Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Kaiser Heinrich VI.
(1165 - 1197)

 

Morgenabschied

Wohl reich und mächtig bin ich
Und habe hohen Muth,
Wenn neben mir minnig
Die treue Liebe ruht.
Sie hat mit ihrer Minne
Mich leidesfrei gemacht,
Und muß ich gleich sie lassen,
Doch bleibt in meinem Herzen
Ihr süßes Bild bei Tag und Nacht.

"Ich hab' den Sinn gewendet
An einen Ritter gut,
Das ist also beendet,
Daß ich bin wohlgemuth.
Mich neiden andre Frauen,
Sie tragen bittern Haß
Und sprechen mir zu Leide:
Sie wollten ihn wohl schauen,
Den sich mein treues Herz erlas."

"Du reitest nun von hinnen,
Der allerliebste Mann,
Den je, nach meinen Sinnen,
Sich eine Frau gewann.
Kommst du nicht bald zurücke,
So stirbt dahin mein Leib
Und mein verlor'nes Leben,
Wer soll's mir wiedergeben?"
So sprach das minnigliche Weib.

"Heil, freundlicher Geselle,
Daß ich je bei dir lag!
Du wohnst in meiner Seele
Bei Nacht und auch bei Tag.
Du zierest meine Sinne,
Daß du mir bist so hold:
Hör' zu, wie ich das meine:
So zieren Edelsteine,
Wenn man sie legt in reines Gold."

Nachgedichtet von
Wilhelm Müller (1794-1827)

Aus: Blumenlese aus den Minnesingern
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Erste Sammlung Berlin 1816
In der Maurerschen Buchhandlung (S. 4-7)

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