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Der Taler
(um 1230 – 1250)
Gabe und Gegengabe
Ich klag um Blumen nicht noch Klee,
Die bringt der Mai aufs neu wie eh,
Mir tut ein andrer Kummer weh:
Ich klag, daß mich die Herrin ließ
Ein Pelzwams nehmen und sie dies
Auf bloßer Haut mich tragen hieß
Ein Jahr lang, und soll hungrig sein
Allzeit stets einen Tag von zwein,
Und Wasser mir verbot und Wein!
Was sie geboten, ist geschehn,
Doch läßt sie wieder Spott ergehn!
Gott, laß mich dein Erbarmen sehn!
Daß mich die Schöne quält so viel
Und ausäfft ohne Maß und Ziel,
Das ist mir noch ein Kinderspiel!
Der Neiser lobt sein Liebchen sein,
Preist hoch ihr Scharlachmündeleln,
Und jeder nennt sie Tugendschrein!
Ja, tragen Prachtgewand die Fraun,
So sind sie lieblich anzuschaun;
Mein Holdchen läuft in Fetzen traun!
War erst beendet unser Streit,
So schenkt ich ihr ein feines Kleid,
Wenn sie erzeigt mir Freundlichkeit.
Ihr Mund ist wie gemacht zum Kuß,
Doch weil er mich verderben muß,
Wünsch ich: war schwärzer er als Ruß!
(Der Neifer – Gottfried von Nifen – war ein Zeitgenosse
des Talers. )
Nachgedichtet von Richard
Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 106)
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Das Jäckchen
Nicht Blumen klag' ich, noch den Klee,
Die blüh'n im Maien auf wie eh;
Mir thut ein andrer Kummer weh:
Ich klage, daß die Frau mich ließ
Ein Kursit nehmen und sie dies
Auf bloßer Haut mich tragen hieß
Ein Jahr und auch ohn' Essen sein
Allzeit den einen Tag von zwei'n,
Und Wasser mir verbot und Wein.
Was sie befahl, das ist gescheh'n;
Nun läßt sie wieder Spott ergeh'n.
Gott, laß mich dein Erbarmen seh'n!
Daß mich die Schöne quält mit Schmerz
Und also äfft mein treues Herz,
Das ist mir noch ein Kinderscherz;
Der Neiser lobt sein Lieb so fein,
Ihr Mündchen rosenroth und rein,
Und alles nennt sie Tugendschrein.
Ja, tragen gut Gewand die Frau'n
So sind sie holder anzuschau'n;
Mein Liebchen geht in Fetzen traun!
Wär' unser Streit erst abgethan,
Ein Jäckchen sollte sie empfah'n,
Wofern sie hold mir wollte nah'n.
Ihr Mündchen steht zu Kuß und Gruß,
Doch weil es mich verderben muß,
Wollt' ich, es wäre schwarz wie Ruß.
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 221-222)
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