Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Meister Heinrich Frauenlob
(1270 – 1317)
 


Nicht keck noch scheu

Ihr edeln Frauen, gut und lieb,
Bewahrt die alte Würdigkeit;
Wem Rittersinn nicht treu verblieb,
Der sei verhaßt euch allezeit.
Stets folgten gute Frau'n dem Rath:
Wer Rittertugend an sich trug,
Den grüßt ihr hold mit Recht und Fug;
So geht das Glück auf eurem Pfad.

Reiz liegt, o Weib, in deinem Blick,
Wie's angeboren deiner Art;
Ich lehre drum dich einen Schick,
Der jeden Tadel dir erspart:
Sei mit den Blicken nicht zu keck;
Doch wo du spürst der Jugend Zucht
Und ritterlicher Tugend Frucht,
Hold sieh dahin und ohne Schreck!

Und sollte je den Frau'n so sehr
Gefallen ein verlauf'ner Fant,
Der Hab' und Leben nimmermehr
Um hohen Preis gesetzt zu Pfand,
Wie Einer, der mit Gut und Leib
Erkor der Frauen Ehr' als Ziel
Im ernsten Kampf, im heitern Spiel:
Unedel wär' ein solches Weib.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 12)

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