Das Hohe Lied Salomos

In der Nachdichtung von Josef Weinheber  (1892-1945)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis

Das Hohe Lied
(3. bis 13. 12. 1916)

I.

Sulamith:

Küß mich mit Küssen von Deinem Mund!
denn Deine Küsse sind süßer als Wein.
Wie ausgegossener Balsam und
wie Nardenduft tut Dein Name sich kund,
drum müssen Dir alle zuliebe sein.
Oh, führe mich, König, in dein Gemach,
so will ich frohlocken und Deiner mich freun -
führ mich, erzieh mich, ich strebe Dir nach . . .!

Sieh, dunkel wie Nachthimmel ist meine Haut,
doch zart wie ein Teppich zu Deinem Gezelt;
vom Lichte gebräunt und vom Regen betaut,
so ging ich vor meiner Brüder Gechelt
und habe der Zürnenden Weinberg bestellt -
Wer ließ mich hüten den Weinberg, der mein?

Du, dessen Küsse so köstlich wie Wein,
o sag mir, wo ruht Deine Herde?!
aufdaß ich nicht irre, in Scham und in Pein
gebeugt zu der Spur der Gesellen Dein -
Oh, sag mir, des Liebe süßer als Wein,
wo ich Dich finden werde!

Salomo:
Du Holde, wer bist Du? Dein Hals erglüht
wie Bronze durch der Perlen Gewinde,
Aus Schnüren und Spangen leuchtet und lockt
Dein Mund, daß der König ihn finde -:
O hüllt ich um Dich auch Spangen aus Gold
und silberne Ketten-Gehänge.
All ihren Glanz überjauchzten doch
Deiner zärtlichen Augen Gesänge.

Sulamith:
Eja, mein König, nimm Deine Magd!
Sieh, immer hat nur nach Dir geklagt
mein bebendes Blut.
Sei wie ein Feuer, das mich versengt,
ein Myrrhenbündel, das selig beengt
mir zwischen den Brüsten ruht -
Du Traube von Ejngedis' Flur,
wie der Nardenduft, wie Nardenhauchspur
wallt Dir entgegen mein Blut.

Salomo:
Wie schön Du bist, wenn Deines Blutes Nacht
Dich überströmt mit immer dunklern Flammen!
Gott nahm um Dich sein ganzes Licht zusammen:
Er hat die Erde für Dich blühn gemacht,
Er hat die Cedern eingepflanzt zu messen
an ihren Wänden Deiner Prächte Last
und hat die dunkelschattenden Cypressen
aufragen lassen, daß Du auserlesen
für Deine Liebe eine Halle hast -
So schön bist Du, daß selbst des Himmels Weite
sich niedersenkt und Deinen Blicken dient.
Die Blumen sind nur Saum zu Deinem Kleide.
Die Wälder jubeln - Unser Bette grüßt . . .


II.

Sulamith:
Ich bin vor Dir nur das bloße,
kleidlose Weib.
Wie die "schmächtige" Herbstzeitlose
sehnt sich mein brauner Leib.

Ich bin vor Dir nur ein armes,
bittendes Kind.
Dornenumwucherten Harmes
ein kleines Blühn im Wind -

Du über meinem Schoße
selig - vergeßner Verbleib:
Ich bin vor Dir nur das bloße,
hüllennlose Weib . . .

Salomo:
Du ewig Zeitenlose!
Du makellose Rose,
Du Kind, vor dessen Schoße
ein König kniet.

Du Große, Zeitenlose!
Du hohes Lied,
Gefäß, in dessen Schoße
die Wurzel "Leben" glüht:
Oh Du, das Ewig-Große
in Schönheit Zeitenlose -
Du hohes Lied!

Sulamith:
Oh, daß ich nie aus dem holden Traum,
süßen, erwachen möchte!
So liegt seine Linke mir unterm Haupt,
es herzt mich seine Rechte.

Mein Liebster ist ein schattender Baum:
Es ruhn unter ihm meine Füße.
Der Baum trägt schwere und goldene Frucht,
die ist meinem Gaumen süße.
Mein Liebster labt mich mit Blumen und Wein,
da ich nach ihm mich betrübe. -
Sei doch sein Schatten stets über mir!
Denn ich bin krank vor Liebe!

Salomo:
Oh komm, meine Freundin, der Frühling ruft.
Hörst Du die Tauben girren?
Oh Lipp zu Lippe, oh Duft zu Duft,
und alles umflutet von singender Luft
und Liebe und Jubilieren.

