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Herr Rubin
(um 1230)
Die Augen des Herzens
Fort von den Freunden muß ich zieh'n,
Doch bleibt das Herz allhier zurück;
Sei ihnen Freud' und Heil verlieh'n!
Ich freue mich an ihrem Glück.
O fänd' ich sie dereinst gesund und wohlgemuth;
Denn wie von liebem Freund zu scheiden wehe thut,
So wohl im Herzen der Freunde Wiederseh'n;
Das ist ein Trost, von dem mir Freude soll gescheh'n.
Wer Gott verläßt um diese Welt,
Mit der es doch so freudenarm
Und gar so jammervoll bestellt:
Der wählte Sorge sich und Harm.
So seht doch, aller guten Dinge steht sie baar,
Die Tage sind nicht mehr wie ehedem so klar,
Und nicht so süß durchtönt der Vögel Lied die Luft,
Und auf der Flur den Blumen fehlt's an Farb' und Duft.
Eh über Meer ergeht die Fahrt,
Sei Gott dem Herrn nun mein Vergeh'n
Und auch den Menschen offenbart,
Das lange Zeit ich überseh'n.
Nicht allen Leuten bin ich freund, noch allen feind,
Von Zwei'n mit Einem hab' ich's besser stets gemeint;
Ist eine Sünde das, so sei sie mir verzieh'n
Von Jenem, der ungleichen Sinn uns hat verlieh'n.
Da nun ich Abschied nehmen muß
Und gar so bald schon gehe fort:
Wer meldet ihr den Scheidegruß
Und macht ihr kund mein letztes Wort:
Daß auf die Fahrt sehnsüchtig zwar mir steh der Sinn,
Doch daß ihr zugethan mit ganzer Treu' ich bin?
Wer das ihr sagt, Gott gebe, daß dem Freude frommt!
Das ist ein Wunsch, der mir aus voller Seele kommt.
"Sein scheiden bringt mir großen Schmerz,
Schmerzvoller hab' ich keins gewahrt:
Ich geb' ihm Sinn und Muth und Herz
Zu Hülf' und Beistand auf die Fahrt
Und geb' ihm meiner Freuden all den halben Theil,
Auf daß er beiden uns erwerbe Gottes Heil;
Und reicht der Blick der Augen nicht hin über's Meer,
So blicke doch sein Herz anstatt der Augen her."
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 331-332)
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