Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Heinrich der Schreiber (der Tugendhafte)
(um 1208 - 1228)

 

Lenz und Liebe

Nun ward dem Leide
Der Heide
Ein Ende – es tönet zu Lob und Preis
Von manchem Vögelein süßer Gesang.
Wiese und Weide
Im Kleide
Nun pranget, gelb, grün, rot und weiß,
Mit dem der holde Mai sie umschlang.
Ach wenn ein Weib mich so trösten wollt,
Wie des Sommers Tage
Stillen die Plage,
Wie dann mein Herz sich doch freuen sollt!
Mich hat Frau Minne
Der Sinne
Beraubt – und gleiches tat eine Frau,
Sodaß ich nun lebe im Sorgenbann.
Was ich beginne,
Entrinne
Der Not ich nicht, bis ich hilfreich sie schau,
Die Hilfe und Freude mir geben kann.
Ich stehe so ganz in ihrer Gewalt,
Daß wenn ich der Hehren
Huld sollt entbehren,
In kurzen Tagen ich krank bin und alt.
Zu mancher Stunde
Vom Munde,
Dem süßen roten, ein Lächeln ihr schwebt,
Daß tief mirs dringt in die Augen hinein;
Kann Mut entfachen
Dem Schwachen,
Daß es ihm tief die Seele durchbebt,
Und es ihm leuchtet wie Sonnenschein.
Wer aber meinem Wort nicht glaubt,
Hat nie empfunden
Der Liebe Wunden,
Die vielen Verliebten die Ruh schon geraubt.

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 60-61)

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