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Graf Konrad von Kirchberg (oder Kilchberg)
(um 1300)
Mailied
Wieder kam der Mai ins Land
Und zersprengt der Sorgen Band.
Kinder, Kinder, seid zur Hand,
Anzuschauen seiner Gaben Fülle.
In der Heide lichtes Kleid
Hat er Blumen weit und breit
Eingestickt voll Herrlichkeit,
Und dem Walde gab er grüne Hülle.
Lieblich singt die Nachtigall
Unter blühendem Reise,
Laut erklingt ihr süßer Schall.
Überall
Schmückt der Mai die Erde sich zum Preise.
Freut euch, ihr Jungen,
Blumen sind wieder entsprungen;
Singet den Reien,
Froh seid und segnet den Maien!
Auf denn, Kinder, Paar um Paar
Laßt uns gehn in froher Schar
Auf die Au, wo wunderbar
Rosen blühn und Blumenknospen springen.
Leget an ein Feierkleid,
Wo der Lieb sich Liebe weiht
Giebt der Mai wohl Süßigkeit;
Hört nur, hört, wie froh die Vögel singen.
Freude waltet fern und nah,
Freut euch drum des Maien!
Schönre Blütenwonne ja
Nie ich sah -
Darum laßt uns tanzen, laßt uns reien.
Freut euch, ihr Jungen,
Blumen sind wieder entsprungen;
Singet den Reien,
Froh seid und segnet den Maien!
Auf, du junger ernster Mann!
Säume, träume nicht! Wohlan,
Zu den Kindern geh heran!
Allem Trauern mache heut ein Ende!
Ist dein Herz an Minne wund?
Dort wird krankes Herz gesund;
Mancher rosenrote Mund
Lacht dir hell und macht dich froh-behende!
Sieh, der Blumen zarter Chor
Winkt auf jeder Aue.
Blumen dringen wie zuvor
Bunt empor,
Lieblich sproßt es aus dem Maientaue.
Freut euch, ihr Jungen,
Blumen sind wieder entsprungen;
Singt den Reien,
Froh seid und segnet den Maien!
Ei, mein Lieb, wo bist du? Ei,
Wär ich heut dir nahebei,
Wär ich aller Sorgen frei.
Du, mir ewig lieb vor allen Dingen!
Flöchte gern dir wohlgemut
Einen Blumensonnenhut -
Ach wie stünde der dir gut!
Und von deiner Schönheit würd ich singen!
Ja dir tönte gern mein Sang,
Keusche, Tadelsreine,
Voller Liebe sonder Wank!
Ohne Dank
Sing ich der Geliebten, die ich meine!
Freut euch, ihr Jungen,
Blumen sind wieder entsprungen;
Singet den Reien,
Froh seid und segnet den Maien!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der
Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 255-257)
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