Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


König Wenzel von Böhmen
(1270–1305)
 

Die ungepflückte Rose

Aus hohen Glücks Begebnis hat ans Licht
Die Minne so mir Süßigkeit gebracht,
Daß ich vor Freuden seufze, denk ich dran.
Denn Minne gab, wie ich mirs träumte nicht,
Zu süßem Herzleid mir voll holder Pracht
Ein Weib, daß ich mich immer rühmen kann,
Doch so, daß niemals ihr Gefahr entsteht!
Zu großer Liebe fügt sie großes Weh;
Das muß ich tragen je und je,
Nicht frag ich, wem es nahe geh!

Mich triebs, daß ich der Liebsten Obacht nahm,
Drum wohl mir, wohl mir immerdar,
Daß sie mein Glück, mein Augentrost und Heil!
Seit sie durchs Aug mir in die Seele kam,
Mußt um die Schöne werben ich fürwahr,
Und Sehnsucht ach! ward lange mir zuteil.
Ich gab ihr Herz und Leib zu Dienste hin,
Ihr, meiner Wonnen Schluß und Anbeginn;
Sie gab mir, was wohl froh den Sinn
Mir macht und doch nicht bringt Gewinn.

Wie sich die Rose aus der Knospe drängt,
Wenn sie des süßen Maientaus begehrt,
So bot sie mir den zuckersüßen Mund;
Was je ein Mann an Wonne hier empfängt,
Kommt dem nicht gleich, was dieser Kuß beschert:
O welch ein Wonnetrost ward da mir kund!
Doch ach! kein Sinn erdenkt und sagt,
Welch Glück mir da aus ihrer Gunst getagt,
Mit Leid ward Freude da erjagt,
Das Leid ward froh, die Freude klagt.

Ob Ruhmsucht darf mich Minne schelten nicht,
Wie inniglich und eng ich auch umfing
Den herzigzarten, süßen, schönen Leib.
Mein Herz verletzte nicht der Keuschheit Pflicht,
Obwohl mir sinnberauschend naheging
Mit ganzer Glut das minnigliche Weib.
Mit Herz und Augen lag mein Wunsch im Streit;
Daß ich entsagt, war meinem Leibe leid,
Doch meine Liebe wehrte weit
Es ab zum Heil der keuschen Maid.

Wohl dem, der seiner Liebsten rein sich weiht,
Wie ich, und nicht versehrt die süße Frucht!
Ich brach die Rose nicht, ob ichs gekonnt!
Nun freut sie mir das Herz wie jederzeit;
Und denk ich ihrer tugendreichen Zucht,
Wird noch mein Sinn von heller Lust durchsonnt,
Daß ich vor Liebe nicht vermelden kann,
Welch Glück an diesem Glückstag ich gewann.
So tief wie ich empfand kein Mann,
Was sie mir tat in Liebe an!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 213-214)

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Ich brach die Rose nicht

Aus hoher Aventüre gar süße Würdigkeit
Hat Minn an Mir ans Licht gebracht:
Ich seufz aus Herzensgrund, gedenk ich nur daran!
Zu Lohne gab sie mir zu minniglichem Leid
Was je mein Wunsch sich hatt erdacht,
Ein Weib so zart, daß ich mich immer rühmen kann,
Ganz ungefährdet gleichwohl ihrer Sittsamkeit.
Sie gab in großer Liebe mir ein reiches Leid:
Das muß ich tragen jederzeit,
Wie auch dazu gebahrt der Neid.

Recht wie eine Rose, die sich aus der Hülle löst,
Wenn sie des süßen Thaus begehrt,
So bot sie mir den rothen, zauberreichen Mund.
Was je noch Freude ward in Mannes Herz geflößt,
Das ist ein Nichts, Ich ward gewährt
So hülfereichen Trostes, ach in lieber Stund!
Ein Sinn es nie durchdenkt, kein Mund zu Ende sagt,
Wie selig Heil mir hat an ihrer Gunst getagt.
Mit Leide Freude ward erjagt;
Das Leid war froh, die Freude klagt.

Nun hab er Dank, der so je seiner Frauen pflege
Wie ich der reinen, süßen Frucht:
Ich brach die Rose nicht, und hatt es doch Gewalt.
Sie wohnte mir im Herzen, wohnt noch alle Wege.
Gedenk ich noch an ihre Zucht,
So blüht mein Sinn in Freuden also mannigfalt,
Daß ich vor Liebeslust kein Ende sagen mag
All meines vollen Glücks an meines Heiles Tag.
Kein Mann wohl je so herrlich lag
Als ich, da mein die Liebe pflag.

Nachgedichtet von Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 7-8)

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