|
Meister Johannes Hadlaub
(um 1293)
Erndtefreude und Erndteleid
Wem steht das Herz
Nach Minnescherz,
Der freue sich der Erndtezeit!
Auf, rüstige Knechte,
Auf, liebliche Mägde,
Macht euch zum Tanz bereit!
Nun giebt man euch den reichen Lohn
Für einen langen treuen Frohn:
Heil ihm wer da ein Liebchen hat!
Auch Minnesold
Wird jetzt gezollt
Und eingeerndtet Minnesaat.
Der Erndtezeit
Der Minner sich freut:
Da hütet die Mutter die Töchter nicht viel.
Da geht's an's Kosen
Mit manchem losen
Gesang und Scherz und Minnespiel.
Drum jubeln so die Knechte,
Drum hüpfen so die Mägde
Zum kühlen Abendtanz:
Und lieber als die Maien
Mit ihrem grünen Reihen
Ist ihnen Erndtekranz.
Doch manches Herz
Fühlt Minneschmerz,
Daß Sommer will entfliehen,
Die Hoffnungslust
In seiner Brust
Sie muß mit ihm verblühen.
Nun scheiden die Frauen,
Die man konnte schauen
Auf duftender Heide sich ergehn:
Ihren Nackenglanz,
Ihren Lockenkranz
Die werd' ich im Winter nimmer sehn.
Bald bergen die Weibe
Die zarten Leibe
Sich vor dem kalten Wind.
Ein starres Kleid
Deckt alle Süßigkeit,
Die Mannes Herze minnt.
Der Augen Glut
Verhüllt ein Hut,
Der Handschuh raubt der Arme Weiß.
O Herzeleid!
O Sommerzeit!
Wie wüste liegt dein hoher Preis!
Nachgedichtet von
Wilhelm Müller (1794-1827)
Aus: Blumenlese aus den Minnesingern
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Erste Sammlung Berlin 1816
In der Maurerschen Buchhandlung (S. 130-135)
_____
|