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Heinrich von der Mure
(um 1260)
Ermahnung
Herz, du handelst unverständig,
Folgst du deinen Augen nur;
Alles kannst du nicht erreichen,
Was sie gerne sehn.
Laß sie spähen unabwendig,
Eil nicht nach auf ihrer Spur,
Denn sonst wird dir ohnegleichen
Schade nur entstehn.
Doch was klag ich an die Augen?
Ists nicht meines Herzens Plan? –
Die mir Herz und Leib und Augen
So bezwang zu süßem Wahn,
Wenn sie mir nur schenkt das Leben,
Scheint mir alles wohlgetan!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 189)
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Lebensgefährlich
Herz, du handelst ohne Sinn,
Giebst du stets den Augen nach;
Alles kannst du nicht erreichen, was sie gerne seh'n;
Laß sie spähen her und hin,
Aber eile nicht zu jach;
Thust du anders, kann dir großer Schade noch gescheh'n.
Was verklag' ich doch die Augen?
's ist des Herzens Plan:
Die mir Augen, Herz und Leid bezwang mit süßem Wahn,
Läßt mir die das Leben nur,
so dünkt mich's wohlgethan.
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 98)
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