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Heinrich von Morungen
(um 1225)
Härte der Geliebten
Wüßt ich, daß es blieb verschwiegen fein,
Ließ ich meiner Herrin Bild euch sehen,
Denn wer mir zerbräch das Herze mein,
Säh ihr Bild darin in Schönheit stehen.
Durch die Augen ohne Tür
Ist sie mir darein gegangen;
Würd ich doch von ihrer Minne
Auch so minniglich empfangen!
Wer oft ruft in einen tauben Wald,
Dem erwidert manchmal eine Stimme;
Angefleht hab ich sie mannigfalt,
Daß sie lindre meine Not, die schlimme.
Ob auch mancher ihr mein Leid
Schon geschildert im Gesange,
Nimmer mocht es sie erwecken,
Und sie schwieg mir allzulange.
Sprechen hätt ein Papagei, ein Star
Leichter wohl seitdem gelernt von Minne!
Da ich ihr gedient nun manches Jahr,
Wär es recht, daß sie sich mein entsinne.
Aber nein! ein Wunder denn
Müßte Gott an ihr bezeugen:
Eher würde meine Bitte
Ohne Axt den Eichbaum beugen!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der
Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 89)
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Das Bild im Herzen
Wüst ich, daß es wohl verschwiegen möchte sein,
Ich ließ' euch sehn das Bild der schönen Frauen:
Bräche man entzwei mir hier das Herze mein,
Man möchte sie gar schön darin erschauen.
Sie kam mir durch die ganzen Augen
ohne Thür gegangen:
Ach, würd ich je von ihrer süßen Minne
also minniglich empfangen!
Wer so lange rief' in einen tauben Wald,
Es würd ihm endlich draus entgegen tönen.
Klage kam vor sie nun doch so mannigfalt
Von meiner Noth; doch blieb sie fremd der Schönen.
Ihr klagten Boten meinen Kummer
so manchmal im Gesange:
O weh, das hat sie allzumal verschlafen
oder schweigt mir allzulange.
Wär ein Sittich oder Star, die hätten jetzt
Von mir gelernt zu sprechen von der Minne.
Jahre hab ich nun an ihren Dienst gesetzt;
Ob Sie sich gar der Klagen nicht entsinne?
Nein wahrlich nein, es woll ein Wunder
denn Gott an mir erzeigen:
Eh möcht ich einen Baum wohl ohne Axt
mit meiner Bitte neigen.
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 89-90)
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Wüsst ich, ob es
könnte wohl verschwiegen sein,
Ich liess euch sehen
Meine lieben frauen.
Wer entzwei zerbräche mir das herze mein,
Der möcht sie
Schön darinnen schauen.
Sie kam her
Durch die ganzen augen
Sonder tür gegangen:
Könnte ich von ihrer reinen minne sein
Auch so würdiglich empfangen!
Wess stimme lange ruft in einen tauben wald,
Es antwortet
Ihm doch endlich eine:
Nun ist die klage öfter vor ihr mannigfalt
Von meiner not,
Was sie von ihr meine.
Auch klagt ihr
Mancher meinen kummer
Eindringlich mit gesange:
O weh, ja, sie hat geschlafen wohl bisher
Oder geschwiegen allzulange.
Wär ein sittich oder ein star, die hätten seit
Gelernt schon lang,
Dass sie sprächen: Minnen!
Ich hab ihr gedient bisher gar lange zeit:
Kann sie sich denn
Meiner rede besinnen?
Nein, sie nicht,
Will Gott nicht ein grosses
Wunder an ihr erzeigen.
Leichter könnt ich einen baum mit meiner bitte
Sonder waffen niederneigen.
Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)
Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 47-48)
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