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Herr Steinmar
(um 1251 – 1276)
Ach, die Noth!
Eh sich Haid' und Flur verschönen,
Sollt' ich meine Liebste seh'n,
Um mit ihr mich zu versöhnen;
Liebes würde mir gescheh'n.
Nach ihr war ich Tag und Nacht
Ganz versehnt; das hat gebracht
Ach, die Noth;
Seh' ich nicht die Liebste bald, so bin ich todt.
Leid und Sehnsucht toben immer
Wild erregt in meiner Brust
Nach der Augen süßem Schimmer;
Mög' ihr werden Glück und Lust!
Weil zu lang' ich fern ihr war,
Geh' ich aller Freuden baar.
Ach, die Noth!
Seh' ich nicht die Liebste bald, so bin ich todt.
Soll ich Lust mein Eigen nennen,
Kommt sie von der Frau allein;
Ihren Mund sah roth ich brennen,
Und ich hielt für Sonnenschein
Ihrer Augen lichten Glanz;
Vor dem Reiz verstummt' ich ganz.
Ach, die Noth!
Seh' ich nicht die Liebste bald, so bin ich todt.
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 62)
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