Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Oswald von Wolkenstein
(um 1377 – 1445)
 


Würde der Frauen

1.

Schweig, Gutgesell, bei Scherzen lach',
Mag dir kein Fluch zu Herzen gehn,
Verficht nicht jede krumme Sach',
Weich' aus, wo du nicht kannst bestehn, -
So schreibt Hans Mosmair, und dabei:
Wer seinem Richter giebt zuvor,
Und hält auch seinen Pfarrer warm,
Der dünkt mich sicher nicht ein Thor,
Und wird nicht leicht an Gütern arm,
Ja, ist vielmehr ein kluger Lai'.
Wer Nesseln zupft
Und Lilien rupft,
Der will das Gärtlein stören gar.
Wer seinen Tauben
Thut erlauben
Mit Raben und Geiern,
Zu fliegen und feiern,
Der kommt in Schaden rasch fürwahr.

2.

Ohn' Haß hab' ich die Wort' erzählt,
Nun sing' ich von den Fräulein rein,
Da ich mit frommen nie geschmählt,
Sie wären denn an Ehren klein
Und jungfräulicher Weise.
Geheimer Sünde wird die Buß'
In aller Stille aufgesetzt.
Dasselb' man wohl bedenken muß;
Laßt Zucht und Ehre unverletzt,
Haltet die Freundschaft leise.
Wer Nesseln zupft
Und Lilien rupft,
Der will das Gärtlein stören gar.
Wer seinen Tauben
Thut erlauben
Mit Raben und Geiern,
Zu fliegen und feiern,
Der kommt in Schaden rasch fürwahr.

3.

Seit ich nun heiß' die Nachtigall,
Lobe ich fest die Fräulein gut;
Doch preis' ich auch mit hellem Schall
Ein zart, schön Weib, mit Ehr' in Hut,
Mehr als die Stärk' des Leuen.
Und bin auch Gott von Herzen hold,
Daß er ein Weib, schön, tadelfrei
Geschaffen, deren Lob vor Gold
Erglänzt, wohnt Tugend, Ehr' dabei,
Ohn' je sie zu verstreuen.
Wer Nesseln zupft
Und Lilien rupft,
Der will das Gärtlein stören gar.
Wer seinen Tauben
Thut erlauben
Mit Raben und Geiern,
Zu fliegen und feiern,
Der kommt in Schaden rasch fürwahr.

Nachgedichtet von Ludwig Passarge
(1825-1912)

Aus: Dichtungen von Oswald von Wolkenstein (1367-1445)
Übersetzt, eingeleitet und erklärt von Ludwig Passarge
Leipzig Reclam 1891 (S. 107-108)

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