Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Der wilde Alexander
(um 1239)



Ein Ostertag

Gar wonnig kam der Mai in's Land,
Mit bunten Blumen schön geschmückt;
Es trägt der Wald ein neu Gewand,
Der Winter hatt' es ihm zerpflückt;
Die Vögel singen manch ein Lied
In Feld und Flur allüberall,
Und ihre Noth und Trauer flieht;
Dazwischen tönt der süße Schall
Der Nachtigall.

Der Lieben dien' ich gern um Sold,
Das soll sie glauben fest und wahr;
Doch sei sie gnädig mir und hold,
Die reich an Tugend ganz und gar.
Ich kam durch Lieb' in bitt're Noth:
Bald bin ich kalt im Herzensgrund
Und bald zu wilder Glut entloht,
Als brännt' ich schier; mich machte wund
Ihr rother Mund.

Wohl mir, ich soll erschau'n das Weib!
Mein Ostertag muß stets sie sein;
Gott hat gebildet ihren Leib
Wie Balsamduft und Lilienschein.
Sie heilt wie Mailuft, Haideglanz
Und Sonnenschimmer meine Weh'n;
Sie trägt der Ehren Rosenkranz,
Das muß ihr Jeder zugesteh'n,
Der sie geseh'n.

An hohen Ehren ist sie reich,
Und reines Lob war stets ihr Theil;
An Jugendblüth ist Kein' ihr gleich;
Es liegt an ihr mein Glück und Heil.
Ihr Mündchen brennt wie Feuerglut,
Und Wangen hat sie rosenroth;
Vor Tadel ist sie auf der Hut;
Durch Tück' und Trug ist nie bedroht
Wer Dienst' ihr bot.

Mich freut der Fraue Schön' und Zucht:
Wie wonnig ihr die Augen steh'n!
Mich freut die reine, süße Frucht,
Daß bald sie meine Blicke seh'n.
Wie ist die Holde süß und rein
Und ihre Tugend mannigfalt
Und ihre Wangen licht und fein!
Voll Jugend blüht gleichwie ein Wald
Die Huldgestalt.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 146-147)

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