Neunzehnter Kuss
Warum
flattert ihr noch um Rosen und farblosen Thymian,
Noch um den Thau, der im Lenz süßen Violen entquillt,
Warum trinket ihr, Bienen, den Geist weitduftenden Fenchels?
All' ihr kommet zum Mund meiner Geliebten herbey!
Thymian duftet nur dort, nur dort der Odem der Rose,
Dort nur der Thau, der im Lenz süßen Violen entquillt.
Ihr Mund haucht den entzückenden Geist weitduftenden Fenchels,
Träuft von der Thränen Gedüft, welche Narcissus geweint,
Glüht vom ambrosischen Blut des oebalischen Götterjünglings.
Also weintest du einst, blutetest, Lieblicher, du,
Als, vom nektarischen Hauch und dem heiligen Aether geschwängert,
Tellus üppiger Schooß farbige Blumen gebar.
Doch mich, der ich mit Fug an dem Honig der Lippen mich labe,
Scheucht undankbar mich nie vom ambrosischen Mahl:
Füllt auch nicht in geiziger Hast eur Zellengeweb' an,
Daß nicht endlich der Mund meiner Geliebten versiegt,
Und wenn durstige Küß' auf die durstigen Lippen ich drücke,
Seinen Verrath mit Schmerz noch der Geschwätzige büßt:
Und verwundet mir nicht mit dem Stachel die zärtlichen Lippen,
Denn in den Augen verbirgt ähnliche Waffen auch sie.
Glaubet, sie rächet an euch jedwede empfangene Wunde;
Und so küsset den Thau friedlich vom blühenden Mund.