Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Christian von Hamle
(um 1225)



Der Anger

Ich wollte, daß der Anger sprechen könnte,
Gleichwie der Papagei im Glas,
Und das Geständnis mir vergönnte,
Wie er der Freude nicht vergaß,
Als meine Herrin Blumen las
Auf ihm, und ihre minniglichen Füße
Berührten heut sein grünes Gras! -

Herr Anger, welche Lust euch wohl bewegte,
Als meine Herrin zu euch kam,
Und über euch die schönen Hände regte
Und schöne Blumen euch entnahm!
Herr Grünort, machs euch keinen Gram,
Daß dort ich wandle, wo erst jüngst die Süße
Gegangen lieb und wundersam.

Herr Anger, bittet sie, mir zu versüßen
Doch in der Brust das bittre Weh;
Dann wünsch ich euch, daß sie mit bloßen Füßen
Noch heute wieder auf euch geh:
Dann schadet euch niemehr der Schnee.
Beglückt michs erst, daß sie mich liebreich grüße,
So grünt mein Herz wie euer Klee!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 87)

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Ich wollte, dass der anger sprechen sollte
Wie der sittich hinterm glas,
Und er mir dann verständig sagen wollte,
Wie so sanft ihm heute was,
Als die herrin blumen las
Von ihm, und die minnelichen füsse
Rührten an sein grünes gras.

Herr Anger, welche freude musst euch reifen,
Als die herrin kam heran,
Und nun ihreweisse hand zu greifen
Nach eurer blumen zier begann.
Erlaubet mir, herr grüner Plan,
Dass ich meine füsse setzen möge,
Wo meine herrin es getan.

Herr Anger, bittet, dass mich nicht lässt büssen
Ein weib, nach dem mein sehnen steh:
So wünsch ich, dass mit blossen füssen
Sie selbst noch heuer auf euch geh:
Dann schadet nimmer euch der schnee.
Wird mir von ihr ein lieblich grüssen,
So grünt mein herz wie euer klee.

Nachgedichtet von Friedrich Wolters (1876-1930)

Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 114)

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Wunsch und Bitte

Ich wollte, daß der Anger könnte plaudern,
Wie der Papagei im Glas,
Und möchte mir vertrauen ohne Zaudern,
Was er heuer Lust besaß,
Da von ihm die Fraue las
Blumen und die minniglichen Füße
Rührten an sein grünes Gras.

Herr Anger, welche Wonn' euch wohl bewegte,
Als ihr saht die Fraue nah'n,
Und sie nach euch die weißen Hände regte,
Schöne Blumen zu empfah'n:
Gönnt es mir, Herr grüner Plan,
Dort den Fuß zu setzen, wo die Süße
Kurz zuvor es hat gethan.

Herr Anger, bitte sie, mir zu versüßen
Doch des Herzens bitt'res Weh;
So wünsch' ich, daß sie mehr mit bloßen Füßen
Heuer auf euch geh' und steh';
Dann verletzt euch nie der Schnee:
Bietet einmal mir die holde Grüße,
Grünt mein Herz, wie euer Klee.

Nachgedichtet von Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 100)

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Der Anger

Ich wollte, daß der Anger sprechen sollte,
Wie der Sittich spricht im Glas,
Und mir getreulich eingestehen wollte,
Wie frohen Muth er da besaß,
Als die Herrin Blumen las
Jüngst auf ihm und ihre zarten Füße
Rührten an sein grünes Gras.

Wie gut euch alle Wünsche da geriethen,
Herr Anger, als sie kam heran,
Und ihre weiße Hand begann zu bieten
Nach euern Blumen wohlgethan!
Erlaubet mir, Herr grüner Plan,
Daß ich setzen dürfe meine Füße
In ihre Spur, mir liegt daran.

Herr Anger, fleht, daß Sie den Kummer büßen
Mir wolle nach so langem Weh:
So wünsch ich euch, daß Sie mit bloßen Füßen
Noch einmal wieder auf euch geh.
Euch schadet dann nicht mehr der Schnee;
Wird mir von ihr ein lieblich Grüßen,
So grünt mein Herz wie euer Klee.

Nachgedichtet von Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 102-103)

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An eine Wiese, wo sein Fräulein
Blumen gepflückt hatte

Ich möchte, daß der Anger sprechen sollte
Wie ein geschwätz'ger Papagei,
Und er mir dann recht viel erzählen wollte,
Wie's ihm so wohl ergangen sei,
Als meine Frau heut Blumen las
Von ihm und ihre minniglichen Füße
Ihm traten auf sein grünes Gras.

Herr Anger, sprecht, wie groß war eure Freude,
Als ihr die Liebliche erblickt
Und ihre weißen Hände, weich wie Seide,
Auf euch sich einen Strauß gepflückt?
Erlaubt mir, daß auf diesen Pfad
Ich meine Füße niedersetzen dürfe,
Wo meine Frau gestanden hat!

O fleht sie an: sie soll mein Leid versüßen,
Das Weib, nach der mein Herze steht!
Dann wünsch' ich euch, daß sie mit bloßen Füßen
Noch einmal heute auf euch geht.
Dann schadet euch kein Eis und Schnee:
Wird mir von ihr ein freundliches Begrüßen,
So grünt mein Herz wie euer Klee!

Nachgedichtet von Wilhelm Müller (1794-1827)

Aus: Blumenlese aus den Minnesingern
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Erste Sammlung Berlin 1816
In der Maurerschen Buchhandlung (S. 61)

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