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Heinrich von Veldeke
(vor 1150 - 1190/1200)
Liebeslied
Der Winter tat manchem mit Frost viel zuleide,
Doch hat ihn verwunden der Wald und die Heide,
Sie prangen nun wieder im farbigen Kleide,
O Winter, mit dir auch mein Gram von mir scheide.
Wenn Mailuft die frostigen Tage beschließt,
Und Tau rings die Blumen der Wiese begießt,
Wenn ringsum Gesang durch die Waldung erfließt,
Mein Herz dann in Freuden solch Leben genießt.
Mein Schatz mag mich führen zum Platz bei den Linden,
Er soll mir am Herzen ein Plätzchen auch finden,
Soll Blumen auch pflücken, ich will sie dann binden
Und will mir ein Kränzlein, ein neues, draus winden.
Ich weiß, daß sein Sinnen von mir sich nicht lenkt,
Wie immer auch mein Herz nur seiner gedenkt;
Durch ihn ward mein Trauern für immer versenkt,
Wir haben uns Blumen und Herzen geschenkt.
Ich will ihn mit Armen wohl fest an mich drücken,
Und will ihm vom Munde viel Küsse noch pflücken.
Mein Auge soll recht sich an seinem erquicken,
Weil nirgend so Liebes als ihn sie erblicken.
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 29)
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