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Ulrich von Singenberg Truchsässe von St. Gallen
(um 1209 - 1228)
Vokalspiel
Soll ich mich richten nach dem A,
So steh auch ich gerüstet da:
Ich mach es wie der Meister ja,
Als er der Nebelkrähe Krah
Uns sang, und komm ich ihm nicht nah
Darin, wo er sich Meister sah,
Nehmts hin, so gut es mir geschah.
Gar viele raten: Sing wie eh,
Und schildre Blumen uns und Klee! –
Die wissen nicht, wie ichs versteh,
Daß mir dies wohl zu Herzen geh.
Von dem Geschrei am Wald und See
Tat allen längst das Ohr schon weh,
Taub würd es ganz – darum ade!
Ich ruf mit größerm Recht als sie:
O weh, solch Leid erlebt ich nie;
Mein Herz fühlt sich bedrückt, als wie
Von Blei, daß es mich niederzieh.
Wenn mir Dreimännerkraft gedieh,
Sie mir doch Rettung nicht verlieh,
Hilft Liebe mir nicht irgendwie.
Ich war voll Freude einst, doch o!
Vor meinem Kummer bald sie floh,
Sonst ständ ich traurig nicht also.
Wie mich zuerst auch Furcht bedroh,
Ich war im Herzen dennoch froh.
Zur Minnelust gehören zwo,
Und wärs auch nur ein Bett von Stroh.
Ich mag O weh schrein ohne Ruh,
Daß ich so elend ward im Nu.
O Herrgott sprich, warum willst du,
Daß Leid mich fesselt immerzu?
Ich hab nicht Feld noch Haus noch Kuh,
Fehlschlägt mir alles, was ich tu.
Und Spott und Hohn hängt mir am Schuh!
Nachgedichtet von Richard
Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 64-65)
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