Wassily Kandinsky
(1866-1944)
Improvisation 209
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Das Hohelied Salomonis
Schir Haschirim
I.
SULAMITH:
Komm' an mein Herz
und küsse mich, Geliebter!
Denn Lieb' ist süßer als der Karmelwein,
Ist süßer als der Weihrauch der Ägypter,
Als Nardenduft und Indiens Spezerei'n.
Zwar bin ich schwarz, doch lieblich anzuschauen
— Mich hat versengt der Sonnenbrand der Wüste —
O spottet nicht, ihr Mädchen und ihr Frauen!
Wie Kedars Hütten schimmern meine Brüste.
Die Mutter zürnt mir und die Brüder fluchen,
Weil ich vergaß den Weinberg zu behüten.
Den Liebsten meiner Seele ging ich suchen.
Wo rastet er im Mittagsonnenbrüten?
SOLOMO:
Mit wem soll ich die
Lieblichste vergleichen?
Wie Pharos Wagen prunken deine Wangen.
An deinem schlanken Hals, dem sammetweichen,
Erglänzen Perlen und Rubinenspangen.
SULAMITH:
Wie Myrrhenbüschel,
die die Brust mir schmücken,
Bist du an meinem Busen oft gehangen,
Dein Wort gleicht Hymnen, die beim Traubenpflücken
Die Winzer zu Êngedi trunken sangen.
SALOMO:
In meinem Busen tobt
ein wilder Föhn.
Den Honig deiner Lippen will ich saugen.
Schön bist du, Sulamith, ja du bist schön,
Denn deine Augen sind wie Taubenaugen.
Zur Ruhe laden schwellend Rasendämme,
Dort laß uns kosen, küssen und — vergessen!
Als Säulen ragen stolze Zedernstämme,
Und des Palastes Wände sind Zypressen.
II.
SALOMO:
Wie Sarons
Zauberblume prangst du blühend,
Wie eine Rose unter Dorngestrüppen.
Kein Weib, kein Mädchen hat so liebeglühend',
So heiße, ewig küssensdurst'ge Lippen.
SULAMITH:
Du ragst, wie
herrlich über alle Bäume
Der wilde Apfelbaum gen Himmel starret;
In seinem Schatten such' ich süße Träume,
Indes mein Herze des Geliebten harret.
Die Linke mußt du um das Haupt mir schlingen,
An deinen starken Arm will ich mich lehnen.
Du mußt mir Blumen, rote Blumen, bringen,
Denn ich bin krank, Geliebter, krank vor Sehnen.
SALOMO:
Ihr Töchter Zions!
Bei den jungen Rehen
Beschwör' ich euch, die Holde nicht zu wecken,
Behutsam schleicht herbei auf leisen Zehen
Und scheucht die Fliegen fort, die allzu kecken.
SULAMITH:
Triumph! Ich höre
meines Liebsten Stimme,
Er kommt vom Berge, hüpfet über Hügel;
So scheucht das Reh vor wildem Jägersgrimme.
Er sprengt zur Liebsten mit verhängtem Zügel.
Jetzt eilt er durch den heißen Wüstensand,
Er rast daher wie tosendes Gewitter;
Jetzt hält er wohl beim Haus, klopft an die Wand —
Schon winkt er grüßend mir durchs Gartengitter.
Er winkt und lacht und spricht: "Wach auf, du Holde,
Der rauhe Winter ist dahingegangen,
In Lenzeslüften blüht die blaue Dolde,
Die Reben knospen und die Myrten prangen.
Die Turteltauben bauen ihre Nester,
Am Feigenbaume grünen neue Knoten,
Die Purpurrose grüßt die traute Schwester,
Zu neuem Leben sind erwacht die Toten."
SALOMO:
Mein Täubchen flieg'
aus deiner Felsenhöhle
Und zeig' dich wieder, denn du bist so schön.
Süß ist das Lachen deiner Silberkehle
Und du bist wunderherrlich anzusehn.
