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Meister Johannes Hadlaub
(um 1293)
Der Brief
Ach, es war so lange
Mir gar weh nach ihr,
Daß ich nachsann bange,
Wie sie dies erführ von mir.
Wie das Herz mir zuckte,
Als ein Pilgerkleid ich nahm,
Heimlich nach ihr guckte,
Da sie aus der Messe kam.
Schrieb ihr einen Brief voll Klage,
Machte da ein Häkchen dran;
Und ich hing ihr früh vor Tage
Den ganz unbemerklich an.
Dieser Mann muß toben,
Hat sie wohl gedacht;
Ward ich von dem Groben
Angegriffen über Nacht?
Es erschrak die Hehre,
Daß ich Kränkung ihr ersann.
Doch um ihre Ehre
Schwieg sie stille und entrann.
Und ich ließ sie gerne gehen,
Daß sie eher heimgelang,
Eh noch jemand möchte sehen
Mit dem Brief den lustigen Schwank.
Was sie mit ihm machte,
Weiß ich nicht gewiß,
Ob sies sich bedachte
Oder ob sie ihn zerriß?
Las sie, mild im Sinne,
Was ich schrieb, so fand sie Schmerz,
Treueschwur in Minne,
Und wie Gram bedrückt mein Herz.
Doch mir zeigt nicht ihr Gebaren,
Daß sie je von meiner Not
Irgend etwas hätt erfahren;
Nein, sie giebt mir fast den Tod.
Nie soll wiedersenden
Ich ihr Botschaft je;
Tröstung will sie spenden
Nun und nimmer meinem Weh.
Soll ihr kund nicht geben,
Wie ich gerne diente ihr,
Wie nur sie im Leben
Meines Herzens Lustbegier.
Doch ich fürchte ihre Kälte,
Fürchte Ungeduld und Haß,
Daß sie mirs noch mehr entgälte -
Ach, warum doch tut sie das?
Hat sie mir das Herze
Doch durchbohrt schon lang,
Daß sie, mir zum Schmerze,
Sich den Eintritt drin erzwang.
Und sie ließ sich nieder
Dort wie eine Königin,
Kommt und gehet wieder,
Je nachdem ihr steht der Sinn.
Ach welch Wunder das begegnet
Meinem Herzen! Ists auch klein,
Geht doch, hold und reizgesegnet,
Ganz und gar ihr Bild hinein!
Ja, es muß sie sehen
All in ihrer Lust
Mir im Herzen stehen,
Wer aufbräche mir die Brust;
Herrlich und erhaben,
Lieblich thront sie drin und fein;
Und ich darf mich laben
Ihrer so im Herzen mein!
Dieses muß sie mir doch gönnen,
Wie sie sich entfremdet mir;
Niemals hab ich finden können,
Was ich sonst noch such an ihr.
Weh, was tat die Minne
Mir doch Arges an:
Herz und alle Sinne
Mir die Holde abgewann.
Ach und meinem Herzen
Gab sie nie den kleinsten Trost,
Sehnsuchtsherbe Schmerzen
Hab ich mir zum Gram erlost.
Minne, lenke ihr Gemüte,
Daß sie hold gesinnt mir sei,
Meine Treue mir vergüte
Und mich mach der Sorgen frei!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der
Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 249-251)
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