Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


König Wenzel von Böhmen
(1270–1305)
 

 

Ich brach die Rose nicht, obs ich gekonnt

Wo nun der Winter alle Blumen bricht,
Und schweigen macht den Vogelsang
Im Wald und auf den Auen,
Hört an: was bessere Freude uns verspricht,
Und wer mir folgt, der habe Dank!
Der reinen süßen Frauen
Sollt ihr zu aller Stunde
Mehr als der Blumen haben Acht:
Hei, welch lebendige Augenpracht,
Wo Blicke lächelnd ziehen Mund zu Munde!

Wer so im Kuß ein süß Umarmen fand
In mächtiger Liebe innigem Bund,
Und dafür nähme Rosen,
Fürwahr! der wäre wohl nicht bei Verstand!
Nach solcher Lust begehrt mein Mund.
Ach, dürfte so ich kosen
Mit ihr einmal alleine,
Vergaß der Abenteuer ich,
Der ich im Lied vermessen mich:
Das müßte sie vergeben mir, die Reine.

O zartes, holdes, reizgeschmücktes Weib,
Mein Trost, der Hoffnungsglück verspricht,
Beruht in dir, du Gute!
Mich wird dein anmutvoller süßer Leib
In Sehnsucht trauern lassen nicht;
Hilf mir zu frohem Mute!
Wie sollte michs entzücken,
Neigte sich lächelnd mir dein Mund
Und könnt ich ihn aus Herzensgrund
Im Kusse fest an meine Lippen drücken!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 214-215)

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Vertrauen

Ich brach die Rose nicht
und hatte doch die Macht.
König Wenzel

Seitdem der Winter rings die Blumen hat verjagt
Und kleiner Vögel süßes Lied
Im Wald und auf den Auen:
So will ich künden, wo uns bess're Freude tagt.
Gepriesen sei wer mit mir zieht!
Der reinen, süßen Frauen
Soll man zu jeder Stunde
Mehr als der Blumen haben Acht;
Hei, welch lebend'ge Augenpracht,
Wo Blicke spielend bringen Mund zu Munde!

Auf, wer ein süß Umfangen mit dem Kusse fand
In mächt'ger Liebe, Brust an Brust!
Nähm' Einer dafür Rosen,
Fürwahr! der müßt' auf immer kranken am Verstand!
Mein Mund begehrt sich solche Lust.
Hei, daß ich dürfte kosen
Mit ihr so ganz alleine:
Die Aventüre würde lahm,
Die einst im Lied ich auf mich nahm;
Das müßte sie vergeben mir, die Reine.

O zartes, süßes Weib, holdselig allezeit,
Mein Trost, der Freud' und Hoffen giebt,
Ruht all in dir, du Gute.
Mich wird dein liebevolles Wesen nicht im Leid
Der Sehnsucht lassen ungeliebt;
Hilf mir zu frohem Muthe.
Hei, wie's mich würd' entzücken,
Erböt' ein Lächeln mir dein Mund
Und könnt' ich recht aus Herzensgrund
Im Kuß ihn fest an meine Lippen drücken!

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 149-150)

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Blumenersatz im Winter

Der Winter hat den grünen Hain entlaubt,
Es schweigt der Vöglein süßer Sang
Im Wald' und in den Auen.
So kommt, weil uns die Maienlust geraubt
Und laßt uns suchen Minnedank
Bei reinen süßen Frauen!
Die soll'n zu jeder Stunde
Die Frühlingsblumen uns ersetzen.
O, welch ein lenziges Ergötzen,
Wo Blick an Blicke spielt und Mund an Munde.

O sprich, wenn bis zum ersten Minnedank
Ein langer heißer Kuß ergeht,
Nähmst du dafür wohl Rosen?
Fürwahr, dann wären deine Sinne krank:
Mein Mund sein Lüstchen frei gesteht:
Hey, dürft' ich jetzt noch kosen
Mit ihr so ganz alleine,
Dann würde schnell ein Wort gebrochen,
Das ich im Lied' ihr einst versprochen!
Das müßte sie vergeben mir, die Reine!

Viel zartes, süßes, heißerwünschtes Weib!
Mein Trost und meine Hoffnung liegt
Allein an dir, du Gute.
Ach, ließ' mich nur dein hochgezierter Leib
In ew'ger Liebesklage nicht!
Hilf mir zu hohem Muthe!
Wie groß ist mein Gelüste,
Daß ich bald in einer Stund'
Von deinem rosenrothen Mund'
Das erste blöde Minnelächeln küßte!

Nachgedichtet von
Wilhelm Müller (1794-1827)

Aus: Blumenlese aus den Minnesingern
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Erste Sammlung Berlin 1816
In der Maurerschen Buchhandlung (S. 10-13)

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