Die bösen Füchse müßt ihr mir verjagen,
Damit sie unsern Weinberg nicht durchwühlen,
Denn unser Weinberg keimt. In wen'gen Tagen
Wird uns sein reiches Blätterdach schon kühlen.
SULAMITH:
Mein Freund ist mein
und ich bin ewig sein,
Eh' dieser Tag in Purpurgluten scheidet.
Mein Freund ist mein und ich bin ewig sein,
Der unter Sarons Zauberrosen weidet.
III.
SULAMITH:
Im Traume sah ich
liebend mich umfangen,
Da schrak ich auf, ich sucht' und fand ihn nicht.
Wild pocht mein Herz. Im glühenden Verlangen
Hallt laut mein Ruf. Doch er verstand ihn nicht.
Ich sprang empor und sucht' in allen Gassen
Der stillen Stadt, ich sucht' im Sternenlicht
Den Liebsten meiner Sehnsucht zu umfassen.
Ich sucht' ihn überall und fand ihn nicht.
Die Wächter fragt' ich, die das Tor behüten:
"Saht ihr den Liebsten nicht vorübergehn?
Stolz ist sein Wuchs. Wie Purpurmandelblüten
Glühn seine Lippen. Habt ihr ihn gesehn?"
Und weiter ging's. Die Sehnsucht lieh mir Schwingen.
Triumpf! Beim Rebenhügel fand ich ihn.
Ich hielt ihn fest. Wer will ihn mir entringen?
Mit tausend süßen Fäden band ich ihn.
SALOMO:
Wie leichter Rauch
der Wüstenhirtenfeuer
Schwebst du daher, wie süße Myrtendüfte,
Wie aus den Wassern weiße Nebelschleier
Empor sich schlängeln in die lauen Lüfte.
SULAMITH (singt):
An des Liebsten Lager
wachen
Schwertgegürtet sechzig Recken.
Wenn's wie glühend' Höllenrachen
Lodert aus den Kohlenbecken,
Schlummerst du auf seidenweichen
Pfühlen, Herr, und lächelst heiter,
Denn die Spukgestalten scheuchen
Schwertgerüstet sechzig Streiter.
IV.
SALOMO:
Schön bist du,
Sulamith. Ja, du bist schön,
Denn deine Augen blicken sanft wie Tauben.
Wie Ziegenherden, die zur Weide gehn,
Sind deiner Flechten schwarze Lockentrauben.
Wie weiße Lämmer, die der Flut entsteigen,
So blitzen lachend deine Perlenzähne.
Die Lippen sind Rosinen. Balsamfeigen
Sind deine Küsse, o du Tausendschöne!
Die Wangen glühen purpurn wie Granaten
An deinem Halse wie an Davids Zinnen
Da sprüht's von tausend funkelnden Zieraten,
Die Brüste schimmern schneeiger denn Linnen.
Des Libanon zerklüftet Felsenritzen
Verlasse und des Hermon rauhe Höh'n.
Mich hat bezwungen deiner Augen Blitzen,
Schön bist du, Sulamith, ja du bist schön.
Wie ein versperrter Garten lockst du prangend,
Wie's Brünnlein, das der Felssturz hat verschlossen.
Ein Apfelbaum, an dem der Safran rankend,
Erglüht von würz'gem Nardenduft umflossen.
Blas', Nordwind, blas' durch meinen Zaubergarten
Und weh' vom Baum den Kirschenblütenregen;
Auf meine Allerliebste will ich warten,
Drum streue Blumen auf den grünen Wegen!
SULAMITH:
Die Lotosblumen atmen
duftesschwer,
Der Mondnachtzauber quillt aus den Violen —
O Liebster, warum kommst du nimmermehr,
Die süße Frucht des Gartens dir zu holen?
V.
SALOMO:
Ich komme, Holde!
Ach, ich weilt' zu lange,
Den Myrtenstrauß im Jordanstal zu pflücken.
Den Honig bring' ich dir. Auf grünem Hange
Fand ich ein Bienennest am Bergesrücken.