Sieh, Wohlgeruch streuet der blühende Wein,
schon färben sich rötlich die Feigen.
Nun will ich ganz in das Antlitz Dein
mich senken und ganz nur mehr Lauschen sein.
Deiner Stimme trunkenem Reigen.

Und will mit Andacht und seligem Schaun
in den blühenden Weinberg treten.
Du blühender Weinberg, Du liebste der Fraun,
oh, zu dem warmen, lebendigen Braun
Deines nackten Leibes zu beten!

Sulamith:
Nun aus den Tälern Schweigen rinnt,
und abendliche Röte
der Betherberge Dust umspinnt:
Nun kehre heim, Geliebter!

Oh, kehre heim mit flüchtigem Fuß,
daß uns der Liebe Überfluß
nicht töte!

Ich bin ja Dein und Du bist mein,
Geliebter!

Nun aus den Tälern Kühle rinnt
und unsrer Sehnsucht Lieder
nur noch ein stilles Klingen sind:
Kehr heim -
Und morgen komme wieder . . .!


III.

Sulamith:
Des Nachts in meinem Bette sucht ich ihn,
den meine Seele liebet;
des Nachts die Straßen und die Plätze hin.

Ich rief ihn laut mit flehendem Gesicht,
den meine Seele liebet
und sucht' und suchte ihn und fand ihn nicht.

Die Wächter fragt ich: Habt ihr ihn gesehn,
den meine Seele liebet? -
Sie ließen ratlos mich vorübergehn.

Doch kaum vorüber - Sieh, da kam er her,
den meine Seele liebet.
Nun halt ich ihn und lasse ihn nicht mehr.

Oh, halte ihn und durch Not und Todesgraun,
den meine Seele liebet,
bis ich ihn bring in meiner Mutter Haus . . .

Salomo:
Du süßes hingegebnes Gesicht!
Ihr Töchter von Jerusalem, geht still
und weckt mir meine liebste Freundin nicht!

Ihr Töchter von Jerusalem, geht still! - -
Sie wird erwachen unter meinem Licht,
bis sie es selbst und bis die Liebe will . . .

Sulamith:
Ein Brautbett hat sich mein König gemacht.
Das ist mit purpurner Pracht überdacht
und ruht auf silbernen Säulen.
Der Tapfersten sechzig halten drum Wacht.

Von Libanons Holze ist das Gestell
die Mitte gepolstert mit schwellendem Fell
der Tochter Jerusalems wegen;
es leuchtet die Lehne: Ein goldener Quell.

Kommt, Zions Töchter, kommt und schaut
nach Salomo, nach dem Freunde traut,
nach dem Könige hin in der Krone! -
Ich bin seine Liebste, bin seine Braut . . .


IV.

Salomo:
Du bist die Schönheit. Deine Augen sind
wie Taubenaugen, zärtlich, sanft und lächelnd.
Dein Haar umspielt Dich fächelnd wie ein Wind
und wie ihr Fell die vielen Ziegen, welche
am Berge Gilead gelagert sind.

Sieh, Deiner Zähne festgefügte Reihen
sind blank wie junge Schafe nach der Schur:
kaum aus dem Bad gestiegen, zwei zu zweien.
Sie sind wie Blütenschnee im milden Maien
jedwede Reihe eine Perlenschnur.

Die Lippen Dein, sie gleichen Purpurfaden.
Dein süßer Mund singt Deiner Anmut Preis.
Durch zarten Schleier schimmernd heimlich-leis
die Wangen Dir und sind wie hundert Gnaden,
sind wie Dein Blut so dunkel und so heiß.

Und erst Dein Hals: Wie wenn mit sanften Schwingen
ein Abend über Hügelland sich senkt -
So ganz noch Sehnsucht, so schon ganz Durchdringen,
sich seine Zärtlichkeit den Brüsten schenkt -
Oh, diesen Knospen, die nicht auszusingen.

Denn solcher Schönheit Lob, wer sagt es klar,
wer kann es singen, ohne daß er leidet?
Da ihn ihr Glanz doch so mit Licht umkleidet,
daß er nicht weiß, was wird, was ist, was war -
Oh, dieser Brüste lieblich Lämmerpaar,
das unter Lilien weidet . . .

Sulamith:
Wenn kühler wird der Tag
und sich die Schatten neigen.
Will ich, mein Freund, mit Dir
den Myrrhenberg besteigen
"Oh, komm mit mir".

Die Weihrauchhügel schweigen
und duften schwül und schwer,
die tiefen Schatten neigen
sich lockend her.
Oh komm! -
Ich bin Dir ganz zu eigen.

