein Geliebter, komme,
Dein Freund will ein zu Dir!
Komm', öffne meinem Klopfen!
Auf meine Wangen, schau',
In dichten, schweren Tropfen
Fällt meiner Locken Thau!
Entstreift sind meine Kleider -
Soll ich sie neu anzieh'n?
Mein Fuß gewaschen leider -
Soll ich beflecken ihn?
Da durch das Gitter strecken
Sah ich den Freund die Hand,
Daß ich ein süßes Schrecken
In tiefster Brust empfand.
Aufstand ich schnell, daß offen
Dem Freunde sei die Thür,
Und Myrrhen reichlich troffen
Auf Hand und Finger mir.
Doch, ach, mein Freund, mein süßer,
War fort und nicht zu seh'n;
In Lieb' und Reue ließ er
Die Braut ihn suchen geh'n.
Ich sucht' ihn, doch nicht finden
Konnt' ich mein süßes Licht;
Ich rief ihn, doch empfinden
Wollt' mich der Traute nicht.
Es schlugen mich die Wächter
Der Stadt, beraubten mich
Des Schleiers - O ihr Töchter
Von Salem, höret mich!
Sagt meinem Freund, dem süßen,
So ihr ihn solltet seh'n -
Mein krankes Herz, zerfließen
Woll' es, in Lieb' zergeh'n.
Töchter Jerusalem's
Was ist Dein Freund vor andern,
Den, Schönste, Du erkoren?
Was ist Dein Freund vor andern,
Daß Du uns so beschworen?
Sulamith
Mein Freund ist weiß und roth, erlesen
Vor Tausenden; es strahlt wie Gold
Sein Haupt, um das die Fluth der Locken
Schwarz, wie des Raben Fittig, rollt.
Wie Tauben, die, an Bächen wohnend,
Sich baden in krystall'ner Well',
So frisch, so thauig seine Augen,
Wie Diamanten glänzend hell.
Ein Würzkrauthügel seine Wange,
Ein Blüthenbeet voll Duft und Glanz;
Lichthelle Rosen seine Lippen,
Von feinster Myrrhe triefend ganz.
Die Hände - Schalen ganz von Golde,
Mit edlen Türkisen besteckt;
Von Elfenbein der Leib, der holde,
Und mit Sapphiren überdeckt.
Die Schenkel - Marmorsäulen, prächtig,
Auf gold'nen Stützen; hoch und hehr,
Wie Cedernbäume, ragend mächtig,
Gleichwie der Libanon ist er.
Sein Mund ist Süße, Alles lauter
Holdseligkeit; das ist mein Freund,
Ihr Frauen, ja, das ist mein Trauter -
O wär' ich wieder ihm vereint!
Töchter Jerusalem's
Wohin ist Dein Freund gegangen?
Wohin hat Dein Trauter sich
Gewendet? Daß wir ihn suchen,
Du Schönste der Frauen, sprich!
Sulamith
Mein Trauter ging in den Garten,
Der Blumen sich zu freu'n,
Der Rosen dort zu warten -
Mein Trauter, der ist mein,
Der unter den Rosen weidet,
Von welchem nichts mich scheidet -
Er mein und ich nur sein!
Zweite Scene
Ort: Der königliche Garten
Salomo
(tritt plötzlich an Sulamith und die
Töchter Jerusalem's, die sie befragt hat, heran)
Schön bist Du, meine Freundin!
Wie Thirza hold, und wonnig
Wie Salem! Deine Augen,
Wie leuchten sie so sonnig!
Wie leuchten sie gewaltig!
Gleichwie des Schlachtheers Reih'n -
O wende Deine Blicke!
Sie schüchtern sonst mich ein.
Wie dort an Gilead's Hange
Die Ziegenheerde ruht,
So wallt vom Haupte Dir nieder
Der dunklen Locken Fluth.
Wie eine Heerde Lämmer
Entsteigt der frischen Well',
So glänzen Deine Zähne,
Meine Freundin, blank und hell.