Hier Wein! Hier Met! Stoßt an mit vollen Krügen,
Denn wahre Lieb' und echter Karmelwein,
Die wollen nur in nimmersatten Zügen
Aus nimmerleerem Krug genossen sein.
SULAMITH:
Längst schlummert'
ich. Mein Herz alleine wacht'!
Den Liebsten hört's ans niedere Fenster klopfen.
Ich bin's! Geliebtes Weib! Flugs aufgemacht!
Mich friert, es nässen mich des Taues Tropfen.
Mich friert. Ich hab' mich heimlich fortgestohlen,
Zog aus das Königskleid, das dunkelblaue.
Ich schlich zur Liebsten auf entblößten Sohlen,
Mach auf! Mich friert im feuchten Abendtaue.
Er streckt die Hände flehend durch die Hecken,
Er bat so süß (ich wollt', ich wäre taub),
Er bat so süß, ich zürnt dem allzu kecken
Und zitterte wie windgepeitschtes Laub.
Da stand ich auf und schob zurück den Riegel
— Wer könnte solchem Bitten widerstehn? —
Ich sah die mondbeglänzten Rebenhügel,
Doch, ach, der Liebste war nicht mehr zu sehn.
Ich ging hinaus und fragt' die lieben Sterne:
Saht ihr im Wald, saht ihr am Strand ihn nicht?
Die Arme streckt ich sehnend in die Ferne.
Ich sucht' ihn überall und fand ihn nicht.
Die Wächter höhnten mich in meinem Trauern,
Sie schlugen mich, als wär' ich eine Dirne.
Dann fragte ich die Hüter an den Mauern,
Die rissen mir den Schleier von der Stirne.
Ihr Töchter Zions! Wollet ihr mich hören:
"Wißt ihr vielleicht, wo mein Geliebter bliebe?
Sagt ihm, o sagt ihm, laßt euch beschwören.
Sagt Sulamith ist krank, ist krank vor Liebe."
CHOR DER MÄDCHEN:
Wer ist dein Freund,
daß du mit bitteren Tränen
Uns hast beschworen, schönes Schwesterlein;
Wer ist dein Freund von Judas starken Söhnen,
Daß du ihn suchest hier im Lorbeerhain?
SULAMITH:
Kennt ihr ihn nicht,
nach dem ich sehnend kranke?
Hoch ragt er, wie am Libanon die Zedern;
Auf seiner Stirn träumt lächelnd der Gedanke,
Die Locken schimmern schwarz wie Rabenfedern.
Sein Leib ist Elfenbein. Wie Eichenpfähle
Durch Eisenbande wetterhart vereint,
Sind seine Arme, süß ist seine Kehle.
Salomo ist's, mein königlicher Freund!
VI.
SULAMITH:
Nun ruht mein Freund
im grünen Lorbeerhain,
Den Kidrons Silberbächlein plätschernd schneidet.
Mein Freund ist mein, und ich bin sein,
Der unter Sarons Zauberrosen weidet.
SALOMO:
Schön bist du,
Sulamith, wie Thirzas Pracht
Und lieblich wie Jerusalems Gefilde,
Dein Auge funkelt wie in heißer Schlacht
Die Lanzenspitzen und die blanken Schilde.
Wend' ab den Blick! Dein Auge macht mich rasend!
Die Zöpfe schimmern schwarz wie Ziegenherden,
Die von des Karmel rauhem Gipfel grasend
Zur Abendrast ins Dorf getrieben werden.
Sieh! Sechzig stolze Königinnen zittern
Vor meinem Blick, und hundert edle Frauen.
Sehnsüchtig harren mein an Gartengittern
Die schönsten Mädchen von Judäas Gauen.
Doch eine ist mein Täubchen mein Verlangen,
Doch eine ist mein Singen und mein Sinnen,
Die Tochter Zions preist ihr Jugendprangen
Und vor ihr neigen sich die Königinnen.
