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Oswald von Wolkenstein
(um 1377 – 1445)
An die Entfernte
1.
Ein' dunkle Farb'
Vom Occident
Mich sehnsuchtsvoll erschrecket,
Seit ihr ich darb'
Und lieg' elend
Die Nacht durch ungedecket.
Die mich zu Fleiß
Mit Ärmlein weiß
Und Händlein heiß
Kann freundlich zu sich schmiegen,
Ist fern schon lang',
Daß sehnsuchtsbang
Zu dem Gesang
Ich muß die Klage fügen.
Vom Strecken
Brechen
Mir alle Bein,
Wenn ich die Lieb' beseufze,
Die mir
Die Gier
Nur weckt allein.
2.
In heißer Glut
Wälz ich mich her
Die Nacht durch, ohn' zu schlafen.
Gierlich Blut
Heiß und schwer -
Vergeblich alle Waffen!
Wenn meinen Hort
An seinem Ort
Nicht finde dort,
Wie oft ich nach ihm greife,
So ist nur, ach,
Mit Ungemach
Feu'r in dem Dach;
Mir brennt der Fingerreifen.
Doch winden,
Binden
Ohne Seil
Thut sie mich dann bei Tage,
Ihr Mund
All' Stund
Weckt mir die Gail *
Mit sehnsuchtsvoller Klage.
3.
Also vertreib'
Ich, liebe Gret,
Die Nacht bis an den Morgen.
Dein zarter Leib
Mein Herz durchgeht,
Das sing' ich unverborgen.
Komm', höchster Schatz,
Mich schreckt die Ratz
Mit großem Tratz,
Davon ich oft erwache. -
Die mir kein Ruh
Läßt, spät noch fruh',
O Liebe thu'
Dazu,
Damit das Bettlein krache.
Die Freud'
Geud'
Ich auf hohem Stuhl',
Wenn bloß mein Herz bedenket,
Daß mich
Höchlich
Mein' schöne Buhl'
Gen Morgen freundlich schrenket.**
* Sehnsucht
** Umarmen, wenden, hin und her bewegen.
Die vedern gen feuerspach schrencken zu Hölle fliegen.
Nachgedichtet von Ludwig Passarge
(1825-1912)
Aus: Dichtungen von Oswald von Wolkenstein (1367-1445)
Übersetzt, eingeleitet und erklärt von Ludwig Passarge
Leipzig Reclam 1891 (S. 161-163)
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