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Dietmar von Aist
(vor 1140 - nach 1171)
Es stand eine frau alleine
Und wartet auf der heide
Und wartet auf den lieben
Da sah sie falken fliegen:
"O wohl dir, falke, wie du bist!
Du fliegst, wohin dir lieb ist,
Du erkiesest in dem walde
Den baum, der dir gefalle.
Also hab auch ich getan:
Ich erkor mir selbst den mann,
Den wählten meine augen:
Das neiden schöne Frauen.
Wann lassen sie mir denn mein lieb?
Ich begehre doch einen ihrer trauten nicht."
Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)
Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 16-17)
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Die Erwartung
Stund einsam eine Fraue
Und sah nach der Aue,
Ihr Lieb zu erreichen.
Da sah sie Falken streichen:
"So wohl dir, Falke, daß du bist!
Du streichst allwo dir's lieb ist;
Du wählst in Wald und Hage
'nen Baum, der dir behage.
So war es auch, was ich begann:
Selbst erkor ich einen Mann;
Der war so hold zu schauen.
Das neiden andre Frauen.
Ach, ließen sie mein Lieb mir doch!
Nie trachtet' ich nach Andrer Liebsten noch."
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 40)
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Der Falke
Eine Fraue stand alleine
Und blickte über Haide,
Und blickte nach dem Lieben,
Da sah sie Falken fliegen:
"So wohl dir, Falke, daß du bist!
Du fliegst wohin dir
lieb ist.
Du suchst dir in dem Walde
Einen Baum, der dir gefalle.
Also hab auch ich gethan:
Ich ersah mir einen Mann,
Den erwählten meine Augen;
Das neiden andre Frauen.
O weh, so laßt mir doch mein Lieb:
Ich stellte ja nach euern Liebsten nicht.
So wohl dir, Sommerwonne!
Der Vogelsang ist geschwunden,
Also ist der Lind ihr Laub.
Künftig trüben sich mir auch
Meine Augen, du sollst dich wahren
Vor allen andern Weibern:
Die sollst du, Held, vermeiden.
Als du zuerst mich hast gesehn,
Da deucht ich dich, willst dus gestehn,
Geschaffen also minniglich:
Lieber Mann, des mahn ich dich."
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 43-44)
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Der Falke
Eine Frau, die stand alleine
Und spähte auf die Haide
Und späht' nach ihrem Lieben,
Einen Falken sah sie fliegen.
"O Falke, wie du glücklich bist!
Du fliegst, wohin nur lieb dir ist,
Du suchst dir in dem Walde
Einen Baum, der dir gefalle.
Also hab' auch ich gethan:
Für mich erkor ich einen Mann,
Den erwählten meine Augen.
Das beneiden schöne Frauen.
Was läßt man mir mein Lieb nicht doch,
Wollt' ich ja ihrer keiner Liebsten noch!"
Nachgedichtet von Bruno Obermann
Aus: Deutscher
Minnesang Lieder aus dem
zwölften bis vierzehnten Jahrhundert
Übertragen von Bruno Obermann
Leipzig Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. o. J. (1890) (S. 28)
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