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Neidhart von Reuental
(um
1217 – 1230)
Der mai ist reich und mächtig,
Es führen überprächtig
Den wald her seine hände.
Der ist nun neuen laubes voll:
der winter hat ein ende.
"Ich freue mich auf der heide
Der lichten augenweide,
Die uns beginnt zu nahen,"
Sprach ein wohlgestaltes kind,
"die will ich schön empfahen.
Mutter, ich will selber
Mit reicher schar in felder
Und will den reigen springen.
Lang ist's, dass ich die kinder schon
nichts neues hörte singen."
"Neina, tochter, neine,
Ich hab dich ganz alleine
Gezogen an meinen brüsten:
Gehorche meinem willen nun:
lass dich des manns nicht lüsten."
"Den ich euch will nennen,
Den mögt ihr wohl erkennen;
Zu dem will ich gelangen:
Er ist genannt von Reuental,
den will ich umbefangen.
Es grünet an den ästen,
Als möchten niederbresten
Die bäume zu der erde.
Nun wisset, liebe mutter mein,
bei ihm ich liegen werde.
Mutter lieb und herzlich,
Nach mir klagt er so schmerzlich,
Soll ich ihm das nicht danken?
Er sagt, dass ich die schönste sei
von Baiern bis nach Franken."
Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)
Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 110-111)
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Vergebliche Warnung
Der Mai ist reich und mächtig;
Fürwahr, er führt so prächtig
Den Wald an seiner Seite,
Der ist nun neues Laubes voll; der Winter wich in's Weite.
"Ich freue mich der Haide,
Der lichten Augenweide,
Die uns beginnt zu nahen,"
So sprach ein schönes Mägdelein; "die will ich schön empfahen.
O Mutter, laßt das Keifen,
Zum Felde will ich schweifen
Und will den Reihen springen;
Nicht hört' ich mehr seit langer Zeit die Mädchen Neues singen."
"Nein, Tochter, Gott bewahre!
So ganz allein die Jahre
Lagst du an meinen Brüsten:
So thu's zu Liebe mir und laß nach keinem Mann dich lüsten."
"Den will ich stracks euch nennen,
Ihr mögt vielleicht ihn kennen,
Ich such' ihn mit Verlangen:
Er ist genannt von Reuenthal, den will ich bald umfangen.
Es grünt an allen Zweigen,
Daß sich die Bäume neigen
Und schier zu Boden sinken.
Lieb Mutter, folgen muß ich jetzt des werthen Knaben Winken.
O Mutter, nehmt's zu Herzen,
Er klagt um mich mit Schmerzen;
Das sollt' ich ihm nicht danken?
Er sagt, daß ich die Schönste sei von Baiern bis nach Franken."
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 192-193)
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