Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Markgraf Heinrich von Meißen
(um 1234 – 1288)



Die Zuchtverächter

Was kann die Welt uns geben mehr,
Das Sehnsucht lindert und Beschwer,
Als Weibesminn' alleine?
Ein Weib, das lieblich lächeln kann
Entgegen einem braven Mann,
Die freu'n sich, wie ich meine.
Und schaut sie ihm in's Angesicht,
Indeß zu ihm ihr Auge spricht,
Sie sei so ganz die Seine:
Wer solchen Zwei'n sich zeigt als Feind
Und sie belauscht und falsch es meint,
Der werde gleich zu Steine!

Wer schönen Leib, frisch und gesund,
Frohsinn mit keuscher Sitt' im Bund
Erblickt an Frau'n voll Güte,
Lob' ihren Sinn, ehr' ihren Leib.
Das ist ein laut'res, sel'ges Weib,
Der Schönheit höchste Blüthe.
Ihr Leben, klar und spiegelrein,
Kann trüben Herzen Lust verleih'n.
Wer feindlich im Gemüthe
Frau'n rechte Lust zu wehren sinnt,
Der segle, fern von Weib und Kind,
Wo wild die Meerflut wüthe.

Ihr Zuchtverächter, wißt fürwahr:
Ihr seid der Zucht ganz bloß und baar,
Das kann ich euch beeiden.
Mit schlechter Zucht bewehrt ihr euch;
Hei Zuchtverächter, fleuch, entfleuch!
So sagt man von euch beiden.
Ihr Frauen, seid ihm gram und feind,
Bis er mit guter Zucht erscheint
Und schlechte Zucht will meiden,
So wie ein tücht'ger Mann es muß;
Beut dann ein Weib ihm ihren Gruß,
So lebt er ohne Leiden.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 19-20)

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An die Ungeschliffenen

Was hat wohl Bess'res noch die Welt,
Das uns in steter Lust erhält,
Als Weibes Minn' alleine?
Ein Weib, die lieblich lachen kann
Gen einen wohlgemuthen Mann,
Die Wonne ist nicht kleine:
Wenn sie ihm blickt ins Angesicht
Und mit den Augen zu ihm spricht,
Daß sie ihn herzlich meine.
Wer dieser Freude sich nicht freut
Und nährt im Herzen Tück' und Neid,
Der werde gleich zum Steine!

Im schönen Leib' ein gutes Herz,
Im reinen Muthe Minnescherz,
Wer das bei Frauen finde,
Der suche keinen gold'nen Schatz:
Der Minne reichlicher Ersatz
Ihn aller Wünsch' entbinde,
Ihr lauter spiegelhelles Leben
Kann trüben Herzen Freude geben:
Wer dieser widerstünde
Und guten Frauen unhold wär',
Der segle weit hinaus ins Meer
Vom Weibe und vom Kinde!

Ihr Ungeschliff'nen, hört mich an!
Euch hat die Zucht in Bann gethan:
Drauf schwör' ich tausend Eide.
Die Unzucht ist eur bester Gott
Und treulich thut ihr sein Geboth:
Er geb' euch seine Freude!
Ihr Frauen, seht den Rittersmann
Mit keinem güt'gen Blicke an,
Bis er die Unzucht meide!
Dann gebt ihm eurem Minnegruß,
Daß hoch das Herz ihm springen muß,
Geräumt von allem Leide!

Nachgedichtet von Wilhelm Müller (1794-1827)

Aus: Blumenlese aus den Minnesingern
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Erste Sammlung Berlin 1816
In der Maurerschen Buchhandlung (S. 32-35)

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