Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Meister Johannes Hadlaub
(um 1293)

 

Empfindsam

Ach, ich sah, wie lieb sie herzt' ein kleines Kind;
Da ward mir lind
Zu Muth und froh.
Sie umschlang es traut und preßt' es an die Brust
Da kam mir Lust
Und Leid entfloh.
Die weißen Hände hielten sein Gesicht
Fest gedrückt an Mund und Wangen, hold und klar;
Sie küßt' es gar
Und ließ es nicht.

Was das Kind that, hätt' ich gerne nachgemacht:
Es legte sacht
Um sie den Arm;
Ihre Wonne, glaub' ich, war auch ihm verlieh'n;
Sein Wesen schien
Ganz ohne Harm.
Da konnt' ich's nicht ertragen ohne Neid
Und ich dacht': "Ach, wär' ich dieses Kindchen doch,
So lange noch
Sie Lieb' ihm weiht."

Als das Kindchen dann aus ihren Armen kam,
Ging ich und nahm
Es bei der Hand;
Mich bedäucht' es lieb, da sie's an sich gedrückt,
Daß ich beglückt
Und froh mich fand.
Ich hielt's im Arm so schön, wie sie's umfing,
Und ich küßt' es, wo ich sie es küssen sah;
Ach, wie mir's da
Zu Herzen ging!

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 48-49)

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