|
Heinrich von Morungen
(um 1225)
Sie ist aller ehren ein weib wohl erkannt
Schöner gebärde, mit züchten bedacht,
So dass ihr lob in dem reiche sich drängt.
Ganz wie der mond himmelfern übers land
Leuchtet die nächste wohl weit und voll pracht,
So dass sein schein alle welten umfängt,
So ist mit güte umfangen die schöne:
Jeder nur denkt,
Dass man vor allen sie kröne.
Dies lob bricht über viel frauen den stab,
Weil ich die meine vor jegliches weib
Hab zu einer krone gesetzet, so hoch
Und ausgenommen nicht eine hab.
Auch ist ganz lauter von falschem ihr leib,
Schmal wohl an maasse, sehr stolz und sehr froh.
Drum möcht ich in ihrer gnade verbleiben,
Gebietet sie so,
Mein liebstes vor allen weiben.
Gott lasse sie mir sehr lange gesund,
Die ich ohne weibliches tun noch nie fand,
Seit sie mein herz sich zur fraue erkor.
Wohl der sehr süssen! Sehr rot ist ihr mund,
Die ebenen zähne sind fernhin bekannt.
Durch sie ich die ganze unstäte verlor,
Als man sie lobte so rein und so weise,
So sanft und so froh:
Darum ich sie noch preise.
Ihr tugendglanz ist der sonne gleich,
Die trüben wolken bringt lichte gefahr,
Wenn mitten im maien ihr schein ist so klar.
Ich werde an steter freude so reich,
Weil überleuchtet ihr lob also gar
Weiber und frauen die besten fürwahr,
Die man im heimischen lande noch nannte:
Ferne und nah,
Da ist sie die bestbekannte.
Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)
Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 40-41)
_____
|