Das Liebes-Poetische Manuskript N° 22

O schöne Herrin, deine holden Wangen ...

Torquato Tasso (1544 - 1595) Sonette - Das Antlitz der schönen Herrin

 


Giovanni Bellini (c. 1426-1516)
Junge nackte Frau mit Spiegel


 



Des Blickes Gewalt

Gewährt mir Amor ihrer Augen Schein,
Dann blickt sie wie aus überird'scher Höhe,
Daß mit verschloßner Glut ich vor ihr stehe,
Und bang mein Herz sich wandelt wie in Stein,

Die Lippe schweigt, kein Seufzer nennt die Pein,
Der Fuß dann weicht zurück; doch wer mich sähe,
Er läs' in meinem Angesicht mein Wehe,
Gegraben ihm, wie weißem Marmor, ein.

Wohl liest auch sie es, und, in sanften Tönen
Ermuthigend, auf daß ich sprech' und wage,
Entkleidet sie sich ihrer Göttlichkeit;

Doch dieses schon erfüllt so ganz mein Sehnen,
Daß ich nicht habe, was ich wünsch' und sage,
Und um ein Lächeln dulde jeglich Leid.

 


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Übersicht

Übersetzt von Karl August Förster (1784-1841)

Aus: Auserlesene lyrische Gedichte von Torquato Tasso
Aus dem Italienischen übersetzt von Karl Förster
Mit einer Einleitung: "Über Torquato Tasso als lyrischen Dichter."
Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage
Leipzig F.A. Brockhaus 1844

weitere Sonette von Torquato Tasso: www.deutsche-liebeslyrik.de/europaische_liebeslyrik/tasso.htm


 



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