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Der von Gliers
(um 1300)
Einsam
Holdselige Frau, so lieb und rein,
Da man von dir das Beste sagt,
Flöß meinem Grame Linderung ein,
Dem niemals Lust und Freude tagt.
Wie Gott dich liebt jahraus-jahrein!
Wer dich im Jahr sieht einmal, wagt
Dann fernerhin nicht schlecht zu sein
Und ist an Treue unverzagt.
Dein Augenpaar voll Sonnenglast,
Dein roter sehnsuchtsvoller Mund,
Und deiner Minne süße Last,
Dies alles macht mein Herz so wund,
Daß Freude mir ein seltner Gast
Und krank ich bin in Herzensgrund
Dem Vogel gleich auf dürrem Ast,
Der einsam ist zu jeder Stund.
O weh! der Sehnsucht stete Not
Hat allen Frohsinn mir verheert,
Graland, gesotten bis zum Tod,
Ihm ward nicht größrer Schmerz beschert,
Wie er mir ohne Sterben droht.
Mir nahm die Glut, die mich verzehrt,
Die Lust an Blümlein weiß und rot
Und andern Frauen lieb und wert.
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der
Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 253)
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Vereinsamt
Holdsel'ge Frau, so rein und gut,
Da man von dir das Beste spricht,
So tröste mir den trüben Muth,
Dem Lust und Freude ganz gebricht.
Wie Gott so viel dir Gutes thut!
Sieht Jahrs man einmal dein Gesicht:
Steht man vor allem Falsch in Hut
Und weiß von Wank und Wandel nicht.
Hei, deiner Augen Glanz und Glast,
Dein rother, sehnsuchtreicher Mund,
Und deiner Minne süße Last:
Die machen so das Herz mir wund,
Daß ich der Freud' ein selt'ner Gast
Und ähnlich bin im Waldesgrund
Der Turtel, die auf dürrem Ast
Einsam zu allen Zeiten stund.
O weh, der Sehnsucht bitt're Noth
Hat alle Freude mir verheert;
Graland, gesotten bis zum Tod,
Ward nicht von solchem Schmerz versehrt,
Wie ohne Tod er stets mir droht.
Auch hat die Glut, die mich verzehrt,
Mir Lust an Blumen, weiß und roth,
Und Sinn für and're Frau'n verwehrt.
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 112-113)
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