Salomo:
Oh Du, die ohne Makel, ohne Fehle,
oh komm mit mir herab vom Libanon!
Zutiefst verwundet hast Du mir die Seele,
versengt mein Herz durch Deines Bluts Geschwele,
durch einen einzigen Deiner Blicke schon -

Was ist mir ohne Dich mein Reich, mein Thron?

So komm! Sieh Deiner Küsse Liebkosungen
sind viel berauschender denn süßer Wein -
Wie Milch und Honig sind die Lippen Dein
und so Dein Mund: Gleich einem edlen Schrein
voll Wohlgerüchen - Sieh mich ganz bezwungen,
Du meine Braut, Du liebe Schwester mein;

Du Garten Leben, der verschlossen blühte,
bis ihn Dein Freund, Dein König öffnen kam:
Du Urquell Liebe, der sich fast versprühte,
weil niemand seines klaren Wassers nahm;
Du Feuerborn, der unter Siegeln glühte . . .

Sulamith:
Auf Nordwind! Südwind auf! -
Oh, weht in sanftem Steigen
durch meinen Garten hin,
daß aller Düfte Reigen
um meinen Liebsten sprühn:
Sieh, alle Blüten neigen
sich Dir und werden Frucht,
der Garten steht in Schweigen
und sehnt . . . und sucht . . .
Oh, komm!
Er ist Dir ganz zu eigen!


V.

Salomo:
Ich komme, Schwester, und kehre ein
in meines Gartens Freude.
Süße Milch, oh, süßer Wein -
Ich trinke mit Inbrunst beide.

Kommt, Freunde mein, und werdet wie ich
trunken von Liebe!
Oh, daß ihre Glut euch tiefinnerlich
hinan bis ans Ewige hübe!

Ja, aufwärts, auf, bis zu Gott hinan
bäumt euch in trunkener Liebe -
Über die Menschen, über den Wahn
der Erde: Liebe, nur Liebe -
Über die Welten Weib und Mann
stammelnd von trunkener Liebe,
über die Himmel! - Sie ist voran,
über Gott, über Allem: Liebe!

Sulamith:
Ich schlafe, aber mein Herze wacht.
Da ist meines Freundes Stimme
und bittet: Tue mir auf in der Nacht!

Ich bin schon entkleidet von meinem Gewand.
Wie? Sollt ich mich wieder bekleiden
und wieder beschmutzen die Füße im Sand?

Es kommt seine Hand durch das Fenster her
und bittet mit stummer Gebärde -
Wie schlägt das Herz mir wie hörbar und schwer.

Nun schnell an den Riegel und auf die Tür! -
Da ist mein Geliebter verschwunden.
Ich rufe, doch niemand antwortet mir.

Ich sucht ihn überall und ging und ging
die Straßen und die Plätze her und hin.
Und ging und sucht und suchte ihn
und meine Seele voll von Trauern hing.

Die Wächter, die ich fragte, höhnten nur
und rissen von mir ab mein Oberkleid.
Ich aber trüge gern noch größer Leid
fänd ich nur wieder meines Liebsten Spur.

Wenn ihr ihn seht, so kommt und sagt es mir,
auf daß ich eilend fliehe zu ihm hin.
Und sagt ihm, daß ich krank von Liebe bin -
Oh, Du! Warum verbirgst Du Dich vor mir -?-


VI.

Salomo:
Wende ab von mir Deiner Augen Pracht,
Sulamith!
Weil Dein Blick wie ein Tier mich brünstig macht.

Wie Thirza schön, wie Jerusalem Du,
Sulamith!
Schließ vor mir Deine furchtbaren Augen zu!

Ich bin ja so ganz in ihrem Bann,
Sulamith!
Kein König vor ihnen! - O sieh mich nicht an.

Wende von mir deiner Augen Pracht,
Sulamith!
Weil Dein Blick den König zum Sklaven macht . . .

Sechzig Königinnen sind,
Achtzig sind der Nebenfrauen
und der Mädchen ungezählte
Schar im Ingesind:
Du allein bist die Erwählte.

Sechzig Königinnen knieen,
knieen achtzig Nebenfrauen
und der Mädchen ungezählte
Schar -

Und sie bringen meiner Liebsten,
meiner dunklen, wilden Liebsten
allesamt ihr Loblied dar -!

Sulamith:
Wer bist Du? In Deiner strahlenden Macht
wie die Sonne über mir?
Du, schöner und furchtbarer als die Nacht -
ich fürchte mich vor Dir!

In den Garten stieg ich, zu schauen hinab,
ob schon der Weinstock blüht.
Wer bist Du? Nicht weiß ichs. Wende Dich ab,
Du Tochter, von Sulamith!