SULAMITH:
Wer ist's, der
herrlich wie der Morgenschimmer
Empor aus Wolken taucht gleich Sonnenblitzen,
Wie durch die dunkle Nacht der Mondscheinflimmer,
So strahlt sein Auge scharf wie Lanzenspitzen.
Ich ging, zu schauen, ob die Sträucher grünen,
Und ob am Weinstock neuer Segen quelle,
Ich ging, zu schauen nach den ems'gen Bienen
Und — traf den Liebsten an der Gartenschwelle.
VII.
SALOMO:
Auf schlanken Füßen,
o Gazellengleiche,
Schwebst du hernieder von betauten Hügeln,
Dein Aug' ist abgrundtief wie Hesbons Teiche,
In denen sich die Abendsterne spiegeln.
Dein Hals, ein Turm von Elfenbein gedrechselt,
Der hoch am Berge gen Damaskus späht.
Wie Karmels Gipfel, wenn der Mondschein wechselt,
Blinkt stolz dein Haupt, von Perlen übersät.
Wie faltenreiche Königsmantel wallen
Die Locken über deinen Alabasternacken.
Schön bist du wie des Meeres Prachtkorallen.
Die purpurn glühn, auf schwarzen Felsenzacken.
Du gleichst der Wüste schlanken Dattelpalmen,
Die träumend sich im Abendwinde wiegen,
Wenn Demanttropfen glitzern an den Halmen
Und in ihr Nest sich scheu die Vögel schmiegen.
SULAMITH:
Komm, Freund! Laß uns
durch alle Felder streifen,
Laß singend uns durch alle Dörfer ziehn,
Wo reiche Trauben an den Reben reifen
Und scharlachrote Mandelsträucher blühn.
Die Rosen duften süß an meinen Pforten.
Um meine Pfosten ranken grüne Kränze,
Doch lausch' ich meines Freundes Zauberworten,
Wenn er mir singt von unserem Liebeslenze.
VIII.
SULAMITH:
Fänd' ich dich
draußen in den grünen Matten,
Fänd' ich dich an des Jordans Wasserflüssen,
Fänd' ich dich in den kühlen Zedernschatten
Des Libanon! Wie wollte ich dich küssen.
Ich wollt' dich führen in die Gartenlaube,
Dort lehre mich die Hirtenweise singen,
Ich pflücke dir dort manche gold'ne Traube
Und will dir süße, rote Apfel bringen.
An deinen starken Arm will ich mich lehnen,
Du streichelst lächelnd meine schwarzen Flechten
Und flüsterst mir vom glühend heißen Sehnen,
Das dich gequält in stillen Sternennächten.
SALOMO:
Preß' auf dein Herz
mich, wie ein rotes Siegel!
Denn Lieb' ist stark, ist stärker als der Tod.
Die Liebe sprengt die festen Eisenriegel
Und brennt wie Feuer, das zum Himmel loht.
Kein Wasser löscht die Glut, und stürzt in Traufen
Das Meer und alle Ströme dieser Welt.
Wollt' einer Lieb' für Schätze sich erkaufen,
Das Gold der Erde wäre Bettelgeld.
Ist Lieb' ein Mauerwerk, das uns umtürmet,
Laß ich ein silbern Bollwerk darum bau'n,
Ist Lieb' ein Tor, das unser Herz beschirmet,
Laß ich mit Zedernbohlen es behau'n.
SULAMITH:
Reich ist mein
Freund! Er gab den Rebengarten
Den Wächtern zu Bal-Hemon, daß man bringe
Auf seinen Tisch die besten Traubenarten,
Und jährlich an die tausend Silberlinge.
SALOMO:
O, die du weilest
hinter Rosenhecken
Laß deiner Stimme süßen Klang mich lauschen!
SULAMITH:
Flieh' wie das Reh,
das keucht im Todesschrecken,
Wenn abendlich die Zedernwipfel rauschen.
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Aus: Hugo Zuckermann
Gedichte
1915 R. Löwit Verlag Wien (S. 49-58)
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