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Oswald von Wolkenstein
(um 1377 – 1445)
Mailied
O wonniglicher, reichgezierter Mai,
Dein Freudenschrei
Bringt Lust uns mancherlei,
Und höchste Freude, wenn dabei
Ein Tanz sich schlingt und wenn sich zwei
Mit Händen lieblich langen.
Grün ist der Wald,
Die Au, des Berges Wall;
Und Nachtigall
Mit andrer Vögel Schall
Läßt überall
Den Widerhall
Erklingen bald -
Nun laßt den Kopf nicht hangen!
Die frohe Zeit bannt Ungemach,
Drum wach
Und liebe, ach!
Sei hurtig und nicht schwach,
Geh freundlich hin zum Lieb und lach,
Du sahst sie lange nicht - mach, mach,
Daß weiße Ärmlein dich umfangen!
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der
Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 285)
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Mailied
O wonniglicher, wohlgezierter Mai,
Dein süß Geschrei
Bringt Freuden mancherlei,
Am meisten doch, wo Zwei
In einer schönen Reih'
Vielwonniglich zusammen stân.
Grün ist der Wald, Berg, Au, Gefild und Thal,
Die Nachtigall
Und aller Vöglein Schall,
Man hört sie überall
Erklingen ohne Zahl.
Da nun die Zeit in Freude wendet Ungemach,
So horch', Lieb, ach!
Auch ich will werden wach,
Zu hängen der nur nach,
Die ich so lange nicht gesach,*
Bis mich ihr' Ärmlein weiß umfahn.
* Sah
Nachgedichtet von Ludwig Passarge
(1825-1912)
Aus: Dichtungen von Oswald von Wolkenstein (1367-1445)
Übersetzt, eingeleitet und erklärt von Ludwig Passarge
Leipzig Reclam 1891 (S. 103)
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