Du, Herr, in Deiner Kriegswagen Schein
wie die Sonne über mir -
Laß mich fliehn! Laß mich fliehn! Oh, wie bin ich so klein
mein König, vor Dir . . .

Salomo:
Kehr um, kehre wieder, oh Sulamith!
Dein Antlitz schaun will ich nur . . .
Versenkt nur sein in der liebsten der Fraun
heimlich vertraute Spur -

Will ja nur immer Dein Antlitz schaun,
das wie der Frühling blüht.
Du Frühling, Du Garten, Du liebste der Fraun -
kehr wieder, oh Sulamith!


VII.

Sulamith:
Was kannst Du denn ersehn an mir?
Ich bin ja so gering vor Dir
wie je ein ander Weib.
Und habe nichts als meine Glut
und sonst kein Gut, und sonst kein Gut
als meinen braunen Leib.

Den kennst Du ja. Vom dunklen Haar
bis zu den Füßen offenbar
ist sein Geheimstes Dir.
Vom dunklen Haar bis zu den Zeh'n -
Was willst Du, Süßer, neues sehn
an mir? . . .

Salomo:
Etwas wie Engelsreigen! Oh, Deinen wiegenden Gang.
Oh, wie ein Halsgeschmeide den Schwung
diese Lenden entlang -
Von einem Künstler ersonnen,
von einem Meister gemacht,
von einem Gotte gesegnet in ihrer Biegungen Pracht -
Oh, Deines Schoßes dunkle,
taumelverheißende Bucht,
gleich einem Bronnen voll Würzwein
für einen, der Labsal sucht.
Oh, Deines Leibes Frühling,
der Brüste hügelig Land,
raunende Wälder der Süße,
von Liliengärten umspannt
Teiche, darin Deine Augen lächelnd,
lockend und glatt,
gleichwie die Teiche zu Hesbon
am Tore der volkreichen Stadt.
Dein Haupt auf Dir wie der Carmel,
Dein Haar wie purpurne Nacht,
das einen König gefesselt,
noch eh' er sich dessen bedacht:
Oh, diese ganze Schönheit,
die groß und heilig ist,
da Du die Liebe selber in lauter Liebe bist.

Salomo:
Oh, jetzt mit Dir die Wälder zu durcheilen
und wo in Dörfern (Niemand kennt uns, Du!)
zu Rast und Schlummer über Nacht zu weilen -

Und durch die jungen Weingelände gehen
in herber, Gottes gnädiger Morgenruh,
den Tau auf tausend neuen Blüten sehen -

Und all dies quellende, geliebte Leben
winkt uns mit seinen süßen Gnaden zu:
Muß ich Dir da nicht alle Liebe geben -?


VIII.

Sulamith:
Oh, wärst Du als ein Bruder mir vertraut,
der mit mir lag an meiner Mutter Brüsten!
Dann würde hinter mir kein Zischeln laut . . .

Ich küßte Dich, wo ich Dich fände drauß
und küßte Dich, indes Du mich belehrtest -
und führte Dich in meiner Mutter Haus.

Mit Most und süßem Wurzwein tränkt' ich Dich
und Deine Linke läg' mir unterm Haupte
und Deine Rechte herzte mich . . .

Salomo:
Bin ich Dir denn nicht alles vereint:
König, und Bruder, Liebster und Freund,
Beten, Weinen und Lachen?
Bist doch die Meine und ich bin Dein.
Schlummerst in Sehnsucht nach mir Du ein,
wirst Du in mir erwachen.

Sulamith:
Wie ein Siegel lege mich auf Dein Herz,
wie ein Siegel auf Deinen Arm!
Denn stark wie der Tod
ist die Liebe.

"Über allen Nöten ist ihre Not!"

Haß und Wirrnis, Drangsal und Not,
Bäche von Tränen und Ströme von Blut,
sie können die Liebe nicht tilgen,
die in uns Menschen ruht.

und wollt' einer geben all seines Lichts
und Gutes für Liebe,
so gälte es nichts.

Eine Flamme Gottes ist ihre Glut.

Leg wie ein Siegel mich auf Dein Herz,
wie ein Siegel auf Deinen Arm!
Denn stark wie der Tod ist die Liebe!
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Aus: Josef Weinheber Sämtliche Werke
1. Band Gedichte Erster Teil
Herausgegeben von Josef Nadler und Hedwig Weinheber
Otto Müller Verlag Salzburg 1953
(S. 161-173)
 



 

 

 

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