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Heinrich von Veldeke
(vor 1150 - 1190/1200)
Isolde
Mir ist froh, daß uns die Tage
Wieder werden licht und lang! -
So nach langer Winterplage
Sprach ein Fräulein froh und frank.
Meinem Glücke sag ich Dank,
Daß ich solchen Frohsinn trage,
Und durch keinen bösen Trank
Je am freien Mut verzage.
Mir hat einst zu guten Dingen
Also treu gedient ein Mann;
Gerne gönnt ich ihm Gelingen,
Wie ich jetzt es nicht mehr kann,
Seit er Kühnheit so gewann,
Daß er wollte das erzwingen,
Was ich besser weigere dann,
Als ihm ziemt, in mich zu dringen.
Ja er bat um arge Minne,
Die mein Herz ihm nicht beschied.
Dank ers seinem kranken Sinne,
Daß ihn Torheit schlecht beriet.
Was ihm nun an Leid geschieht
Wird er sich zum Schaden inne,
Da er sich verloren sieht,
Statt daß er sein Spiel gewinne.
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 29-30)
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