|
Heinrich von Sax
(um 1235–1258)
Das Tor des Glücks
Ich sah sie, die mir Freude leiht,
Bei andern schönen Frauen gehn:
Sie schien mir ohne Widerstreit
Als Beste, Schönste anzusehn.
Wohl war von Frauen groß die Schar:
Doch nahm ich einer stets nur wahr,
Sie sah mein Auge immerdar.
O Minne, süße Fügerin,
Nun füge, daß mir werde Rat.
Bezwinge Seele ihr und Sinn,
Wie sie mich zwang mit süßer Tat.
Eröffne mir des Glückes Tor,
Schließ zu, und laß mich nicht davor,
So schwebt mein Glück noch hoch empor.
Ihr Auge schoß mit lichtem Blick
Mir Liebe tief ins Herz hinein;
Sie legte mir der Minne Strick:
Nun muß ich ihr Gefangner sein.
Wer heilt mich nun, wo ich so wund?
Das kann ihr rosenfarbner Mund:
Von Küssen würd ich wohl gesund.
O neigte sie sich hold mir dar,
Sie, der ich ganz zu eigen bin;
Wohin ich auch des Landes fahr,
Sie hält zurück mir Herz und Sinn,
Daß beider ganz ich ledig bleib:
Was gilt der Mai? Dies holde Weib
Bezaubert mich an Seel und Leib.
Könnt ichs mit Fug erwerben doch,
Einmal in ihrem Arm zu ruhn,
Sonst muß ich ganz verderben noch:
Ach wollt sie mir den Willen tun!
Um sie erleid ich große Not,
Stets tat ich, was sie mir gebot,
Drum geb sie Trost mir oder Tod!
Nachgedichtet von Richard
Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 114)
_____
Das Thor des Glücks
Ich sah sie, die mir Freude leiht,
Bei andern schönen Frauen gehn:
Sie deuchte mich ohn allen Streit
Die beste, und dabei gar schön.
Da war von Frauen große Schar:
Ich nahm der einen stäts nur wahr,
Meine Augen sahn sie immerdar.
Minne, süße Fügerin,
Nun füge, daß mein werde Rath.
Bezwing ihr Herz zumal und Sinn
Wie sie mich bezwungen hat.
Thu mir auf des Glückes Thor,
Schließ zu, und laß mich nicht davor,
So schwebt mein Glück noch hoch empor.
Sie schoß mit Einem lichten Blick
Der Augen mir ins Herz hinein;
Sie legte mir der Minne Strick:
Nun muß ich ihr Gefangner sein.
Wer heilet nun? Ich bin gar wund.
Das thät ihr rosenfarbner Mund:
Von Küssen würd ich wohl gesund.
Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)
Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 194-195)
_____
|