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Der junge Meißner
(um 1260 – 1280)
Die Minne
Frau Minne, du bist so gewaltig,
Und deine Netze sind zu mannigfaltig,
Daß sich nicht drin verfinge
Sogar ein weiser Mann,
Und doch hängt Jung und Alt
Dir stets, Frau Minne, an,
Und niemand kennt all deine Wunderdinge,
Die du verführst alsbald
An Mann und Weib, ob Edle ob Geringe.
Wem du dich neigst
Und freundlich zeigst,
Wähnt im Besitze sich von Allgewalt.
O Minne, süß und minnig
Dein Name klingt und innig;
Auch sinnig
Bist du, das weiß ich gut:
Doch wilder als des Adlers ist dein Mut!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 188)
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Sinnig und wild
Ach, Minne, daß du bist so gar gewaltig
Und deine Stricke sind so mannigfaltig!
Du thörst so manchen weisen Mann,
doch sind dir hold so Jung wie Alt.
Niemand beschreibt all deine Wunderdinge
An Mann und Weib, an Vornehm und Geringe;
Wem du dich freundlich zeigst,
der wähnt sich im Besitz der Allgewalt.
O Minne, süß und minniglich, dein Name klingt so innig;
Sinnig
Bist du, das ist wahr,
Und wilder ist dein Muth doch, als ein Aar.
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 15)
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