Gleich Aepfeln der Granate
Vom Schleier verhüllt Deine Wangen,
Dein Hals gleich David's Thurme,
Von tausend Schilden umhangen.
Fürstinnen hab' ich sechzig,
Beifrauen achtzig hab' ich,
Jungfrauen zahllos - an Einer
Dennoch mein Herz nur lab' ich.
Eine, die ist die Meine,
Ist meine Taube, die reine,
Ist ihrer Mutter einzige Lust;
Mägdlein, die sie erschauen,
Fürstinnen, Nebenfrauen
Preisen sie all', ihres Vorrangs bewußt!
Fünfter Act
Sulamith die entzückend schöne, aber demüthige Fürstin
VI, 10. - VIII, 4.
Erste Scene
Ort: Die königlichen Gärten
Töchter Jerusalem's
(am Ausgange der Gärten)
Wer ist, die wie Morgenröthe,
Lauter gleich der Sonne Schein
Glänzt hervor, wie Mondlicht milde,
Furchtbar wie des Schlachtheers Reih'n?
Sulamith
War gegangen in den Garten,
Um zu seh'n nach dem Gesträuch,
Ob entkeimet schon die zarten
Knospen am Granatenzweig,
Ob die Rebe Blüthen triebe -
Hatte ganz vergessen drob,
Daß mein liebend Herz zur Liebe
Eines Fürsten mich erhob.
Töchter Jerusalem's
Kehre wieder, kehre wieder,
Laß Dich erschauen, o Sulamith!
Sulamith
Was an Sulamith erschaut ihr?
Töchter Jerusalem's
Holder Engel melodischen Schritt
(Sulamith begibt sich mit den Töchtern Jerusalem's
in den Garten zurück und diese sprechen,
indem sie vor ihnen eine ländlichen Tanz aufführt):
Dein Gang in den Schuhen
Wie königlich ganz!
Wie schwingt sich die Hüfte
Beweglich im Tanz!
So schwingen an Ketten.
Gehängen die Glieder,
Die runden, geschmeidigen,
Auf sich und nieder.
Eine Garbe von Waizen,
Mit Liljen umkränzt,
In blühenden Reizen
Dein Leib erglänzt;
Gleich munteren, frischen
Zwillingsgazellen
In Rosenbüschen
Die Brüste schwellen!
Dein Hals gleich dem Thurme
Von Elfenbein;
Deine Augen, wie Hesbon's
Teiche so rein!
Reizend die Nase
Wie der Libanonthurm
Gen Damaskus schauet!
Dein Haupt auf Dir stehend
Wie Karmel hoch!
Wie Purpur Dein wehend
Flechtengewog!
Von Deiner Locken
Ueppigem Prangen
Wonnig erschrocken
Ein König gefangen!
Zweite Scene
Ort: Das Innere des Palastes
Salomo
Wie schön, o Liebe, zu weilen
In Deinen Rosenlauben! -
(Zu Sulamith):
Dein Wuchs eine schlanke Palme,
Deine Brüste - süße Trauben!
Hinan, hinan die Palme!
Die Zweige will ich ergreifen!
Laß um mich Deinen Odem
Wie Duft von Aepfeln träufen!
Laß Deine beiden Brüste
Mir sein zwei Trauben süße,
Wie guten Wein Deine Lippen -
Sulamith
Ja, sanft und lieblich fließe
Ins schmachtende Herz dem Trauten
Der Wein von meinen Lippen,
Daß er nach frohem Kosten
Noch glaub' im Traum zu nippen.
Ich bin dem Freund zu eigen,
Nach mir nur steht sein Trachten -
Komm', laß uns geh'n in die Fluren,
In den Dörfern laß uns schlafen
Laß seh'n uns, ob die Granate
Gewonnen neue Triebe,
Ob die Rebe blüht - und geben
Will ich Dir meine Liebe.
Die Mandragoren duften,
Es birgt des Hauses Thür
Viel edle, würz'ge Früchte,
Die ich bewahret Dir.
