|
Rudolf von Fenis (Neuenburg)
(um 1188)
Mit sange wollt ich meine sorge kränken,
Ich fing den sang, um sie zu lassen, an:
Je mehr ich singe, mehr muss ich sie denken,
So ist mit sange leider nichts getan.
Nein, Minne brachte mich in solchen wahn,
Dass ich vielleicht ihm niemals kann entschwenken,
Weil ich zu lange folgte seiner bahn.
Seit mich die Minne so sehr wollte ehren,
Dass sie mich hiess in meinem herzen tragen,
Die mir mein leid in freude kann verkehren,
Wär ich ein gauch, wenn ich ihr wollt entsagen.
Ich will auch Minne meinen kummer klagen:
Denn die mir konnte so mein herz versehren,
Die mag mich auch zum haus der freude laden.
Mich wundert, wie mich meine herrin zwinge
So heftig, wenn ich ferne von ihr bin:
Bis hoffend ich mit dem gedanken ringe,
Wenn ich sie säh, die sorge wäre hin.
Sei ich bei ihr, so tröste sich mein sinn,
Und wähne fest, dass es mir wohl gelinge:
Doch immer mehret sich mein ungewinn.
Bin ich bei ihr, ich nur die sorge mehre,
Wie wer sich nahe bietet an die glut,
In schwerem brande sich mit recht versehre:
So mir auch ihre grosse güte tut.
Bin ich bei ihr, das tötet mir den mut,
Und sterb erst recht, wenn ich mich von ihr kehre,
Weil mich das sehen dünket gar so gut.
Ihr schöner leib hat mich so sehr geblendet;
Er tut mir, wie der motte tut das licht,
Sie fliegt daran, bis sie in glut verendet:
So ihre grosse güte mich verriet.
Mein töricht herz befriedete sich nicht,
Ich habe mich so ganz an sie verschwendet,
Dass mir zuletzt damit nur recht geschieht.
Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)
Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 32-33)
_____
|