Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Reinmar von Brennenberg
(um 1260)



Der Zerrissene

Die ich vor allen Frauen
Zur Herrin mir erkor,
Zur ungetrübten Wonne,
Zum Trost mir und zum Heile,
Die kehret Groll und Zürnen
Jetzt gegen mich hervor.
Verderben muß ich, wird mir
Ihr Gruß nicht mehr zuteile.
Erbarmen, Reine, die du mehr als gut!
Sie ist mein Glück, mein Leben,
Ist Krone aller Frauen,
Doch daß sie gar so viel mir Leides tut,
Das ist der einzige Makel,
Der noch an ihr zu schauen
An ihr, der süßen reinen
Und sanften Mörderin!
Doch wo ich bin des Landes,
Bei ihr weilt Herz und Sinn;
Ihr Lob will stets ich preisen,
Und mag nur selten sie
An mich gedenken: ihrer
Vergaß ich treulos nie!

Ich hab in ihr gefunden
Wohl eine edle Frucht,
Bei der ich treu-ergeben
Für alle Zeiten weile,
Und preise ihre Tugend
Und hochgelobte Zucht,
Die ich zum Trost mir wählte,
Zum Glück mir und zum Heile:
O wohl mir, daß ich sie vor allen fand!

Daß Gott mir ihre Jugend
Und Lieblichkeit behüte,
Dann sind mir keine Sorgen mehr bekannt!
Sie ist so innig, minnig,
Des freut sich mein Gemüte;
Und wird mir erst zuteile
Ihr lieber Gruß wie eh,
So bin ich fröhlich wieder,
So flieht mich alles Weh.
Und da nun soviel Wonne
Und Glück in ihr mir ruht,
O so versöhn uns, Minne,
Dann tust du wohl mir gut!

Ihr Weisen merkt, wie seltsam
Mir Armem ist geschehn,
Ich bin mit ganzem Leibe
Gar seltsam zwiegeteilet,
Und wo ich halb erscheine,
Wähnt man mich ganz zu sehn,
Und keiner sieht mich dort, wo
Mein bestes Teil verweilet.
Das macht: die Liebe nahm mein Herz dahin!
Das ist mein Teil, mein bester,
Der weilt bei meiner Frauen,
Und also laß ich, wo ich leibhaft bin,
Der Welt den Schein alleine
Von meinem Wesen schauen.
Ward jemals solche Teilung
An andern wie an mir?
Nun bin ich dort so wenig
Als ich es bin allhier,
Und bin doch beides wieder
So gut als hier auch dort.
Wer mich nun sucht, wie findet
Er mich, an welchem Ort?

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 181-182)

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Entzweigetheilt

Die ich aus aller Welt zur Herrin hab erkorn,
Zu hohen Freuden mir, zur Wonne wie zum Heile,
Die hat auf mich gewendet ihren Haß und ihren Zorn:
Ich muß verderben, wird mir nicht ihr holder Gruß zu Theile.
Sie Reine, beßer viel als gut,
Sie höchstes Ziel der Zärtlichkeit, sie Kron ob allen Frauen,
Was Sie allein mir Leides thut
Und Niemand sonst, den Fehler einzig mag man an ihr schauen.

Ja die reine süße sanfte Mörderin,
Mein Herz ist doch bei ihr, wo ich des Landes bin.
Ihre Zucht, ihr hohes Lob ich stäts zum Besten maß:
Wie selten Sie gedenke mein, in Treuen ich sie nie vergaß.

Ihr Weisen merket, wie mir Armen ist geschehn:
Ich bin mit ganzem Leibe wunderlich entzweigetheilet.
Wo ich halb nur bin, da wähnen sie mich ganz zu sehn
Und Niemand sieht mich dort, wo doch mein bestes Theil verweilet.
Die Liebe hat mein Herz dahin,
Das ist mein bestes Theil: es weilt bei meiner lieben Frauen;
So laß ich, wo ich leibhaft bin,
Fraun und Männer nur den Schein des ganzen Wesens schauen.

Geschah an Wem je solche Theilung wie an mir?
Ich bin ja leider ganz so wenig dort als hier,
Und bin doch Beides wiederum so hier als dort:
Wer mich nun suchen will, wie findet der mich und an welchem Ort?

Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 246-247)

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