|
Albrecht, Marschall von Rapperschwyl
(um 1330)
Sterndeutung
Wieder froh ist mein Gemüt,
Daß der Mai ringsum erblüht
Auf den jungen Reisen.
Aus dem zarten Knospenschwall
Läßt erfreut Frau Nachtigall
Klingen ihre Weisen.
Ach wie süße Melodein
Uns die Holde spendet!
Doch auch Sie mag selig sein,
Die da zu den Vögelein
Meine Seele wendet!
Keine mehr wie Sie es giebt,
Darum wünsche, wer mich liebt,
Daß sie mein soll werden.
Dann hab ich ein Paradies
Voller Glück, wie nie sichs wies
Einem Mann auf Erden.
Auch ihr engelhafter Leib
Strahlt in süßer Jugend,
Daß kein Wort es je beschreib;
Und dein Herz, du schönes Weib,
Ist voll reinster Tugend.
Die mich so macht jung und alt,
Hat zwei Steine in Gewalt,
Die mich stets erfreuten;
Darin les ich freudenvoll,
Was mir noch geschehen soll ...
Kann ichs richtig deuten?
Ja sie strahlen hehr und hell
Und sie sagen beide:
Glücklich wirst du; komm, Gesell,
Komm in meine Arme schnell,
So wird Lieb aus Leide!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der
Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 264)
_____
Der Sterndeuter
Wieder hebt sich meine Brust,
Denn es mai't die Maienlust;
Manche Knospe schaute
Schön vom Ast, sich aufzuthun;
Drüber sitzt um auszuruh'n
Nachtigall, die traute.
Ehre soll der Schwätz'rin sein,
Die den Ast hat inne,
Stets ihr Lust und Glück gedeih'n,
Die mir zu den Vögelein
Froh erhöht die Sinne.
Wünsch' ein Jeder, daß ich bald
Nenne mein die Huldgestalt,
Wer mir gönnt das Beste;
Dann ist mein im Erdenkreis
Durch die Hold' ein Paradeis
Und ein Fest der Feste.
Mit den feinsten Farben scheint
Schön ihr Leib bemalet,
Weiß und Roth und Braun vereint;
Allem Schlechten ist sie feind,
Die in Tugend strahlet.
Zweier Stern' hat sie Gewalt,
Die mich macht so jung wie alt;
Kund sei's allen Leuten.
Drinnen kann ich wohl erseh'n,
Was in Zukunft soll gescheh'n,
Und versteh's zu deuten.
Komm' ich noch in ihr Gebiet,
Hört, ob das mir tauge:
Was gescheh'n soll, das geschieht!
Dies und andres nichts ersieht
Mein Prophetenauge.
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 219-220)
_____
|