Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Friedrich von Hausen
(1150/60 - 1190)

 

Jenseit der Berge

Erlebt ich einst die Seligkeit,
Daß ich das Land nochmals erblickte,
Wo mir das Herz seit langer Zeit
Ein holdes Frauenbild berückte,
So sähe jeder auf der Welt,
Es sei mit mir nun so bestellt,
Daß mich kein Gram und Leid mehr drückte.
Ach, manches scheint mir heute gut,
Was sonst verdüstert meinen Mut.

Ich wähnte dort ihr fern zu sein,
Wo ich ihr jetzt gern nahe wäre;
Beim Abschied sieht mein Herz erst ein,
Wie Trennung bittres Leid gebäre.
So schafft mir Treue Angst und Pein,
O wär ich wieder erst am Rhein,
So hört ich dort wohl bessere Märe,
Dran niemehr sich erquickt mein Sinn,
Seit ich jenseit der Berge bin.

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 33)

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Heimweh


Erlebt' ich noch die Seligkeit,
Daß wieder ich das Land erblickte,
Wo mir das Herz schon lange Zeit
Ein schönes Frauenbild entzückte,
So sähe weder Weib noch Mann
Wohl jemals, daß mich ferner dann
Ein Leiden oder Gram bedrückte.
Mich dünkte jetzt gar manches gut,
Das sonst mir machte schwer den Mut.

Sonst wähnt' ich, ihr gar fern zu sein,
Wo jetzt ich, ach, so nah ihr wäre.
Ja, nun erst fühlt das Herze mein
Der Ferne bittre Leidensschwere.
Es zeigt, wie treu es ihr muß sein.
O, wär' ich irgendwo am Rhein,
Vielleicht dann hört' ich andre Märe,
Wovon ich leider nichts vernahm,
Seitdem ich über die Berge kam.

Nachgedichtet von Bruno Obermann


Aus: Deutscher Minnesang Lieder aus dem
zwölften bis vierzehnten Jahrhundert
Übertragen von Bruno Obermann
Leipzig Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. o. J. (1890) (S. 53)

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