Wärst Du mein Bruder, hättest
Meiner Mutter Brust wie ich
Gesogen Du - es höhnte
Uns Keiner, fänd' ich Dich
Und küßte Dich und führte
Dich zu der Lieben heim! -
Du thät'st mich unterweisen -
Ich böte Honigseim,
Ich böte Dir zum Lohne
Granatenmost, den besten,
Und Würzwein, wie man schenket
Nur seinen liebsten Gästen.
Mein Haupt stützt seine Linke,
Seine Rechte herzet mich,
Selige Wonnen trinke
Am Bruderherzen ich.
Ihr Frauen, laßt beschwören
Euch bei den Gazellen im Feld:
Wollt nicht die Liebe stören,
Bis daß es ihr gefällt!
Sechster Act
Die Befestigung des Liebesbundes in Sulamith's Heimat
VIII, 5. - 14.
Erste Scene
Ort: Die Umgebung von Sulamith's Geburtsort
Bewohner der Landschaft
Wer ist die, die aus der Wüste,
An den Freund sich schmiegend, dort
Kommt herauf?
Salomo
Hier war's, hier grüßte
Mich zuerst Dein Blick, Dein Wort!
Unter diesem Apfelbaume,
Wo die Mutter Dich gebar!
Sulamith
Heil der Liebe trautem Raume!
Heil der Heimat immerdar!
Halte gleich dem Siegelringe
Mich an Herz und Arm gepreßt!
Stark ist wie des Todes Schlinge,
Wie die Höll' ist Liebe fest.
Ihre Gluthen - Feuerflammen,
Von Jehova's Blick entfacht!
Ström' und Meere allzusammen
Dämpfen nicht der Liebe Macht;
Mögen nimmer überfluthen,
Ob die ganze Welt versank,
Ihre Flammen, ihre Gluthen -
Liebe stehet ohne Wank.
Gäb' ein Mann, Lieb' zu erringen,
Haus und Habe, Hof und Flur,
Liebe könnt' er nicht erzwingen -
Man verschmäht' und höhnt ihn nur!
Zweite Scene
Ort: Das Stammhaus Sulamith's
Sulamith
Eine Schwester haben wir
Und sie hat noch keine Brüste;
Aber kommen Freier ihr,
Sagt, was dann geschehen müßte!
Sulamith's Brüder
Ist sie eine Mauer - wohl!
Eine Burg von Silber bau'n
Wir darauf, und stattlich soll
Weit sie in die Lande schau'n!
Ist sie eine Thüre - wohl!
Cedernbohlen müssen dann
Sie umsperren und es soll
Nimmer sich eine Buhle nah'n!
Sulamith
Einer Mauer war vergleichbar
Ich, ein Bollwerk meine Brust,
Der Verführung unerreichbar -
Und mein Trauter sah's mit Lust;
Habe Frieden drum gefunden
Auch vor seinen Augen; bin
Innig, Brüder, euch verbunden;
Eure Hut war mein Gewinn. -
Einen Weinberg hat der König
Salomo zu Baalhamon;
Jeder Hüter bringet tausend
Silberlinge ihm davon.
Und auch ich hab' einen Weinberg -
Er ist Dein, mein Salomon,
Dein mit aller Frucht - ein Fünftel
Gib den Hütern auch zum Lohn!
Salomo
Wohl, Geliebte! - Doch Gefährten
Deiner Jugend steh'n um Dich,
Hörten gerne Deiner Stimme
Süßen Klang - und gern auch ich.
Sulamith
Fleuch mein Geliebter, gleich der Gazelle,
Schwebenden Trittes durch's grüne Revier!
Munter wie Hirschlein, munter und schnelle
Fleuch auf die würzigen Berge mit mir!
übersetzt von Heinrich Stadelmann (1830-1875)
Aus: Das Hohelied
ein dramatisches Gedicht
Metrisch bearbeitet von
Heinrich Stadelmann
Eichstätt & Stuttgart
Verlag der Krüll'schen Buchhandlung
H. Hugendubel C. Aug. Pfeiffer 1870
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