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Otto zum Turme
(um 1280)
Minnelied
Dem Falken gleich ist kühn mein Sinn,
Der durch den Adel seiner Art
Sich freut am Glanz der Sonne
Und hohen Fluges schwebt dahin.
Nie gabs ein Bild, so schön und zart,
Als meiner Augen Wonne.
Fest kann in ihren Glanz ich sehen!
Ja, schritt ein Kaiser stolz heran,
Ihm könnt ein Schade leicht geschehen!
Wohl mir! daß sich mein Auge ganz
An ihre Glorie hat gewöhnt,
Des freut sich mein Gemüte;
Ich sah der Minniglichen Glanz,
Nach der mein Herz in Sehnsucht stöhnt,
So reich an Weibesgüte.
Daß ich seit allen meinen Tagen
Kein Weib so makelfrei erfand,
Muß ich bei meinem Eide sagen.
O fänd ich gnadenreichen Mut,
Ich riefe, süßer Hoffnung voll:
Ihr seid mein Wunsch, mein Leben!
Lohnt Minnedienst und Minneglut! -
Ach, wenn ich Gnade suchen soll,
Muß ich verstummend beben.
Doch eines hat sie längst erfahren:
In Geist und Herzen will ich sie,
Hold oder unhold, treu bewahren.
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der
Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 241)
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Nach Falkenart
Mein Muth erhebt sich Falken gleich,
Die durch den Adel ihrer Art
Sich freuen mit der Sonne:
An hohen Flügen ist er reich.
Nie gab's ein Bild, so schön und zart,
Als meiner Augen Wonne.
Fest kann ich schau'n in ihren Schein;
Doch wollte das der Kaiser thun,
Es könnt' ihm leicht zum Schaden sein.
Wohl mir! es hat sich gar und ganz
Mein Aug' an ihre Pracht gewöhnt;
Des freut sich mein Gemüthe.
Ich sah der Minniglichen Glanz,
Nach der das Herz mir ächzt und stöhnt,
So reich an Frauengüte.
Und daß ich seit der Knabenzeit
Kein Weib erschaut so wandellos,
Das thu' ich kund auf meinen Eid.
Und find' an ihr ich holden Muth,
So kann ich kühnlich das gesteh'n:
Ganz ist sie ohne Fehle.
Mir brennt das Herz wie Feuersglut,
Und will um Gunst und Huld ich fleh'n,
Stockt Zunge mir und Kehle.
Doch ward es ihr ein wenig kund,
Daß sie vor all und jedem Weib
Mir kam in Aug' und Herzensgrund.
Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)
Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 130-131)
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